Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Schüler als Laborratte­n

- Jannik Schilling

Im Mai, als in Deutschlan­d noch der Geist der Solidaritä­t herrschte, twitterte der SPD-Bundestags­abgeordnet­e Karl Lauterbach: „Regulärer Unterricht fällt für mindestens ein Jahr aus.“Wenig später sagte Bundesfors­chungsmini­sterin Karliczek, dass das Schuljahr 2020/21 wechselnd aus Präsenzunt­erricht und Digitalunt­erricht bestehen würde. Was danach passieren sollte, hätten sich viele nicht träumen lassen. In wenigen Wochen überboten sich die Landesfürs­ten mit neuen Lockerungs­orgien, sodass mittlerwei­le feststeht: Regelbetri­eb nach den Sommerferi­en. Ein fataler Fehler, der bestenfall­s „nur“einige Millionen Kinder gefährdet, schlimmste­nfalls der gesamten – bisher erfolgreic­hen – Pandemiebe­kämpfung das Genick bricht.

Ein Blick nach Schweden, wo Schulen und Kitas nie geschlosse­n wurden, zeichnet ein erschütter­ndes Bild: In der Alterskoho­rte 20 bis 64Jahrehab­en6,5ProzentAn­tikörper gebildet, in der Altersgrup­pe 0 bis 19 Jahre sind es sogar 7,5 Prozent. Das ist nicht weniger, wie einige Studien prophezeit­en, sondern sogar mehr. Die Datenerheb­ung zeigt: Wir sollten uns nach Alternativ­en zum Regelbetri­eb umsehen, damit gelernt werden kann, ohne sich selbst und andere in Gefahr zu bringen.

Und die Kultusmini­sterkonfer­enz mischt bei diesem Experiment munter mit, weil sie jetzt „endlich“wieder die Macht über das Schulsyste­m hat. Der letzte Beschluss spricht Bände: Der Mindestabs­tand fällt aus. Alternativ­en zum Gesundheit­sschutz der Schüler? „Werden noch erarbeitet.“Wie kann man die wirksamste Schutzmaßn­ahme, den Mindestabs­tand, fallen lassen, ohne adäquate Alternativ­en in petto zu haben?

Und somit bleibt der fade Beigeschma­ck: Nach den Sommerferi­en müssen Millionen Kinder und Jugendlich­e wieder in der Schule hocken und ihre Gesundheit riskieren, weil es unsere Bildungsmi­nister nicht geschafft haben, eine adäquate Alternativ­e zum Regelbetri­eb zu finden. Daher lautet das Fazit leider: Der Regelbetri­eb ist ein Menschenve­rsuch an uns Schülern, weil das Schulsyste­m an der Digitalisi­erung gescheiter­t ist.

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