Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Kirmes ohne Flair
Die Corona-Krise treibt die Schausteller an den Rand des Ruins. Vielerorts wurden Pop-up-Freizeitparks hochgezogen, um nicht ganz ohne Einnahmen dazustehen. Viel mehr als eine Übergangslösung ist das aber nicht.
DÜSSELDORF/DORTMUND „Mir blutet das Herz“, sagt Dagmar Osselmann, die mit ihrem Autoscooter gerade auf dem Düsseldorfer Messegelände steht statt auf den Rheinwiesen, wo in wenigen Tagen die Rheinkirmes begonnen hätte. Nun ist sie ist froh, dass sie ihr Fahrgeschäft in diesem Jahr überhaupt vom Hof in Mettmann bewegen konnte. Kaum eine Branche wird durch die Corona-Pandemie und ihre Einschränkungen so schwer gebeutelt wie die der Schausteller. Seit den Weihnachtsmärkten haben die meisten nichts mehr verdient. Der Lockdown und die Absage der Volksfeste traf sie hart und unvorbereitet, waren sie doch gerade dabei, sich den Winterschlaf aus den Augen zu reiben. Winter, so nennen die Schausteller die ersten drei Monate des Jahres, in denen keine Volksfeste stattfinden und sie von Einnahmen der Frühlings- und Sommermonate aus dem Vorjahr leben.
Vielerorts wurden deshalb in den vergangenen Wochen temporäre, sogenannte Pop-up-Freizeitparks hochgezogen, um die laufenden Kosten im Zaum zu halten und Mitarbeiter nicht vor die Tür setzen zu müssen. So entstanden das „Düsselland“in Düsseldorf, das „Fundomio“in Dortmund oder das
„Ibbi-Land“in Ibbenbüren. Eingezäunte, großzügige Gelände, auf denen Abstände eingehalten werden können. Maskenpflicht bei den Fahrgeschäften, Desinfektionsspender, Besucherkontingente, Eintritt, kein Alkohol. Steriler Spaß.
„Wir sind draußen und haben etwas von unserem Leben zurück. Es geht nicht darum, hier reich zu werden“, sagt Rudolf Barth, dem die bekannte Achterbahn „Wilde Maus“gehört und der aus einer mehr als 100 Jahre alten Schausteller-Familie stammt. Die Pop-up-Freizeitparks sind vielmehr ein Übergangsmodell, der Versuch einer Branche, die vom pulsierenden Leben, von eng gedrängten, ausgelassen Feiernden existiert, sich über Wasser zu halten. Solange, bis wieder bessere Zeiten anbrechen. Und ein Weg, ein Signal an die Politik zu senden, wie Barth betont: „Volksfeste unter Corona-Bedingungen funktionieren.“
Der Spaß, der in Zeiten von Corona in den Hintergrund gedrängt wurde, kehrt nur langsam zurück: Das neue Angebot des Kirmes-Freizeitparks läuft eher verhalten an. Es scheint, als müssten sich die Menschen erst an die neue Art der Vergnügung gewöhnen, die sich eher an Familien mit jüngeren Kindern richtet. „Der Anfang war schwer, aber es geht aufwärts“, sagt Patrick Ahrens vom Schaustellerverein Rote Erde, der den Freizeitpark in Dortmund organisiert hat. Otto Cornelius vom Schaustellerverein Tecklenburger Land hat den Freizeitpark in Ibbenbüren ins Leben gerufen und vor allem Kollegen aus der Region Stellplätze freigehalten. Er ist mit dem Start zufrieden: „Es kommen mehr Menschen als erhofft. Wenn die Sonne scheint, steigert sich das sicher noch.“
In Düsseldorf scheint es etwas bewirkt zu haben, die anfänglichen Zeitfenster von drei Stunden aufzuheben. So würde sich nun auch die Anfahrt von weiter weg lohnen, sagt Hubert Markmann, der das Fahrgeschäft „Octopussy“betreibt: „Alle gehen diszipliniert mit den Regeln um. Es war deshalb gerechtfertigt, das Zeitlimit abzuschaffen.“Markmann hat auch Besucher vor Ort gefragt, wie ihnen das „Düsselland“gefällt. „Alle waren begeistert und haben gesagt: So hätten sie es sich nicht vorgestellt.“Barth berichtet zudem, er wisse von seinem Bruder, der einen normalen Freizeitpark führt, dass viele Familien am Ende der Ferien kämen.
„An den Juli-Wochenenden war es schon ganz gut“, sagt auch Dagmar Osselmann. Es müsse sich aber noch mehr rumsprechen – auch, dass es darum gehe, die zu unterstützen, die seit Jahrhunderten die Volksfeste mit Leben füllen. Viele der mehr als 5000 Schaustellerfamilien in Deutschland sind derzeit von Insolvenz bedroht.
Unterschiede zwischen den Freizeitparks gibt es im Zugangskonzept. In Düsseldorf beispielsweise kostet der Eintritt acht Euro. Enthalten sind Darbietungen wie Hochseilshow oder Kasperletheater. Die Fahrgeschäfte kosten extra. In Dortmund kostete der Eintritt zunächst 34 Euro, dafür sind alle Fahrgeschäfte enthalten. Nun gibt es auch ein Flanierticket für fünf Euro. Im „Ibbi-Land“
gilt ein Mindestverzehr von zehn Euro.
Unsicher ist, wie es danach weitergeht. Um die Dortmunder Westfalenhallen sollen ab Mitte August wieder Messen stattfinden, dann ist für das „Fundomio“Schluss, in Ibbenbüren läuft das Experiment erstmal bis Anfang August, in Düsseldorf bis Ende Juli. Bis dahin wird über eine Verlängerung entschieden. Viele Schausteller würden bleiben. „Wo sollen wir denn sonst hin?“, fragt Markmann. Sollten auch 2021 keine Volksfeste gefeiert werden können, könnte sich Barth das Konzept Freizeitpark auch längerfristig vorstellen. „Dafür muss es aber irgendwann rentabel werden. Jedes Mal etwas drauflegen, um zu zeigen: Wir sind noch da – das geht nicht.“Er weiß von vielen Kollegen, die gerade dabei sind, anderswo Freizeitparks aufzuziehen. Funktionieren könne das Konzept aber nur in Großstädten, glaubt er.
Der größte Unterschied zum Volksfest ist für die Schausteller das fehlende Kirmes-Flair, auch wenn die Veranstalter mit Dekoration und Imbissbuden versucht haben, die Atmosphäre in die Parks zu transportieren. Entscheidend dafür sind aber die Menschen. „Der Park ist ganz nett, kann die Kirmes aber nicht ersetzen“, sagt Patrick Ahrens aus Dortmund. „Umsätze wie auf einer traditionsreichen Kirmes, bei der die ganze Stadt auf den Beinen ist, werden wir nicht nicht annähernd erreichen“, erklärt auch Otto Cornelius vom „Ibbi-Land“.
Dagmar Osselmann möchte im nächsten Jahr wieder Teil der Rheinkirmes sein, hofft wie viele andere aber noch auf die Weihnachtsmärkte in diesem Jahr. Sie appelliert an die Politik: „Wir wollen unsere Kirmes wiederhaben, unser normales Leben.“