Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Corona-Krise, Firmenkrise, Bankenkrise
In Deutschland haben mehrere Hunderttausend Schuldner die gesetzlich eingeräumte Kreditstundung in Anspruch genommen. Allein bei der Deutschen Bank waren es 70.000. Die befürchtete Pleitewelle könnte die Lage verschärfen.
DÜSSELDORF In der Corona-Krise ist naturgemäß die Zahl derer gewachsen, die ihre Kredite nicht mehr in gewohnter Form bedienen können – sei es, weil sie in Kurzarbeit geschickt wurden und von einem Tage auf den andern nur noch 60 respektive 67 Prozent ihres Gehalts bekamen; sei es, weil sie ihren Job verloren. Damit sie bei den Banken und Sparkassen nicht sofort noch mehr Probleme bekamen, hat der Gesetzgeber kurz nach dem Ausbruch der Pandemie in Deutschland einen Schutzwall gezogen: Wie Mieter durften Darlehensnehmer ihre Zahlungen bis Juni aufschieben, auch jene für Immobilienkredite. Ohne weitere Einigung mit dem Kreditinstitut sollte sich der Kreditvertrag um drei Monate verlängern.
Nun ist der Juni um, und langsam wird klar, dass mit der bisherigen Entspannung bei den Infiziertenzahlen nicht gleichzeitig alle Zahlungsprobleme
erledigt sind. Deutsche-Bank-Vizechef Karl von Rohr hat der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“gesagt, dass bei Deutschlands größtem Geldhaus und seiner Tochter Postbank bisher etwa 70.000 Privatkunden die Aussetzung von Tilgungen und Zinszahlungen beantragt hätten. Dies entspreche einem einstelligen Prozentsatz beim Kreditportfolio, so von Rohr. Ein einstelliger Prozentsatz könnte beispielsweise bedeuten: Jeder 20. Kunde hat Aufschub beantragt. Und die Gesamtzahl steigt, wenn auch nicht so stark wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise.
Die Zahlen der Deutschen Bank sind zwar nicht automatisch gleichbedeutend damit, dass die Kredite notleidend sind – manche Schuldner könnten ja ab Juli wieder normal zahlen. Aber das Beispiel Bankbranche zeigt, wie sehr Gläubiger unter der Corona-Krise leiden können. Bei den Sparkassen sind es nach Angaben eines Sprechers bis Anfang Juli knapp 190.000 gestundete Verbraucherkredite gewesen. Dem Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken liegen nach dessen Angaben keine bundesweiten Daten zu dem Thema vor; andere Institute sprechen von „relativ“geringen Zahlen, ohne das näher zu beziffern.
Das dicke Ende kommt vermutlich noch. Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln prognostiziert, dass im Herbst die Zahl der Insolvenzen sprunghaft steigen werde – bei mildem Verlauf um sechs bis 15 Prozent und um 30 Prozent, falls es bis zur Erholung der Wirtschaft länger dauert. „Eine Insolvenzwelle würde auch den Bankensektor bedrohen“, glauben die Kölner Forscher. Die Zahl der faulen Kredite in den Bilanzen der Geldhäuser würde deutlich steigen, wenn beispielsweise Gastronomen, Event-Agenturen und inhabergeführte Handelsunternehmen reihenweise schließen müssten. Umgekehrt tun sich manche Institute in bestimmten
Fällen wegen der Eigenkapitalanforderungen mit der Kreditvergabe extrem schwer, wie die letztlich gescheiterten Verhandlungen zwischen Commerzbank und Galeria Karstadt Kaufhof zeigten.
Auf jeden Fall schlummert möglicherweise viel Sprengstoff in den Bankbilanzen. Laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) haben sie zusammen Darlehen in dreistelliger Milliardenhöhe in den Büchern. Das IWH hatte jüngst vorausgesagt, dass es nach dem krisenbedingten Konjunktureinbruch wegen des Lockdowns und der zu erwartenden Firmenpleiten eine Bankenkrise geben könnte. Und auch mancher Insolvenzverwalter ist skeptisch. Der Rechtsanwalt Biner Bähr hatte im Mai unserer Redaktion gesagt: „Ich persönlich rechne für das kommende Jahr mit mehr als 30.000 Unternehmensinsolvenzen und einer Arbeitslosenzahl zwischen vier und fünf Millionen.“