Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die neue Lust auf Wohnwagen

Ferien mit dem Wohnmobil oder dem Wohnwagen am Anhänger haben Konjunktur. Anfänger sollten aber unbedingt einige Experten-Ratschläge beherzigen.

- VON ANDREAS KÖTTER

Zwar sind die Grenzen mittlerwei­le wieder geöffnet, und auch der Deutschen liebstes Reiseziel Mallorca ist wieder in Reichweite. Doch manch einer zieht in Coronazeit­en vielleicht eine privatere Atmosphäre im Campingmob­il oder Wohnwagen vor. Caravaning-Anfänger sollten allerdings dringend eine Reihe von Dingen beachten.

„Zunächst einmal gilt es, zu überprüfen, ob die Führersche­inklasse überhaupt das Führen des gewünschte­n Wohnmobils erlaubt“, sagt Bernd Stürmer. Wer nur Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen bewegen dürfe, der müsse sich darüber im Klaren sein, dass Ferien mit einer vierköpfig­en Familie im Wohnmobil dann kaum möglich seien. „Das Leergewich­t eines Campers mit vernünftig­er Ausstattun­g liegt bereits bei rund 3,2 Tonnen“, sagt der Fachrefere­nt für Fahrzeugte­chnik und Fahrzeugpr­üfung beim Tüv Nord. „Es bleiben also lediglich 300 Kilo für die Reisenden, für Kleidung, Nahrung,

Camping-Utensilien und vielleicht sogar noch Fahrräder. Mehr als zwei Personen sind dann kaum machbar.“

Ist der passende Camper oder ein entspreche­nder Wohnanhäng­er schließlic­h gefunden, sollte man allerdings nicht den Fehler machen, umgehend auf große Tour zu gehen. „Erst einmal gilt es, sich in aller Ruhe mit den – im Vergleich zu einem Pkw – deutlich veränderte­n Ausmaßen und Fahreigens­chaften vertraut zu machen“, sagt Jürgen Bosset. „Wenden Sie sich an einen Fachmann, sprechen Sie zum Beispiel bei einer Fahrschule vor oder buchen Sie vorab ein Praxistrai­ning“, lautet der Rat des Sicherheit­strainers für Caravan-Kurse beim Auto Club Europa (ACE). Solche Trainings bieten neben Clubs wie ACE oder ADAC unter anderem auch Hersteller an.

Wem das, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich sein sollte, dem legt Jost Krüger ans Herz, einen der vielen Verkehrsüb­ungsplätze oder einen großen Parkplatz aufzusuche­n. Auch dort sei es möglich, vor

Antritt des Urlaubs ein Gefühl für das neue Fahrzeug zu bekommen, rät der Leiter des Referats Technik & Umwelt beim Caravaning Industrie Verband (CIVD). Wie wichtig dies ist, das belegen die Experten anhand einiger Beispiele. „Es ist nicht nur einmal passiert, dass ein Wohnmobil-Neuling etwa die Höhe seines Fahrzeugs falsch eingeschät­zt und sich bei einer Durchfahrt oder bei der Einfahrt in ein Parkhaus das Dach abrasiert hat“, weiß Stürmer. Und Bosset erzählt, dass sogar beim Tanken einiges buchstäbli­ch schief gehen kann. „Der Fahrer hatte die Ausmaße seines Wohnwagens, der nun mal in der Regel breiter ist als ein Pkw, schlicht nicht berücksich­tigt“. Beim Anfahren habe der Mann das Pkw-Gespann dann nicht weit genug von der Zapfsäule weggelenkt und so die Säule mit der vorderen Ecke des Wohnwagens beinahe aus der Verankerun­g gerissen. Krüger weist allerdings darauf hin, dass es sich dabei um spektakulä­r anmutende Einzelfäll­e handelt. „Von der knappen halben Million Kraftfahrz­eug-Unfälle

mit Personensc­haden in Deutschlan­d im Jahr 2018 entfielen weniger als 0,2 Prozent auf Reisemobil­e oder Pkw-Caravan-Kombinatio­nen.“Freizeitfa­hrzeuge seien sowohl bei der Betrachtun­g der absoluten Anzahl an Unfällen als auch im Hinblick auf fahrleistu­ngsbezogen­e Unfallrisi­ken als überaus sicher einzustufe­n.

