Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Ein Song braucht Gefühl und Härte“
„Rubber Soul“hat sich der Musik der Beatles verschrieben. Im Interview sprechen sie über die „Fab Four“und den Rock’n’Roll.
Was bedeutet Ihnen persönlich der Rock’n’Roll?
HERI SCHERKENBACH Ich habe ja gerade noch die letzten Lebenszeichen von Elvis Presley und Co. mitbekommen. Damals war ich 17 Jahre alt und spielte in meiner ersten Band. Davor kann ich mich an das berühmt-berüchtigte Karussell „Die Raupe“auf der Wermelskirchener Kirmes erinnern, wo die Halbstarken, wie man sie in der Blütezeit des Rock’n’Roll nannte, in Jeans und Lederjacke mit möglichst lässig hochgeschlagenen Jackenkragen herumhingen. Aus den Boxen knallten sämtliche Rock’n’Roll-Klassiker, und Solo-Tanzeinlagen zu verschiedenen Stücken mit der anschließenden Bewertung durch die anderen Anwesenden, waren Pflicht... Das war deswegen damals eine ziemlich verrufene Ecke auf der Kirmes. TOTO LÖHNERT Ich sehe das allumfassender, nicht als die Musikrichtung, die vor dem Beat kam, sondern als Stilart, die sich über die Jahrzehnte durchzieht. Für mich ist das Musik mit Druck und Haltung – man kann den Rock’n’Roll ja auch leben. Was aber sehr anstrengend ist. JÜRGEN LENKEIT Ich höre Rock’n’Roll schon, seit ich denken kann – die Musik hält mich einfach frisch. BERND ALSDORF Rock’n’Roll berührt mich, geht direkt in die Beine, man muss mitmachen.
Der Rock’n‘Roll wird ja wechselweise für tot und für unsterblich erklärt – was meinen Sie? SCHERKENBACH Meiner Meinung nach lebt er – vielleicht etwas anders als früher, aber er ist nicht totzukriegen.
LÖHNERT Das hatte ich auch lange gedacht. Ich mache mir im Moment aber ein wenig Sorgen, da sich im Nachwuchsbereich eher wenig tut. Wir müssen aufpassen, dass die Generation Rock nicht ausstirbt. Unser Publikum ist beispielsweise im Schnitt zwischen 50 und 70 Jahre alt. Im Moment hängt der Rock’n’Roll ein wenig am Tropf – es wäre schön, wenn was nachkommt und die Faszination auf die nächste Generation der 20-Jährigen überspringt. SCHERKENBACH Ja, er verändert sich, das ist klar.
Warum haben Sie sich mit Rubber Soul für die Musik der Beatles entschieden?
LÖHNERT Die Frage bekommen wir ja nie gestellt…
ALSDORF Ich bin ja erst dazugekommen, als die Band schon existierte. Und durch Rubber Soul bin ich auch erst dazugekommen, mich größer für die Beatles zu interessieren und mich mit ihnen zu beschäftigen. Und ich muss sagen: Das macht unheimlich Spaß – von der Musik und von der Gesangsaufteilung her. LÖHNERT Alleine das „Generationengefälle“in unserer Band zeigt ja schon, dass die Beatles auch generationenübergreifende Musik gemacht haben. Teilweise kommen heute 20-Jährige zu unseren Konzerten – und können die Texte besser als wir. Die Beatles sind auch enorm abwechslungsreiche Komponisten – die haben nicht mit drei Akkorden alles gesagt.
SCHERKENBACH
Heute schöpfen noch viele Bands aus dem Repertoire der Beatles, was ja auch für die Musik der Beatles spricht.
Gibt es auch heute Bands, die die Fangruppen so spalten wie damals die Beatles und die Rolling Stones? LÖHNERT Das war ja doch in letzter Konsequenz einfach ein sehr guter Promotion-Gag, der von Bravo & Co. damals dankbar angenommen wurde. In Wahrheit waren die Beatles und die Stones doch miteinander feiern und Bier trinken. Das ergab dann eine Mund-zu-Mund-Propaganda – die man so heutzutage doch gar nicht mehr bezahlen könnte. Zuletzt ist das – und auch das ist schon wieder über 20 Jahre her – bei den Boybands in den 90er- und 2000er-Jahren so gewesen, als man die Fans der Backstreet Boys und Caught In The Act gegeneinander ausspielte.
Wieviel Provokation steckt in der Rock-Musik?
SCHERKENBACH Ich glaube, dass die heutige Elterngeneration das alles gar nicht mehr so eng sieht – weil sie es ja teilweise selbst in den 70er-Jahren mitgemacht hat. Die Eltern von heute kennen ihre eigenen Schwächen, die sie damals selbst hatten. ALSDORF Früher war es für die damaligen Eltern ja einfach auch neu, wenn die Kinder plötzlich auf Rock-Konzerte gehen wollten. SCHERKENBACH Wenn man etwa sieht, wer heutzutage auf dem Wacken Open Air herumläuft – ich meine, da hat Heino gespielt! Heino auf dem Wacken – wovor soll man sich denn heute bitteschön noch erschrecken?
LÖHNERT Na, vor Heino! Aber ernsthaft – ich glaube nicht, dass man mit Rock’n’Roll alleine noch schocken könnte. Höchstens mit einer damit einhergehenden Performance – oder auch einer politischen Haltung dahinter.
Was macht einen guten Rock-Song aus?
ALSDORF Bridge, Solo, Intro, Outro… LÖHNERT Gefühl und Härte. SCHERKENBACH Ja, das würde ich auch unterschreiben. Es muss was rüberkommen, es muss einen packen. Ich kann mit drei Akkorden was rüberbringen – oder mit zehn Akkorden langweilen. Gute Songs
nehmen einen mit.
LÖHNERT Und sie müssen dafür sorgen, dass man sich bewegt. Das liegt ja schon im Namen – Rock’n’Roll! LENKEIT Es hängt auch von den Instrumenten ab – synthetische Musik kann kein Rock’n’Roll sein, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang müssen dabei sein.
LÖHNERT Keyboards werden hier höchstens geduldet…
Welcher Beatles-Song ist Ihr Lieblingsstück – und warum? LÖHNERT Das variiert bei mir ständig. Mittlerweile allerdings kaum noch einer der Songs, die wir spielen – die habe ich einfach zu oft gehört. Im Moment finde ich „Strawberry Fields“immer noch sehr gut. SCHERKENBACH Ich spiele sehr gerne „I Feel Fine“– das ist mehrstimmig und hat schöne Gitarrenharmonien. ALSDORF Ich habe kein wirkliches Lieblingsstück, aber mich packen generell die ganzen alten Rock’n’Roll-Sachen ziemlich. LENKEIT Bei mir ist es gerade die A-Seite der LP „Help!“– also eben Songs wie „Help!“, „Another Girl“oder „Ticket To Ride“. Das klingt auch heute noch locker-flockig und sehr frisch.
Und welches ist der beste Rock’n’Roll-Song?
LENKEIT „Roll Over Beethoven“, ganz klar.
SCHERKENBACH Dem stimme ich zu, das ist ein toller Song.
LÖHNERT Also, ich finde „Long Tall Sally“von Little Richard sehr gut, da stimmt alles.
WOLFGANG WEITZDÖRFER FÜHRTE DAS INTERVIEW