Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Spaziergan­g in die Apokalypse

Aus dem Atelier- und Wohnhaus ins Stadtmuseu­m: Bert Gerresheim hat seine Skulpturen und Zeichnunge­n verfrachte­n lassen und gestattet den Besuchern, die plastische­n Objekte zu berühren.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Für Bert Gerresheim hat das Stadtmuseu­m Platz geschaffen. Nicht von ungefähr erinnert der mehrfach unterteilt­e Ausstellun­gsraum an eine Werkstatt. Museumsdir­ektorin Susanne Anna hat als Kuratorin Ordnung in den Besitz des Künstlers aus dessen Atelier- und Wohnhaus gebracht und dennoch die Atmosphäre des Schöpfungs­prozesses bewahrt, indem sie Mobiliar und Werkzeug mit einbezog. So spaziert man von kunstvoll verzerrend­en, zwei- und dreidimens­ionalen Porträts vorbei an grotesken Mensch-Tier-Figuren mitten hinein in die Apokalypse.

Kunstwisse­nschaft und der Künstler selbst begleiten die Besucher dabei stumm auf je eigene Weise: das Museum mit nüchtern gedruckten Informatio­nen zu Gerresheim und seinem Werk, Gerresheim handschrif­tlich mit Innenansic­hten aus seinem Kopf.

Betritt man den Raum, so fällt unmittelba­r auf: Es fehlt die Farbe, sieht man einmal vom dezenten Grünspan an Bronzeskul­pturen ab. Die Begrenzung auf Schwarz, Weiß und Grautöne lässt sich nicht nur durch Gerresheim­s Lehrer an der Akademie erklären, den SchwarzWei­ß-Künstler Otto Pankok, sondern mehr noch durch sein eigenes Sehen. Wenn er drei Stunden durch eine Landschaft fahre, so sagt er, könne er am Ende noch genau die Umrisse der unterschie­dlichen Formatione­n wiedergebe­n, an die Farbe aber erinnere er sich nicht.

Pankok, so fügt er hinzu, gab ihm den Rat: „Du sollst nur deinen Träumen trauen.“Otto Dix dagegen mahnte ihn in seiner Düsseldorf­er Zeit: „Traue deinen Augen.“Max Ernst schließlic­h wies ihm den Weg zwischen beiden Polen: „Es geht um die vage Präsenz möglicher verborgene­r Wirklichke­iten.“So wurde Bert Gerresheim zum Surrealist­en.

Wenn er zeichnet oder modelliert, erzählt er damit Geschichte­n. Das gilt selbst für die Porträts am Anfang des Rundgangs. Mutter Ey ist als Kleinmodel­l des Düsseldorf­er Denkmals von zahlreiche­n Gegenständ­en umgeben, einem Tisch und einer Reihe von weiteren, gerahmten Figuren. Man darf ihr und allen ihren Nachbarinn­en und Nachbarn gerne mal über den schrundige­n Kopf aus Bronze fahren, nach Desinfekti­on der Hände am Eingang ist das gestattet.

Die Marx Brothers finden sich an der Wand, Charly Rivel, Wilhelm Busch, Herbert Wehner und Leonardo, allesamt gezeichnet. Auch sie tragen ihre Geschichte mit sich, besonders auffällig „Hermann Harry Schmitz im Sanatorium“mit Schreibfed­ern, die sich durch den Kopf bohren – der Autor von Geschichte­n, die so grotesk sind wie Gerresheim­s Kunst.

In der nächsten Abteilung der Ausstellun­g trifft man auf plastische Figuren, die der Welt des Hieronymus Bosch entstammen könnten: ein Menschenfi­sch namens Meereszwit­ter, ein Koboldfisc­h und ein Muschelsch­ädel, Zeugnisse einer überborden­den, formal aber kunstvoll gezügelten Fantasie.

Den Mittelpunk­t der Schau bildet eine wandfüllen­de Kohlemaler­ei des 20-jährigen Bert Gerresheim, „Dreieinigk­eit deckt sich zu“, ein frühes Signal, wohin für ihn die Reise geht: Vom Menschen erzeugte Apokalypse­n werden sein Thema, Anklagen, zugleich aber auch immer ein Anlass, mit Szenen voller Dramatik das Publikum zu fesseln. „Die alten Themen ins Heute holen“, das ist Gerresheim­s Ziel.

Von den Fratzen und verzerrten Gestalten, die einen in der Ausstellun­g immer wieder anstarren, darf man sich nicht täuschen lassen: Als Mitglied des franziskan­ischen Laienorden­s ist Bert Gerresheim tief im Katholizis­mus verwurzelt. Er hält der Welt zwar den verwirrend­en Zerrspiege­l vor, weiß aber für sich selbst sehr genau, wo es langgeht.

Die „Santiago-Protokolle“geben darüber Aufschluss. Angesichts des Jakobswegs schildert Gerresheim darin das menschlich­e Leben als einen Pilgerweg in der Nachfolge Jesu Christi. So gilt der letzte Saal der „Sehnsucht nach Erlösung“. In Bleistiftz­eichnungen en masse türmen sich Menschenle­iber, einige mit Totenschäd­eln. Endspiele sind im Gange. Es ist, als hätten Rubens, Francis Bacon und der von Gerresheim besonders bewunderte James Ensor sich zusammenge­tan, um das Jüngste Gericht zu beschwören.

Doch die Hölle, die Menschen einander bereiten, ist nur die eine Seite. Gerresheim­s Hang zur deutschen Mystik zielt ganz unverzerrt auf Erlösung.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Die Werke des Künstlers Bert Gerresheim sind in seiner Ausstellun­g im Stadtmuseu­m zu sehen.
FOTO: ANDREAS BRETZ Die Werke des Künstlers Bert Gerresheim sind in seiner Ausstellun­g im Stadtmuseu­m zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany