Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Ein Studium macht immer Sinn“
Der Geschäftsführer des Centrum für Hochschulentwicklung macht dem Corona-Jahrgang 2020 Mut.
DÜSSELDORF Es war ein Abitur unter besonderen Voraussetzungen, das der Jahrgang 2020 absolviert hat. Abrupt endete Mitte März die Schule, dann gab es große Unsicherheit darüber, ob die Prüfungen überhaupt stattfinden können und sollten. Auch machten sich die Abiturienten Sorgen um ihre Noten. Nun sind die Zeugnisse vergeben, und die Wahl des Studiums steht an. Doch wie läuft das in diesem Jahr überhaupt ab? Frank Ziegele, Geschäftsführer des gemeinnützigen CHE Centrum für Hochschulentwicklung in Gütersloh, macht dem Corona-Jahrgang Mut: Erstsemester sein klappt auch in Pandemie-Zeiten – wenn auch das Semester meist später startet.
Herr Ziegele, ist es überhaupt sinnvoll, jetzt in ein Studium zu starten?
ZIEGELE Klar ist es sinnvoll, ein Studium zu starten. Bei der Entscheidung, was man nach dem Abi macht, sollte man sich nicht von Bedenken gegen ein Studium aufgrund von Corona leiten lassen. Die Hochschulen bieten ihre Studiengänge uneingeschränkt an, während andere Optionen nach dem Abi, wie etwa ein Auslandsaufenthalt, im Moment viel schwieriger umzusetzen sind. Und unter Karriereaspekten ist ein Studium genauso sinnvoll wie vor Corona. Im zu Ende gehenden Semester mussten die Hochschulen im laufenden Betrieb auf Online-Lehre umstellen, da war zwangsläufig einiges chaotisch. Jetzt liegen aber Erfahrungen vor und es ist davon auszugehen, dass an den meisten Hochschulen im kommenden Semester ein planmäßiges und geordnetes Studium möglich sein wird.
Auf welche Situation an den Unis müssen sich die Erstsemester einstellen?
ZIEGELE Die Situation an den Hochschulen wird dennoch weiter eine besondere sein: Ich gehe davon aus, dass wenige Hochschulen weiter rein online lehren werden, die überwiegende Zahl plant aber ein gemischtes „Hybridsemester“. Das heißt, es wird Präsenzveranstaltungen vor Ort geben, bei denen man in größere Räume ausweicht und dadurch Abstandsregeln wahrt. Ein erheblicher Teil des Studiums wird aber weiter online angeboten, Präsenzund Onlinephasen werden sich also abwechseln. Die Möglichkeit zu Präsenzphasen ist alleine dadurch eingeschränkt, dass es nur eine begrenzte Zahl hinreichend großer Räume gibt, um die Hygienestandards zu erfüllen. Das Gute ist: Da somit geplant ist, dass sich Erstsemester auf dem Campus begegnen können, besteht die Möglichkeit, die Mitstudierenden kennenzulernen. Studium lebt ja bekanntlich auch davon, dass man Lerngruppen bildet, Inhalte miteinander diskutiert und Freundschaften schließt. In der reinen Online-Lehre im aktuellen Semester war dies erschwert. Aber natürlich leben wir in allen Bereichen des Lebens, auch an den Hochschulen, mit der Gefahr einer neuen Welle der Pandemie, die dies über den Haufen werfen kann. Deswegen nicht zu studieren würde aber bedeuten, den Kopf in den Sand zu stecken.
Der 15. Juli ist normalerweise der Bewerbungstermin für alle zulassungsbeschränkten Fächer. Ist das in diesem Jahr auch der Fall? ZIEGELE Aufgrund der Corona-Pandemie
gab es in diesem Jahr Verschiebungen. Für Studienplätze in Human-, Tier- und Zahnmedizin sowie in weiteren Studiengängen, die über die Stiftung für Hochschulzulassung vergeben werden, ist der Bewerbungsschluss in diesem Jahr auf den 20. August verlegt worden. Wer nicht erst in diesem Jahr sein Abitur gemacht hat, hat nur bis zum 25. Juli Zeit. Für alle übrigen Studiengänge,
also sowohl örtlich zulassungsbeschränkte als auch zulassungsfreie Angebote, sollte man sich bei den einzelnen Hochschulen über die Fristen informieren. Die meisten Hochschulen werden die Zeiten ebenfalls entsprechend anpassen, aber es gibt keine bundeseinheitliche Regelung. Das kann sogar an einer Hochschule von Studiengang zu Studiengang verschieden sein. Für
Studiengänge ohne NC kann man sich in der Regel noch länger anmelden. Die meisten Hochschulen werden den Semesterbeginn in diesem Herbst übrigens auf den 2. November verschieben.
Wie kann so ein digitales Erstsemester überhaupt aussehen? ZIEGELE Ein Beispiel: Die Studierenden erhalten zunächst ein Lernvideo
und Rechercheaufgaben. Sie tauschen sich in Online-Arbeitsgruppen aus. Dann treffen sie sich mit der Professorin vor Ort zur Debatte über die Arbeitsergebnisse und konzipieren Projekte, die sie dann in Kleingruppen digital oder vor Ort weiterbearbeiten. Dafür haben sie über die Lernplattform ein Wiki, in dem sie gemeinsam Dokumente online bearbeiten. Die Abschlusspräsentation der Projekte erfolgt per Videokonferenz oder im Hörsaal, ihre Arbeitsergebnisse dokumentieren die Studierenden in einer Art persönlicher digitaler Akte, dem Lernportfolio. Das ist nur ein willkürliches Beispiel, es steht aber dafür, dass bei einer guten Umsetzung digitale und Präsenzlehre gut miteinander verschränkt sind. Daher sollten Studierende bei der Wahl ihres Studiengangs auf Folgendes achten: Ergibt sich für das Studienangebot der Eindruck, dass der Einsatz digitaler Lehre durchdacht und Teil eines Lernkonzepts ist? Dann ist das ein guter Ort für ein Studium.