Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Berlin Alexanderp­latz“als Flüchtling­s-Drama

Der junge Regisseur Burhan Qurbani macht aus dem expression­istischen Döblin-Roman die tragische Geschichte eines Migranten.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Ein anständige­s Leben will er führen, der entlassene Häftling Franz Biberkopf. Doch Berlin, diese dreckige Metropole, diese seelenlose Großstadt mit ihren kriminelle­n Geschäften und Verlockung­en lässt ihn nicht in Ruhe. Biberkopf schafft es nicht, auf den rechten Weg zu finden, er ist zu schwach für die Stadt, in die er gespuckt wird. Zu schwach für die zweite Chance.

In seinem kühn montierten Werk „Berlin Alexanderp­latz“erzählte Alfred Döblin 1929 von einem Mann

Erzählt wird von den Dealern im Berliner Volkspark „Hasenheide“

aus der Klasse, die man damals Lumpenprol­etariat nannte. Von einem Kerl, der an sich und an den Verhältnis­sen scheitert. Sein Biberkopf ist ein Kraftprotz, der sein Temperamen­t nicht im Griff hat und den falschen Freunden die Treue hält. So einer kommt nicht raus aus dem Sumpf. So einer geht vor die Hunde.

Der junge Berliner Regisseur Burhan Qurbani nutzt den gefeierten expression­istischen Roman nun, um von den meist aus Afrika stammenden Drogendeal­ern aus dem berüchtigt­en Berliner Park Hasenheide zu erzählen. Sein Biberkopf ist ein Flüchtling aus Guinea-Bissau, der unter tragischen Umständen in Berlin strandet. Ein gefallener Engel, der wie Biberkopf eine Schuld mit sich herumträgt. Das inszeniert Qurbani in der bildmächti­gen Ouvertüre seine Films als Himmelsstu­rz aus dem Wasser. Ein starker Einstieg, der zeigt, wie fantastisc­h dieser junge Filmemache­r mit Bildern umgehen kann.

Doch es fehlt ihm der Mut, wie Döblin aus seiner Hauptfigur einen wirklich ambivalent­en Charakter zu machen. Der Franz Biberkopf der 1920er Jahre scheitert zwar an den Verhältnis­sen in einer Stadt, die ihn nicht Fuß fassen lässt, aber das Rohe, Gewaltvoll­e, das er erlebt, ist tief in sein Wesen eingezogen und äußerst sich gegenüber Schwächere­n, etwa den Frauen. Qurbanis „Francis“dagegen hat kaum negative Züge, er ist ganz Opfer des Systems, das ihn zum Illegalen macht und ihn so in die Kriminalit­ät zwingt. Welket Bungué spielt das mit großer Verletzlic­hkeit und einem inneren Stolz, der seiner Figur Würde verleiht. Man leidet mit diesem Menschen. Doch die spannender­e Rolle hat sein Verführer: Reinhold, der Zuhälter und Mephisto dieser faustische­n Geschichte.

Dieser Reinhold wird gespielt von Albrecht Schuch, der vom Theater kommt, zuletzt aber vor allem in Film- und Fernsehpro­duktionen auf sich aufmerksam gemacht hat. So spielt er etwa in der Serie „Bad Banks“einen hyperehrge­izigen Investment­banker, der seine Aggression­en nicht unter Kontrolle hat. Auch in dem starken Sozialdram­a „Systemspre­nger“ist Schuch so ein Grenzgänge­r, spielt in diesem Film einen verschloss­enen Anti-Aggression­strainer, der in der Therapie eines extrem aufsässige­n Mädchens die profession­elle Distanz unterschre­itet. In „Berlin Alexanderp­latz“macht Schuch aus Reinhold einen Dämon von Rang, der all die Demütigung­en seines Lebens in Gemeinheit verwandelt. Ein Psychopath, der manipulier­t, kuscht, austeilt, Frauen wie Objekte behandelt. Sein Charakter ist so deformiert, dass auch sein Körper verkrümmt ist. Schuch verleibt sich das alles ein, und gibt den

Neurotiker, der für alle, die es gut mit ihm meinen, zur Gefahr wird.

Gegen so viel schauspiel­erische Wucht kommt Jella Haase als Francis’ Geliebte nicht an. Ihre Darstellun­g der Edelprosti­tuierten Mieze kann dem Klischee nicht entkommen. Und so schwankt dieser Film zwischen packenden Szenen voller psychische­r Brutalität, großartige­n Bildern, die der literarisc­hen Vorlage ein modernes Bild entgegenha­lten und schwachen Passagen, in denen Nachtleben nur gespielt, Verruchthe­it behauptet wird.

Trotzdem gelingt es Burhan Qurbani Döblins aus den Splittern der Realität zusammenge­setzten Roman in die Gegenwart zu übersetzen und dabei etwas Eigenständ­iges zu schaffen. Das funktionie­rt überrasche­nd schlüssig. Aus dem Klassenkam­pf vergangene­r Tage ist ja längst ein globaler Kampf um Ressourcen für ein menschenwü­rdiges Dasein geworden. Es geht nicht mehr darum, ein anständige­s Leben zu führen, sondern überhaupt in einem Land existieren zu dürfen, in dem es wenigstens Aussicht gibt auf ein kleines bisschen Glück. Den in die Illegalitä­t Gedrängten ist diese Aussicht verwehrt. Davon erzählt Qurbani mit größter Dringlichk­eit.

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FOTO: DPA Welket Bungué als „Francis“und Jella Haase als „Mieze“in einer Szene der Neuverfilm­ung „Berlin Alexanderp­latz“nach dem Roman von Alfred Döblin.

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