Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wenn der Mann zum Opfer wird
Marc Heier steht mitten im Leben – und wird regelmäßig von seiner Frau geschlagen. Lange kann er darüber mit niemandem sprechen. Erst als sich die Situation zuspitzt, sucht er Hilfe bei einer Männerberatungsstelle in Düsseldorf.
DÜSSELDORF Erst, als er im Winter im Auto übernachten muss, ohne Bettdecke und Heizung, wird Marc Heier klar, dass etwas nicht in Ordnung ist. Und dass er mit der Situation alleine nicht klarkommt. Da ist Heier (Name geändert), der als Flugbegleiter arbeitet und, wie er sagt, „voll im Leben steht“, schon mehr als 15 Jahre mit einer Frau verheiratet, die ihn immer wieder schlägt.
Heier ist Mitte 40, ein kräftiger Typ mit wahrscheinlich festem Händedruck. Doch gegen seine Frau kann er sich lange nicht wehren. Ende März eskaliert die Situation. Sie will ihn nicht mehr im gemeinsamen Haus in einer kleinen Stadt in der Nähe von Düsseldorf haben, ruft mehrfach die Polizei, sagt, er habe sie geschlagen. Die Beamten hätten ihr zwar nicht geglaubt, ihm aber dennoch geraten, zur Deeskalation vorübergehend auszuziehen, sagt Heier. „Und das habe ich gemacht, habe nur eben ein paar Sachen zusammengepackt und bin gegangen.“
Ohne daran zu denken, dass es in der Corona-Pandemie keinen Ort gibt, an dem er hätte bleiben können. Hotels und Pensionen sind geschlossen, Freunde wehren aus Angst vor dem Virus ab. Auch, weil er ihnen nicht erzählen kann, was passiert ist. „Und meine alten Eltern wollte ich damit nicht belasten.“Also bleibt nur das Auto. Und damit die Verzweiflung, die größer wird, als er sieht, dass seine Frau sein Konto leer geräumt hat. „Ich habe jahrelang nicht geweint, aber da konnte ich gar nicht mehr damit aufhören.“Drei Monate ist das jetzt her. Inzwischen kann er über das Erlebte sprechen, es einordnen. Irgendwann, sagt Heier, habe er realisiert, dass es so nicht weitergeht und dass er Hilfe braucht. Über das Internet findet er die Beratung für Männer des Fachverbands SKM in Düsseldorf und ruft an. Am anderen Ende der Leitung sitzt Manfred Höges.
Der 51-Jährige Sozialarbeiter ist ausgebildeter Krisen- und Gewaltberater und arbeitet seit mehreren Jahren in der Krisenberatung für Männer. Er ist überzeugt: Auch bedingt durch Sozialisation und Erziehung suchen Männer selten und spät Rat, wenn sie in einer Notlage sind. „Männer haben oft keinen richtigen Kontakt zu sich selbst, können Gefühle wie Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit gar nicht zulassen“, sagt Höges. „Hier bieten wir ihnen einen geschützten Raum dafür.“
Gerade Erfahrungen mit körperlicher Gewalt bagatellisierten viele Männer. Dafür verantwortlich sind dem Berater zufolge auch Erfahrungen in der Kindheit, in der Gewalt unter Gleichaltrigen alltäglich ist. „Das zieht sich bis ins Erwachsenenalter“, sagt Höges, „die Gewalt wird dann gar nicht als schlimm empfunden.“
Auch bei Marc Heier hat das eine Rolle gespielt. „Jeder kennt den Spruch ‚Eine Frau schlägt man nicht’ – aber Männer eben auch nicht“, sagt er. Erst in der Beratung habe er gelernt, dass auch er eine Schutzzone hat, die verletzt wurde, dass er das Recht hat, Stopp zu sagen. „Ich bin traditionell aufgewachsen und habe mich immer furchtbar geschämt“, sagt er. „Was hätten die Nachbarn, die Kumpels gesagt, wenn das rausgekommen wäre?“
Häusliche Gewalt gegen Männer sei immer noch ein gesellschaftliches Tabu, sagt Manfred Höges. Und das, obwohl der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge 2018 rund ein Fünftel aller Opfer häuslicher Gewalt männlich war. Höges
ist aber wichtig, dass es in der Beratung nicht nur um Gewalterfahrungen geht, sondern um jegliche Arten von Krisen. Eine bevorstehende Trennung zum Beispiel, eine schwere Krankheit, Arbeitslosigkeit oder auch Einsamkeit. Teils nehmen die Männer lange Fahrten auf sich, um zu ihm nach Düsseldorf zu kommen. Das Angebot gibt es zwar auch in anderen Städten in NRW, zum Beispiel in Köln oder Dortmund, aber eine reine Männerberatung ist immer noch die Ausnahme. Im Gespräch sucht Höges, der freundlich und zupackend zugleich wirkt, gemeinsam mit seinen Klienten nach Lösungen, gibt Informationen, begleitet sie.
Marc Heier riet er zunächst dazu, zur Polizei zu gehen, um seine Frau anzuzeigen, und zum Jugendamt, um seinen Sohn wiedersehen zu können, der bei ihr im Haus geblieben war. Heier tat genau das – und konnte nach einem gerichtlichen Beschluss nach knapp einem Monat Obdachlosigkeit wieder zurück nach Hause. „Ich hatte keine Hoffnung mehr“, sagt er, „aber durch die Gespräche habe ich gemerkt: Es gibt immer einen Weg.“Zunächst konnten die beiden nur telefonisch miteinander sprechen, erst nach den Corona-Lockerungen war auch ein persönliches Treffen möglich. Inzwischen ist Heier alle zwei Wochen in Düsseldorf zum Gespräch. Manchmal bringt er seinen kleinen Sohn mit. Von seiner Frau hat er sich getrennt, will sich nach dem Trennungsjahr scheiden lassen. Zuhause trägt er seit Kurzem eine Bodycam und fühlt sich damit sicher.
Scham empfindet er beim Gedanken an die Gewalt, die ihm angetan wurde, nicht mehr. Er hat sich sein Selbstwertgefühl zurückgeholt, sagt er. Seine Geschichte hat er inzwischen auch mit engen Freunden geteilt. Nur den Eltern, denen will er sein Leid weiterhin ersparen. Aber Marc Heier traut sich, darüber zu sprechen und rät jedem Mann, der ähnliche Erfahrungen macht, das Gleiche zu tun. „Man ist ja nicht weniger Mann, wenn man Hilfe braucht.“