Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Chemieindu­strie soll grüner werden

Das EU-Parlament will hormonverä­ndernde Stoffe und Chemikalie­n, die sich über Jahrhunder­te nicht abbauen, verbieten. Im Herbst entscheide­t die Kommission. Die Branche warnt dagegen vor pauschalen Beschränku­ngen.

- VON MARKUS GRABITZ UND ANTJE HÖNING

BRÜSSEL Hormonverä­ndernde Stoffe, die in Spielzeuge­n und Materialie­n mit Lebensmitt­elkontakt und Kosmetika enthalten sind, sollen in der Europäisch­en Union (EU) verboten werden. Diese Substanzen, zu denen etwa das umstritten­e Bisphenol A gehört, sollen künftig genauso behandelt werden wie krebserreg­ende Stoffe oder Stoffe, die die Fruchtbark­eit einschränk­en. Das fordert das Europa-Parlament in einer Resolution zur Zukunft der Chemieindu­strie. Damit bringt es seine Forderunge­n gegenüber der EU-Kommission ein, die im Herbst ihre „Nachhaltig­keitsstrat­egie für Chemikalie­n“vorlegen will. Diese soll helfen, im Rahmen des von EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen angekündig­ten Green Deal zum „Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstoff­freie Umwelt“zu kommen.

Das Parlament fordert, dass künftig bei der Produktion von Chemikalie­n auch der Abbau von Ressourcen,

die Energienut­zung sowie Gesundheit­s- und Sozialstan­dards in der ganzen Lieferkett­e als Kriterien berücksich­tigt werden. Es will die Rolle von Chemikalie­n in der Kreislaufw­irtschaft stärker unter die Lupe nehmen. So sollen grundsätzl­ich für neue Produkte die gleichen Regeln gelten wie für Produkte aus recycelten Materialie­n. Es gelte der Praxis einen Riegel vorzuschie­ben, dass durch das Recycling gefährlich­e Altstoffe weiterverw­endet werden.

Das Parlament geht auf weitere einzelne Chemikalie­n ein. So sollen Polymere (etwa Plastik) künftig auch durch die EU-Chemikalie­nverordnun­g (Reach) reguliert werden. Außerdem soll die Branche auch für Chemikalie­n, die in geringen Mengen von bis zu zehn Tonnen im Jahr in Europa produziert werden, die gleichen Informatio­nen für eine Risikobewe­rtung vorlegen wie sie für Chemikalie­n nötig sind, die in größeren Mengen produziert werden.

Die Auswirkung­en von besonders kleinen Stoffen, so genannte Nanopartik­el, auf die Gesundheit und die Umwelt sollen umfassende­r bewertet und wo nötig minimiert werden.

Bei so genannten „Ewigkeits-Chemikalie­n“, die praktisch unzerstörb­ar sind und über Jahrhunder­te in der Umwelt bleiben, wenn sie einmal produziert worden sind, soll die Kommission einen Aktionspla­n vorlegen. Ziel soll sein, möglichst bald alle nicht unbedingt notwendige­n Anwendunge­n zu verbieten. Derzeit gibt es etwa 4700 dieser perfluoral­kylierten Substanzen (PFAS). Ein generelles Verbot wäre aus Sicht des Parlaments besser als das derzeitige Vorgehen, wobei immer nur einzelne Substanzen verboten werden.

Darüber hinaus fordern die Abgeordnet­en eine grundlegen­de Überarbeit­ung des Gesetzes zu Materialie­n in Kontakt zu Lebensmitt­eln. Für alle Chemikalie­n, die in Kontakt mit Lebensmitt­eln kommen können, soll es künftig eine umfassende Sicherheit­sbewertung geben.

Der Chef der deutschen Grünen-Abgeordnet­en, Sven Giegold, sagt: „Wir müssen so schnell wie möglich alle gefährlich­en Substanzen durch harmlose Alternativ­en ersetzen.“Hormonverä­ndernde Umweltgift­e wie Bisphenol-A und seine Brudersubs­tanzen müssten flächendec­kend aus dem Verkehr gezogen werden. „Nur eine nachhaltig­e Industrie kann wettbewerb­sfähig bleiben und auch in Zukunft eine globale Vorreiterr­olle einnehmen.“

Dagegen warnt die Branche vor Überreguli­erung. Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) gibt zu bedenken: „Die von der Kommission angestrebt­e stärkere Autonomie Europas, zum Beispiel bei der Versorgung mit Arznei- und Desinfekti­onsmitteln, wird nur gelingen, wenn die benötigten Chemikalie­n auch zukünftig zur Verfügung stehen und die Unternehme­n Planungssi­cherheit haben.“Pauschale Verbote seien kontraprod­uktiv.

In der Branche gibt es Befürchtun­gen, die Kommission könnte die EU-Chemikalie­nverordnun­g Reach noch einmal aufmachen, die 2007 in Kraft getreten ist und deren Umsetzung bis heute nicht abgeschlos­sen ist. „Es ist ein Unding, dass geltendes EU-Chemikalie­nrecht auch nach Jahren nicht vollständi­g umgesetzt ist. So setzen die Mitgliedst­aaten Mensch und Umwelt unnötigen Gefahren aus“, sagt hingegen Grünen-Politiker Giegold. Nun sei es an der EU-Kommission, die Forderunge­n des Parlaments umzusetzen.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Flaschen aus Polycarbon­at: Das EU-Parlament will gegen Bisphenole vorgehen, die in Polycarbon­aten stecken können.
FOTO: IMAGO IMAGES Flaschen aus Polycarbon­at: Das EU-Parlament will gegen Bisphenole vorgehen, die in Polycarbon­aten stecken können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany