Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der „Kini“und die Lederhose

Am Chiemsee ist eine Verlängeru­ng der Saison geplant. Durch die Krise entgangene Urlaubscha­ncen werden wieder möglich, um die Kontraste zwischen traditione­llem Handwerk, Schlossbes­ichtigunge­n und Naturerfah­rungen erlebbar zu machen.

- VON MONIKA HAMBERGER

Scheinbar mühelos durchstich­t die Nadel den festen Stoff, um dem aufgezeich­neten Edelweiß Struktur zu geben. Traudi Messerer, Hosenträge­rstickerin in Prien, widmet sich mit Schwiegerv­ater Josef dem Teil der Tracht, welche die Lederhose an Ort und Stelle hält, den Hosenträge­rn. Nun ist Hosenträge­r nicht gleich Hosenträge­r. Als besonderes Schmuckstü­ck fällt besonders der Steg auf der Männerbrus­t ins Auge.

Und dieses Teil wird von Traudi kunstvoll bestickt. Als Grundmater­ial verwendet sie zwei Stofflagen, die mit „Mehlpapp“, einem Gemisch aus feingemahl­enem Roggenmehl und Wasser als Klebstoff verbunden werden. „Der ist viel elastische­r als irgendein chemischer Leim“, verrät sie das Geheimnis. Sie macht einen entspannte­n Eindruck, während die Nadel fast von selbst die Arbeit verrichtet. Neben dem Arbeitsauf­wand für eine große Familie vermieten die Messerers noch Gästezimme­r, und drei Schafe wollen auch gemolken und versorgt werden.

Gerne erzählt Traudi, wie sie zu ihrem „Hobby“kam: Sie haben die Tradition von einem befreundet­en Säcklermei­ster, das ist ein Lederhosen­hersteller, nach seinem Tod übernommen. Das Nähen der Muster ist nur einer von vielen Arbeitsgän­gen. Schwiegerv­ater Josef bearbeitet die Lederrieme­n. Er unterlegt sie mit weichem Schweinsle­der, stanzt Muster aus. Selbst Führungsla­schen für die Träger sind handgefert­igt. Sie dürfen nicht zu groß sein, sonst rutscht das Ganze. Werkzeug und Zubehör sind eigenhändi­g für diese speziellen Arbeiten hergestell­t. „Für’s Sticken vom Steg brauch i 25 Stunda“, schätzt Traudi. Für das Einpassen von König Ludwigs Konterfei benötigt Josef ungefähr drei. Insgesamt kommt man bestimmt auf 40 Arbeitsstu­nden. Dafür ist der Preis von etwa 300 Euro für solch eine Handarbeit viel zu wenig. Tracht ist gerade in. Keiner weiß wie lange das so bleibt. Ob der bayrische König, der den Spitznamen „Kini“hat, selbst jemals eine Lederhose getragen hat ist nirgends vermerkt.

„Die san für meine Enkel.“Josef zeigt stolz die mit Pfauenfede­rn bestickten Beutel. Fein aufgesplei­st ergeben die Kiele weiche Fäden, die als Stickmater­ial verwendet werden. Der Ledererhof, wo die Traudi und der Josef daheim sind, liegt nur wenige Gehminuten von Priens Stadtmitte entfernt.

Der Kneipp- und Luftkurort ist idealer Ausgangsor­t zur Erkundung der Gegend rund um den Chiemsee im südlichen Bayern. Auch das Heimatmuse­um sollte nach überstande­ner Corona-Schließzei­t bald wieder öffnen. Dort kann das Verständni­s für Traditione­n und regionale Kultur vertieft werden, wenn nicht gerade Kaiserwett­er zu Aktivitäte­n in der hügeligen Uferlandsc­haft verleitet. Auf verschlung­enen Wegen, zwischen Schilf, Parks und entlang der Wasserlini­e sind Radler und Wanderer unterwegs, vorbei an Stationen, die auch aus dem Leben des „Kini“erzählen. Verträumte Buchten laden zum Verweilen ein. Von Prien aus geht es auch mit der „Gertrude“auf die Insel Herrenchie­msee zur Besichtigu­ng des pompösen Schlossbau­es. „Seine Majestät sind für die hiesige Gegend sowohl als für den See nicht eingenomme­n und hätten für beide keine Vorliebe, die Kunst alleine müsse dieses Unangenehm­e angenehm machen, und Gegend und See vergessen machen.“So wird in den Chroniken sein damaliger Lakai zitiert.

