Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Einsam im Online-Hörsaal
Ich sitze am Schreibtisch. Die Luft in meinem Zimmer ist warm und stickig. Über mir schwirrt eine Fliege, die immer wieder das Fenster anvisiert, beschleunigt und abprallt, um dann verwirrt zurück zu taumeln. Der fliegende Gast scheint dabei mit der Lüftung meines Laptops um die Wette zu brummen. Ich öffne das Fenster und befreie den kleinen Störenfried.
Zurück am Schreibtisch versuche ich, meine Aufmerksamkeit auf die digitale Vorlesung zu lenken, die in wenigen Minuten beginnt. Studieren im Sommersemester 2020 ist anders, selbständiger, einsamer. Wegen der Covid-19-Pandemie wurden alle Veranstaltungen vom Hörsaal in den digitalen Raum, in Videokonferenzen und Chaträume verlegt.
Der Weg zu meinen Vorlesungen führte mich somit in den vergangenen zwei Monaten nicht mehr über den begrünten und belebten Universitäts-Campus, sondern vom Bett zum Computer. Mein Dozent schaltet sich in den Videoanruf ein. Über seine Webcam können meine Kommilitonen und ich in das Wohnzimmer des Professors blicken. Dieser sitzt aufrecht in seinem Drehstuhl vor einem überfüllten Bücherregal und begrüßt den Kurs. Wir antworten stumm mit einem Winken aus der Ferne. Er beginnt zu erzählen, erklärt die anstehenden Aufgaben und geht geduldig auf die Fragen der Studierenden ein, bis alle beantwortet sind.
Im digitalen Vorlesungssaal herrscht keine herzliche Atmosphäre, die üblichen leisen Gespräche zwischen den Reihen im Hörsaal fehlen, es entsteht kein Gefühl der Gemeinschaft. Einsam sitzt jeder für sich fokussiert vor seinem leuchtenden Bildschirm. Wenn der Dozent nicht spricht, herrscht eine verlorene Stille. Knapp 30 Studierende starren dann erwartungsvoll in ihre Webcams. Andere sind gar nicht zu sehen, haben ihre Kameras ausgestalten und verschwinden in der digitalen Anonymität, sie bleiben unbekannt.
Zwar geht die Lehre weiter, doch das studentische Leben und Miteinander
gehen derzeit verloren. Im dunklen Wintersemester freute ich mich auf warme Frühsommerabende nach den Vorlesungen. Gemeinsam mit meinen Kommilitonen auf den Stufen des Burgplatzes sitzen, auf den glitzernden Rhein unter dem orangefarbenen Himmel blicken, neue Freunde finden und gemeinsam auf den Tag zurück schauen. Doch ist dies im Sommersemester 2020 und wahrscheinlich auch im Wintersemester nicht möglich. Mein Dozent verabschiedet sich, und die Vorlesung endet nach 90 Minuten mit dem obligatorischen Winken. Ein paar Klicks später sitzt jeder von uns vor dem nun ausgeschalteten Bildschirm.
Noch immer allein.