Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Allerweltsware statt Premium-Produkt
Verwässerung der Wettbewerbe, übertriebene Kommerzialisierung, unansehnliche Auftritte: Die Fußball-Nationalmannschaft droht, an Relevanz zu verlieren und am Ende nur noch bei EM und WM die Massen zu faszinieren.
Unter dem Strich ist es wohl keine gewagte Behauptung, der Deutsche Fußball-Bund habe schon bessere Wochen erlebt als die zurückliegende. Erst rückten in der DFB-Zentrale die Steuerfahnder ein, dann gab es zwei maue Länderspielauftritte beim 3:3 gegen die Türkei und beim 2:1 in der Ukraine, das Türkei-Spiel erzielte die niedrigste Einschaltquote seit mindestens 20 Jahren, frühere Aushängeschilder wie Lothar Matthäus („Genau deshalb schaltet für Deutschland keiner mehr den Fernseher ein“) und Berti Vogts („Als Fußballfan würde ich mir verschaukelt vorkommen“) übten öffentlich Kritik, und Bundestrainer Joachim Löw gab sich als schnippischer Landvogt („Ich weiß, was ich tue“).
Was ist nur aus dem Lieblingskind der Deutschen geworden, fragt sich mancher dieser Tage. Viele fragen sich das auch für sich selbst. Wo vor Jahren keiner wagte, mit einer Essenseinladung für den Mittwochabend zu kommen, wo doch da die Nationalmannschaft im Fernsehen lief. Wo man am nächsten Morgen bei der Arbeit quasi Luft war, hatte man die Partie nicht gesehen. Wo Länderspiele die Schlagsahne auf dem Erdbeerboden Bundesliga waren. Viel ist der DFB-Auswahl nicht mehr geblieben von ihrem Status. Das Premium-Produkt mag Werbeund Marketing-Erlöse in extremen Maße gesteigert haben, doch wenn DFB-Präsident Fritz Keller nicht müde wird, den Fußball als letztes Lagerfeuer der Gesellschaft zu preisen, dann geht Länderspielen inzwischen das Brennholz aus. Man könne sich nicht mehr hundertprozentig mit der Nationalmannschaft identifizieren, sagt Bastian Schweinsteiger.
Den DFB-Auftritten außerhalb von WM- und EM-Partien
ist in der Wahrnehmung vieler das Schlimmste passiert, was einem Unterhaltungsprodukt zustoßen kann: Es ist beliebig geworden. Verwässert. Fast schon egal. Die Nations League hat viel dazu beigetragen. Früher gab es Freundschaftsspiele. Da war das Ergebnis egal. Und dann gab es WM- oder EM-Qualifikationsspiele. Da war das Ergebnis nicht egal. Bei der Nations League ist für viele bis heute nicht klar geworden, ob Ergebnisse hier egal sind. Die Relevanz und Wichtigkeit dieses Wettbewerbs sind unklar. Seine Einführung als zusätztliche Einnahmequelle dagegen versteht jeder. Das Premiumprodukt droht, auf dem Wühltisch der TV-Angebote zu landen.
Hier liegt das zweite Problem. Die Kommerzialisierung des Fußballs stößt vielen Fans auf, aber in punkto Bundesliga drückt die Mehrzahl ein Auge zu, weil der eigene Verein Teil des Systems ist. Aber die Nationalmannschaft und ihr Cola-gesponsorter Fanclub sind zum Symbol für die Gewinnmaschinerie Profifußball geworden. RB Leipzig in schwarz-rotgold, zuweilen. Es wirkt, als habe diese Entwicklung dazu geführt, dass das Fansein auf Vereinsebene noch einmal an Wert gewonnen hat, das Interesse an der DFB-Auswahl aber auf der anderen Seite abnimmt.
Die Macher bei Uefa, Fifa und DFB müssen aufpassen, dass sie das Spiel nicht überreizen. Mehr ist irgendwann nicht mehr mehr. Länderspiele müssen wieder etwas Besonderes, etwas Lohnenswertes werden. Wenn es dreimal in der Woche Schweinebraten gibt, muss das Sonntagsessen zwangsläufig an Wert verlieren. Als Reaktion darauf ein viertes Mal Schweinebraten anzubieten, wirkt schon skurril.