Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Corona-Krise drückt auf den Ausbildungsmarkt
17.000 Lehrstellen weniger als im Vorjahr gibt es nach Angaben der Arbeitsagentur wegen der Pandemie. Insgesamt liegt das Minus sogar bei fast 47.000.
BERLIN Vor dem Start des neuen Ausbildungsjahrs gibt es weniger Lehrstellen in Deutschland als in den Vorjahren. Das geht aus neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor. Demnach meldeten die Betriebe von Oktober 2019 bis Juni 2020 gut 482.000 Ausbildungsstellen. Das entspricht einem Minus von fast 47.000 im Vergleich zum Vorjahr. Von diesem Verlust wiederum schreibt die BA 17.000 Stellen einem Corona-Effekt zu.
Wegen der Pandemie sind viele Betriebe unter Druck geraten. Der
Lockdown führte häufig zu einem Einbruch des Geschäfts; Kurzarbeit und Insolvenzen waren die Folge. Für viele angehende Auszubildende sind das düstere Aussichten. Damit die Betriebe ihre Ausbildungsprogramme aufrechterhalten, hat der Bund Zuschüsse beschlossen.
Kleine und mittlere Unternehmen, die weiterhin so viele Personen ausbilden wie in den drei Vorjahren, erhalten dem Programm zufolge nach der Probezeit 2000 Euro für jeden abgeschlossenen Ausbildungsvertrag im laufenden Ausbildungsjahr 2020. Betriebe, die mehr Azubis als in den drei Vorjahren ausbilden, erhalten entsprechend 3000 Euro. Zudem will die Bundesregierung Kurzarbeit verhindern, indem sie Betrieben 75 Prozent der Brutto-Ausbildungsvergütung für jeden Monat zuschießt, in dem der Betrieb trotz erheblichen Arbeitsausfalls die Ausbildung der Azubis fortsetzt. Dabei muss der Arbeitsausfall mindestens 50 Prozent betragen. Außerdem erhalten Betriebe 3000 Euro Prämie, wenn sie Azubis eines insolventen Betriebs übernehmen und weiter ausbilden.
Verbände rufen die Unternehmen jetzt dazu auf, von den Prämien Gebrauch zu machen und möglichst vielen Bewerbern einen Ausbildungsplatz zu geben – denn von den gut 417.000 bei der BA im Juni gemeldeten Bewerbern sind noch mehr als 176.000 unversorgt. „Im Handwerksbereich sind aktuell bundesweit über 33.000 Ausbildungsstellen nicht besetzt“, sagte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer auf Anfrage.
Die Zahl der offenen Lehrstellen im Handwerk sei zuletzt von Mai auf Juni noch einmal gestiegen. „Dies ist eher ungewöhnlich, denn in ,normalen’ Jahren geht die Zahl der offenen Lehrstellen zu diesem Zeitpunkt eher zurück, da viele Ausbildungsverträge
bereits geschlossen sind“, sagte Wollseifer. „Wir müssen jetzt alles dafür tun, damit junge Menschen den Weg zu dem für sie geeigneten Ausbildungsplatz finden.“Bis zum Beginn des Ausbildungsjahrs im August und September sei noch viel Bewegung möglich. Wollseifer rief auch die Schulabgänger dazu auf, sich trotz der eingetrübten Perspektiven zu bewerben. „Eine gute Ausbildung bleibt der Schlüssel für eine gute Zukunft. Daran hat sich durch Corona nichts geändert“, so Wollseifer.
Der Sozialverband VdK warnt vor langfristigen Auswirkungen der Corona-Pandemie.
„Wir müssen alles daransetzen, dass der Übergang von der Schule in die Ausbildung auch für den aktuellen Jahrgang gelingt“, sagte Verbandspräsidentin Verena Bentele. Sonst drohe ein verlorener Jahrgang. „Aus Studien wissen wir, dass Menschen ohne Ausbildung nicht nur schneller in Arbeitslosigkeit landen, sondern sich auch öfter mit schlechter bezahlten Jobs und geringeren Renten zufriedengeben müssen.“Bentele appellierte außerdem eindringlich an die Unternehmer: „Geben Sie Jugendlichen eine Chance, lassen Sie diesen Jahrgang nicht im Stich!“