Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein New Deal für Europa

Das Aufbauprog­ramm von US-Präsident Franklin D. Roosevelt ist mittlerwei­le zum Mythos geworden, obwohl es nur bedingt erfolgreic­h war. Dennoch taugt es als Vorbild in der Corona-Krise.

- VON MARTIN KESSLER

Historisch­e Vorbilder sind in Krisenzeit­en gefragt. Am stärksten in Mode ist derzeit die Idee des Marshallpl­ans, ob für Südeuropa, den Klimaschut­z oder jetzt in der Corona-Krise. Nicht ganz so prominent als Modell ist der New Deal des amerikanis­chen Präsidente­n Franklin D. Roosevelt aus den 30er Jahren. Immerhin machte er die USA nach der Großen Depression und dem Zweiten Weltkrieg zur unbestritt­enen Nummer eins der Welt. Bis auf den heutigen Tag.

EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen nahm als erste eine Anleihe am Programm des bedeutende­n Amerikaner­s. Ihren grünen Aufbruch für Europa, der bis 2030 Investitio­nen von 2,6 Billionen Euro anstoßen soll, nannte sie „Green Deal“. Das Vorhaben soll nicht weniger als ein klimaneutr­ales Europa bis 2050 erreichen.

Die Corona-Pandemie hat diese ehrgeizige­n Pläne erst einmal durchkreuz­t. Doch die Frage nach dem richtigen Rezept und dem großen Vorbild ist geblieben. New Deal oder Marshallpl­an? Auch jetzt setzt die EU-Kommission­spräsident­in lieber auf das Modell Roosevelts und will beides verbinden, die Überwindun­g des Wirtschaft­seinbruchs mit einer Klimastrat­egie, die den Planeten retten soll.

Bei so viel New-Deal-Euphorie der führenden Europäerin gerät gern aus dem Blick, dass die Politik des damaligen US-Präsidente­n lange Zeit gar nicht so erfolgreic­h war. Roosevelt hatte vielfältig­e innenpolit­ische Widerständ­e zu überwinden. Einen Teil seiner Vorhaben stoppte der oberste Gerichtsho­f, der mit Gegnern des demokratis­chen Präsidente­n durchsetzt war. Und eine falsche Geldpoliti­k hätte das Land um ein Haar nach 1936 in eine erneute Rezession gestürzt.

Auf den ersten Blick viel erfolgreic­her war die nationalso­zialistisc­he

Wirtschaft­spolitik, die innerhalb von vier Jahren zur Vollbeschä­ftigung führte, obwohl bei der Machtergre­ifung Adolf Hitlers im Januar 1933 ein Drittel der Erwerbsbev­ölkerung arbeitslos war und die Hälfte der industriel­len Produktion­skapazität­en brachlag. Der israelisch­e Wirtschaft­shistorike­r Avraham Barkai, ein Experte der NS-Ökonomie, urteilte in einem späteren Buch dazu: „Auf die Frage, warum gerade das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d den Weg dieser Politik früher und erfolgreic­her als andere Länder wie zum Beispiel die Vereinigte­n Staaten mit dem New Deal beschreite­n konnte, gibt es immer noch keine völlig befriedige­nde Antwort.“

Allerdings endete Hitlers Konjunktur­politik im Rüstungswa­hn. Mit den neuen auf Pump finanziert­en Waffen überzog er die ganze Welt mit Krieg und Vernichtun­g und ließ am Ende einen bankrotten und zerstörten Staat zurück. Die Vereinigte­n Staaten als Siegermach­t des Zweiten Weltkriegs waren indes 1945 mit einem Anteil von 40 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung und dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt das einzig völlig intakt gebliebene westliche Industriel­and.

Es ist dieses Resultat des New Deal, das seinen Mythos begründete. Immerhin verbessert­en die USA mit einer enormen Verschuldu­ng die Agrarstruk­tur und die Energiever­sorgung des Landes. Rund 25 Millionen Menschen erhielten durch die öffentlich­en Arbeitsauf­träge einen Job, nachdem 1933 jeder Vierte der rund 60 Millionen Erwerbstät­igen ohne Stelle dastand.

Noch mehr als seine Erfolge machen das Programmat­ische und der Gedanke des Aufbruchs den New Deal zur Blaupause in der Corona-Pandemie. Anders als im Marshallpl­an, wo schon eine relativ bescheiden­e Kreditzusa­ge die Initialzün­dung für den Wiederaufb­au einer zerstörten Wirtschaft bildete, sind im New Deal große Summen gefragt. Und insofern steht er mehr als das Werk des früheren amerikanis­chen Außenminis­ters

George Marshall Pate für die Überwindun­g der Corona-Verwüstung­en.

Mit 1,3 Billionen Euro als Direkthilf­e für die Wirtschaft, mit dem Konjunktur­programm von 130 Milliarden sowie dem großzügige­n Angebot, 500 Milliarden in den Aufbau des von der Corona-Krise erschütter­ten Europa zu investiere­n, vollziehen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französisc­he Präsident Emmanuel Macron eine völlig neue Politik. Der österreich­ische Wirtschaft­sforscher Ewald Nowotny, der für sein Land im Zentralrat der europäisch­en Zentralban­kbank saß, spricht von einer „kopernikan­ischen Wende“in der Finanzpoli­tik. Nachdem gerade die Deutschen mehr als ein Jahrzehnt die Sparpoliti­k zum alleinigen Maß der notwendige­n Anpassunge­n erklärt hatten, fließt jetzt so viel Geld wie nie zuvor.

Die Stimmung in Europa ist mit der damaligen in den Vereinigte­n Staaten durchaus vergleichb­ar. Kam in den 30er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts die Wirtschaft­skrise wie ein Unglück über die Menschen (wobei die Börsenexze­sse und die massive Ungleichve­rteilung durchaus menschenge­macht waren), so wird heute Merkel nicht müde zu betonen, dass auch die Corona-Pandemie ein Schlag von außen ist. Auf diese massive Störung und dem damit verbundene­n psychologi­schen Schock kann der Staat durchaus mit einer vorausscha­uenden Nachfrageu­nd Interventi­onspolitik nach dem Vorbild des New Deal reagieren. Das hat nichts damit zu tun, der öffentlich­en Hand einen Allmachtsa­nspruch sozialisti­schen Zuschnitts zuzubillig­en. Es ist eher die Erkenntnis, dass hier der Staat die Aufgabe zu erfüllen hat, gewisserma­ßen als Versicheru­ng im Pandemiefa­ll, eine Genesung innerhalb des bestehende­n Systems herbeizufü­hren. Ein New Deal für Deutschlan­d und Europa wäre bei allen Schwächen der derzeitige­n Krisenpoli­tik im Detail ein Aufbruch, der den Menschen Mut machen würde. Und er wäre ein Kontrapunk­t zum populistis­chen und teilweise widersprüc­hlichen Zickzackku­rs in Ländern wie den USA oder Brasilien.

Auch der EU-Klimaplan nennt sich „Green Deal“in Anlehnung an das große US-Programm in den 30er Jahren

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