Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Chemieindustrie soll grüner werden
Das EU-Parlament will hormonverändernde Stoffe und Chemikalien, die sich über Jahrhunderte nicht abbauen, verbieten. Im Herbst entscheidet die Kommission. Die Branche warnt dagegen vor pauschalen Beschränkungen.
BRÜSSEL Hormonverändernde Stoffe, die in Spielzeugen und Materialien mit Lebensmittelkontakt und Kosmetika enthalten sind, sollen in der Europäischen Union (EU) verboten werden. Diese Substanzen, zu denen etwa das umstrittene Bisphenol A gehört, sollen künftig genauso behandelt werden wie krebserregende Stoffe oder Stoffe, die die Fruchtbarkeit einschränken. Das fordert das Europa-Parlament in einer Resolution zur Zukunft der Chemieindustrie. Damit bringt es seine Forderungen gegenüber der EU-Kommission ein, die im Herbst ihre „Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien“vorlegen will. Diese soll helfen, im Rahmen des von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten Green Deal zum „Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt“zu kommen.
Das Parlament fordert, dass künftig bei der Produktion von Chemikalien auch der Abbau von Ressourcen,
die Energienutzung sowie Gesundheits- und Sozialstandards in der ganzen Lieferkette als Kriterien berücksichtigt werden. Es will die Rolle von Chemikalien in der Kreislaufwirtschaft stärker unter die Lupe nehmen. So sollen grundsätzlich für neue Produkte die gleichen Regeln gelten wie für Produkte aus recycelten Materialien. Es gelte der Praxis einen Riegel vorzuschieben, dass durch das Recycling gefährliche Altstoffe weiterverwendet werden.
Das Parlament geht auf weitere einzelne Chemikalien ein. So sollen Polymere (etwa Plastik) künftig auch durch die EU-Chemikalienverordnung (Reach) reguliert werden. Außerdem soll die Branche auch für Chemikalien, die in geringen Mengen von bis zu zehn Tonnen im Jahr in Europa produziert werden, die gleichen Informationen für eine Risikobewertung vorlegen wie sie für Chemikalien nötig sind, die in größeren Mengen produziert werden.
Die Auswirkungen von besonders kleinen Stoffen, so genannte Nanopartikel, auf die Gesundheit und die Umwelt sollen umfassender bewertet und wo nötig minimiert werden.
Bei so genannten „Ewigkeits-Chemikalien“, die praktisch unzerstörbar sind und über Jahrhunderte in der Umwelt bleiben, wenn sie einmal produziert worden sind, soll die Kommission einen Aktionsplan vorlegen. Ziel soll sein, möglichst bald alle nicht unbedingt notwendigen Anwendungen zu verbieten. Derzeit gibt es etwa 4700 dieser perfluoralkylierten Substanzen (PFAS). Ein generelles Verbot wäre aus Sicht des Parlaments besser als das derzeitige Vorgehen, wobei immer nur einzelne Substanzen verboten werden.
Darüber hinaus fordern die Abgeordneten eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes zu Materialien in Kontakt zu Lebensmitteln. Für alle Chemikalien, die in Kontakt mit Lebensmitteln kommen können, soll es künftig eine umfassende Sicherheitsbewertung geben.
Der Chef der deutschen Grünen-Abgeordneten, Sven Giegold, sagt: „Wir müssen so schnell wie möglich alle gefährlichen Substanzen durch harmlose Alternativen ersetzen.“Hormonverändernde Umweltgifte wie Bisphenol-A und seine Brudersubstanzen müssten flächendeckend aus dem Verkehr gezogen werden. „Nur eine nachhaltige Industrie kann wettbewerbsfähig bleiben und auch in Zukunft eine globale Vorreiterrolle einnehmen.“
Dagegen warnt die Branche vor Überregulierung. Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) gibt zu bedenken: „Die von der Kommission angestrebte stärkere Autonomie Europas, zum Beispiel bei der Versorgung mit Arznei- und Desinfektionsmitteln, wird nur gelingen, wenn die benötigten Chemikalien auch zukünftig zur Verfügung stehen und die Unternehmen Planungssicherheit haben.“Pauschale Verbote seien kontraproduktiv.
In der Branche gibt es Befürchtungen, die Kommission könnte die EU-Chemikalienverordnung Reach noch einmal aufmachen, die 2007 in Kraft getreten ist und deren Umsetzung bis heute nicht abgeschlossen ist. „Es ist ein Unding, dass geltendes EU-Chemikalienrecht auch nach Jahren nicht vollständig umgesetzt ist. So setzen die Mitgliedstaaten Mensch und Umwelt unnötigen Gefahren aus“, sagt hingegen Grünen-Politiker Giegold. Nun sei es an der EU-Kommission, die Forderungen des Parlaments umzusetzen.