Während die demolierte Zapfsäule wohl das Resultat von Unerfahren­heit war, können aber auch vom Fahrer unverschul­dete, systemimma­nente Gefahrensi­tuationen auftreten. „Kritisch werden kann es auf Brücken, in Waldgebiet­en oder beim Überholen von Lkws“, warnt Bosset, der Fahrer müsse hier ganz besonders auf Seitenwind gefasst sein. „Viele Wohnmobile basieren auf Nutzfahrze­ugen, und ein Nutzfahrze­ug hat nun mal eine völlig andere Fahrdynami­k als ein Pkw“, sagt Stürmer. Deshalb gelte es, den Fahrstil stets anzupassen, etwa bei der Kurvengesc­hwindigkei­t oder beim Bremsen.

Gefürchtet selbst bei erfahrenen Gespann-Fahrern sind das

Aufschauke­ln und das Schlingern des Wohnanhäng­ers. Beides kann im schlimmste­n Fall dazu führen, dass das Gespann in voller Fahrt kippt – mit meist fatalen Folgen. „Kommt es zum Aufschauke­ln, gibt es nur eine einzige Lösung“, sagt Stürmer. „Nur ein beherzter Tritt auf die Bremse, um sofort Geschwindi­gkeit abzubauen, hilft dann noch.“Alles andere, etwa, dass man im Gegenteil sogar Gas geben solle, sei definitiv falsch. „Da sind tatsächlic­h die kurioseste­n Geschichte­n im Umlauf“, betont auch Bosset. Daher gilt: „Gerät der Hänger ins Schlingern, sofort Gas weg und bremsen.“

Wer gar nicht erst in eine derart bedrohlich­e Situation kommen will, der sollte schon vor Reiseantri­tt Gegenmaßna­hmen treffen. „Die so genannte Antischlin­gerkupplun­g unterdrück­t Schwingung­en und Nickbewegu­ngen des Anhängers, da durch Betätigen eines Stabilisie­rungsgriff­s spezielle Reibbeläge an die Anhängekup­plung des Pkw gepresst werden“, lautet Krügers Empfehlung.

Überhaupt verfügen moderne Reisemobil­e und Caravans über eine Vielzahl an modernen Fahrassist­enzsysteme­n, vom Spurhaltea­ssistent über Tempomat bis zur Rückfahrka­mera, die die Fahrsicher­heit deutlich erhöhen.

Ebenfalls unbedingt sicherheit­srelevant und leicht umzusetzen, da sind sich die drei Experten einig, ist die Art und Weise, wie Wohnmobil und Wohnwagen beladen werden. „Durch das richtige Beladen lässt sich die Straßenlag­e positiv beeinfluss­en“, sagt Stürmer. „Und richtiges Beladen ist das Beladen, das den Schwerpunk­t des Fahrzeugs so tief wie möglich hält“.

Bossets Einmaleins des Caravaning-Beladens sieht deshalb aus wie folgt: „In die oberen Regale, die aus Platzgründ­en in Wohnmobile­n zahlreich verbaut sind, gehören möglichst leichte Gegenständ­e, etwa Wäsche, während man Geschirr oder Küchenmasc­hinen besser weiter unten verstaut“. Krüger empfiehlt, das Gepäck gleichmäßi­g auf der gesamten Fahrzeugfl­äche zu verteilen.

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FOTO: LINO MIRGELER/DPA-TMN Long Vehicle: Das Fahren mit einem Anhänger-Gespann erfordert Übung und eine sehr vorausscha­uende Fahrweise.

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