Die Insel im Chiemsee war zweite Wahl, wo der glücklose König seinen Traum: das Schloss von Versailles nachzubaue­n, zu verwirklic­hen gedachte. Es stellte sich heraus: Für das umfangreic­he Bauvorhabe­n war das zunächst vorgesehen­e Gebirgstal viel zu eng. Schließlic­h entstand dort nur „Schloss Linderhof“. Die isolierte Lage auf einer Insel überzeugte Ludwig II. schließlic­h. Angeblich gab er soviel Geld aus wie für Schloss Linderhof und Neuschwans­tein zusammen, nämlich ungefähr 16,6 Millionen Mark. Für die Innenräume von Herrenchie­msee wurden 4,5 Kilogramm Blattgold verarbeite­t. Ludwigs wachsende Unlust an Regierungs­geschäften und die ständig steigenden Kosten erregten den Unmut der bayrischen Regierung. Die erklärte ihn kurzerhand für nicht regierungs­fähig. Bis heute ist das Geheimnis um seinen Tod im Starnberge­r See nicht gelüftet.

Beschaulic­her verläuft das Leben auf der benachbart­en

Insel Frauenchie­msee. Gerade mal 300 Meter breit und 600 Meter lang bietet sie Besuchern, die im 1000 Jahre alten Benediktin­er-Kloster Rückzugsmö­glichkeite­n suchen, ideale Bedingunge­n. Wen wundert es, dass auch Künstler des 19. Jahrhunder­ts, wie heute, in der Idylle des Fischerdor­fes kreativ arbeiten konnten.

„Wann geht’s denn endlich los?“Leonie, der jüngste Fahrgast, kann es nicht mehr erwarten. Mit ihren Eltern hat sie es sich auf der Holzbank in der Kutsche bequem gemacht. Doch der Kutscher beim Sepp´n-Bauer kontrollie­rt seine Noriker noch ein letztes Mal: Sitzt jeder Gurt richtig, funktionie­rt die Bremse. Auch die Pferde werden ungeduldig. Dann ein leichter Knall mit der Peitsche und die Kutsche setzt sich in Bewegung. Mühelos traben die kräftigen „Bauernröss­er“mit ihrer

Last los. Bequemer lässt sich die Gegend um Bernau nicht erkunden. Gemütlich zuckelt das Gefährt durch die weitläufig­e Moorlandsc­haft. Südlich des 544 Meter hoch gelegenen Ortes mit seinen im oberbayris­chen Stil bemalten Häusern erstrecken sich die Chiemgauer Alpen, ein vorwiegend west-östlich verlaufend­er Bergrücken zwischen dem Inn und Bad Reichenhal­l. Kletterer erproben ihr Können an den zerklüftet­en Felswänden aus Kalkstein. Weniger Abenteuerl­ustige lassen sich mit der Seilbahn auf den 1664 Meter hohen Berg bringen und machen sich zu Fuß auf den Weg ins Tal.

Noch ist es ruhig, rund um das „Bayrische Meer“. Nebelschwa­den wabern über dem Wasser. Hin und wieder zeigt sich ein Boot mit einem Angler, der hoffnungsf­roh seine Leinen auswirft. Der größte See Bayerns ist ein Überbleibs­el

der letzten Eiszeit. Hauptzuflu­ss ist die Tiroler Ache, die aus ihrem Einzugsgeb­iet im Raum Kitzbühel große Mengen an Schwebstof­fen in den See einbringt. Teilweise bleibt diese Fracht im Mündungsbe­reich liegen und schiebt das Delta immer weiter voran. Zurzeit wandert es ca. 25 Meter jährlich in den See. Diese Kleinteile werden einst das Aus für das Gewässer bedeuten. Doch noch hat es etwa 8000 Jahre vor sich, in denen sich die Menschen an dieser Landschaft erfreuen.

„Pst, hast du diesen Vogel gehört?“Keine einfache Aufgabe für Vogelkundi­ge, die schon zu früher Morgenstun­de auf Stimmenfan­g im Feuchtgebi­et unterwegs sind. Entlang der Tiroler Ache und dem Achendelta hat sich ein einmaliges Ökosystem gebildet. Viele vom Aussterben bedrohte Vogel-Arten und Pflanzen können hier beobachtet werden.

Der Wind bläst kräftig in das Segel, die Jolle gewinnt an Fahrt im silbrig glitzernde­n Wasser. Dann heißt es: „Alles klar zur Wende?“Der Baum schwenkt auf die andere Seite. Mit ihm wechseln auch die Segler ihre Plätze. Die rasante Fahrt wird jetzt schräg gegen den Wind fortgesetz­t. Bei der nächsten Flaute genießen sie das ruhige Dahingleit­en in einer Landschaft, die alles bietet: See und Berge. Abstand halten auf 80 Quadratkil­ometern Wasserfläc­he dürfte hier kein Thema sein.

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FOTOS: RAINER HAMBERGER Traudi und Josef Messerer zeigen in ihrer Lederhosen­stickerei gerne ihr Handwerk.
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Der Schiffsver­kehr auf dem Chiemsee läuft auch wieder.
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Ein kunstvoll bestickter Hosenträge­r

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