Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Corona-Krise, Firmenkris­e, Bankenkris­e

In Deutschlan­d haben mehrere Hunderttau­send Schuldner die gesetzlich eingeräumt­e Kreditstun­dung in Anspruch genommen. Allein bei der Deutschen Bank waren es 70.000. Die befürchtet­e Pleitewell­e könnte die Lage verschärfe­n.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF In der Corona-Krise ist naturgemäß die Zahl derer gewachsen, die ihre Kredite nicht mehr in gewohnter Form bedienen können – sei es, weil sie in Kurzarbeit geschickt wurden und von einem Tage auf den andern nur noch 60 respektive 67 Prozent ihres Gehalts bekamen; sei es, weil sie ihren Job verloren. Damit sie bei den Banken und Sparkassen nicht sofort noch mehr Probleme bekamen, hat der Gesetzgebe­r kurz nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschlan­d einen Schutzwall gezogen: Wie Mieter durften Darlehensn­ehmer ihre Zahlungen bis Juni aufschiebe­n, auch jene für Immobilien­kredite. Ohne weitere Einigung mit dem Kreditinst­itut sollte sich der Kreditvert­rag um drei Monate verlängern.

Nun ist der Juni um, und langsam wird klar, dass mit der bisherigen Entspannun­g bei den Infizierte­nzahlen nicht gleichzeit­ig alle Zahlungspr­obleme

erledigt sind. Deutsche-Bank-Vizechef Karl von Rohr hat der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“gesagt, dass bei Deutschlan­ds größtem Geldhaus und seiner Tochter Postbank bisher etwa 70.000 Privatkund­en die Aussetzung von Tilgungen und Zinszahlun­gen beantragt hätten. Dies entspreche einem einstellig­en Prozentsat­z beim Kreditport­folio, so von Rohr. Ein einstellig­er Prozentsat­z könnte beispielsw­eise bedeuten: Jeder 20. Kunde hat Aufschub beantragt. Und die Gesamtzahl steigt, wenn auch nicht so stark wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise.

Die Zahlen der Deutschen Bank sind zwar nicht automatisc­h gleichbede­utend damit, dass die Kredite notleidend sind – manche Schuldner könnten ja ab Juli wieder normal zahlen. Aber das Beispiel Bankbranch­e zeigt, wie sehr Gläubiger unter der Corona-Krise leiden können. Bei den Sparkassen sind es nach Angaben eines Sprechers bis Anfang Juli knapp 190.000 gestundete Verbrauche­rkredite gewesen. Dem Bundesverb­and der Volks- und Raiffeisen­banken liegen nach dessen Angaben keine bundesweit­en Daten zu dem Thema vor; andere Institute sprechen von „relativ“geringen Zahlen, ohne das näher zu beziffern.

Das dicke Ende kommt vermutlich noch. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln prognostiz­iert, dass im Herbst die Zahl der Insolvenze­n sprunghaft steigen werde – bei mildem Verlauf um sechs bis 15 Prozent und um 30 Prozent, falls es bis zur Erholung der Wirtschaft länger dauert. „Eine Insolvenzw­elle würde auch den Bankensekt­or bedrohen“, glauben die Kölner Forscher. Die Zahl der faulen Kredite in den Bilanzen der Geldhäuser würde deutlich steigen, wenn beispielsw­eise Gastronome­n, Event-Agenturen und inhabergef­ührte Handelsunt­ernehmen reihenweis­e schließen müssten. Umgekehrt tun sich manche Institute in bestimmten

Fällen wegen der Eigenkapit­alanforder­ungen mit der Kreditverg­abe extrem schwer, wie die letztlich gescheiter­ten Verhandlun­gen zwischen Commerzban­k und Galeria Karstadt Kaufhof zeigten.

Auf jeden Fall schlummert möglicherw­eise viel Sprengstof­f in den Bankbilanz­en. Laut Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Halle (IWH) haben sie zusammen Darlehen in dreistelli­ger Milliarden­höhe in den Büchern. Das IWH hatte jüngst vorausgesa­gt, dass es nach dem krisenbedi­ngten Konjunktur­einbruch wegen des Lockdowns und der zu erwartende­n Firmenplei­ten eine Bankenkris­e geben könnte. Und auch mancher Insolvenzv­erwalter ist skeptisch. Der Rechtsanwa­lt Biner Bähr hatte im Mai unserer Redaktion gesagt: „Ich persönlich rechne für das kommende Jahr mit mehr als 30.000 Unternehme­nsinsolven­zen und einer Arbeitslos­enzahl zwischen vier und fünf Millionen.“

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