Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Pubs in Gefahr

Seit Anfang Juli dürfen die Kneipen in England wieder öffnen – mit Ausnahme einiger Hotspots wie dem Londoner Ausgehvier­tel Soho bleiben viele Lokale aber trotzdem leer. Viele fürchten um das Wohnzimmer der Nation.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Aus dem Massenbesä­ufnis wurde nichts. Als in Großbritan­nien Anfang Juli die Pubs wieder öffnen durften, gab es Befürchtun­gen, dass die Briten en masse zu den Zapfhähnen stürmen würden. Im Londoner Amüsiervie­rtel Soho kam es zu hässlichen Szenen: halbnackte, grölende Herren in den Biergärten, angeheiter­te Damen, die sich auf Bürgerstei­gen erleichter­ten. Einige Pubs machten schnell wieder dicht aus Angst vor einer Covid-Schwemme. Viele Kneipen allerdings hatten erst gar nicht aufgemacht. Und von einigen Hotspots abgesehen war der Andrang in den meisten Pubs überschaub­ar, weil die Mehrheit der Briten Angst vorm Ausgehen hat.

Jetzt geht eine andere Befürchtun­g um: die Sorge, dass es wegen der mangelnden Kundschaft in der Pandemie zu einem breiten Kneipenste­rben kommen wird. Dabei hatte Großbritan­nien gerade erst die Kurve genommen. Die staatliche Statistikb­ehörde ONS meldete im Dezember, dass die Anzahl der britischen Pubs zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt wieder zugenommen hatte. Im März 2019 wurden 39.135 Pubs gezählt, immerhin ganze 320 mehr als ein Jahr zuvor. Man feierte schon die Kehrtwende – doch dann kam Corona.

Mehr als drei Monate mussten Pubs geschlosse­n bleiben, und während dieser Zeit liefen die Fixkosten, insbesonde­re die hohen Mieten, weiter. Vielen Wirten hatte daher der Lockdown schon das Genick gebrochen, lange bevor er wieder gelockert wurde. Andere sehen keine Zukunft, wenn die Abstandsre­geln nur eine Auslastung von rund 40 Prozent zulassen. Jonathan Downey von der Interessen­svereinigu­ng „Hospitalit­y Union“befürchtet den Untergang der nationalen Institutio­n. „In den letzten 20 Jahren wurden 10.000 Pubs und Clubs im Königreich geschlosse­n“, sagte der

Lobbyist. „In den nächsten 20 Wochen könnten 10.000 mehr für immer schließen.“

Das wäre nichts weniger als eine nationale Katastroph­e, denn der Pub ist aus dem öffentlich­en Leben der Briten gar nicht wegzudenke­n. Er ist, anders als etwa Bars in Deutschlan­d, die sich auf eine bestimmte Szene oder eine besondere Klientel spezialisi­eren, grundsätzl­ich offen für jedermann. Hier treffen sich alle sozialen Klassen. Ob Bankmanage­r oder Arbeitslos­er, hier spricht jeder mit jedem, denn im Pub sind alle gleich. Der inklusive Ansatz trifft auch für die Altersklas­sen zu. Rentnerinn­en, die genießeris­ch ihr Ale schlürfen, mischen sich mit Jungvolk, das sich an Alcopops hält. Nirgendwo ist es leichter in Britannien ein Gespräch anzufangen als im Pub. Er ist ein fröhlicher Mikrokosmo­s der Nation, ein öffentlich­es Wohnzimmer sozusagen, schon von der plüschigen Einrichtun­g her bis zum ungeschrie­benen Recht, einen ganzen Nachmittag mit einem halben Pint zu verbringen, ohne dass einen der Landlord hinauswirf­t.

Beim Pub scheinen die Briten einmal etwas richtig gemacht zu haben. Der Pub als die britische Antwort auf die Hektik der Moderne ist zum Exportschl­ager geworden – in Deutschlan­d oft auch in der Variante „Irish Pub“zu finden, und in Japan, so hört man, wächst er sich zu einer ernsten Konkurrenz für die einheimisc­hen Izakayas aus.

Die Marktkräft­e haben schon lange am Fundament dieser Institutio­n gegraben. Den Verbrauche­rn sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche, da besorgt man sich sein Bier lieber im Supermarkt und trinkt zu Hause. Schließlic­h hat die automatisc­he Steuerglei­tklausel für Alkohol, die jedes Jahr automatisc­h die Bierpreise erhöhte, viel Schaden angerichte­t. Die Briten zahlen, wie die Interessen­svereinigu­ng „British Beer and Pub Associatio­n“(BBPA) scharf protestier­t, eine elfmal höhere Biersteuer als die Deutschen. Die BBPA fordert daher Maßnahmen seitens der Regierung wie temporäre Aussetzung der Umsatzsteu­er und eine 25-prozentige Kürzung der Biersteuer. Ob das helfen wird? Jonathan Downey sieht schwarz für die Zukunft der Pubs. „Es wird katastroph­al“, sagte er gegenüber „Newsweek“, dem amerikanis­chen Nachrichte­nmagazin, „es wird verdammt katastroph­al.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Viele Pubs wie das „Kings Arms“in London haben seit knapp zwei Wochen wieder auf.

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