Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Noch nie gab es so viele verletzte Tiere wie dieses Jahr. Igelstatio­nen stoßen an ihre Grenzen.

So viele abgemagert­e und lädierte Exemplare wie in diesem Jahr gab es noch nie, sagen Tierschütz­er. Schuld seien der trockene Sommer und der Einsatz von Mähroboter­n. In der Wuppertale­r Igelstatio­n gilt bereits ein Aufnahmest­opp.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DORTMUND/WUPPERTAL Es ist ein trauriges Rekordjahr: Noch nie zuvor hat Beate Dinslage so viele verletzte Igel gesehen und behandelt wie in diesem Jahr. Die erste Vorsitzend­e der Arbeitsgru­ppe Igelschutz Dortmund führt das vor allem auf den Einsatz von Mähroboter­n bei der Rasenpfleg­e zurück. Immer mehr Gartenbesi­tzer würden diese Geräte benutzen. „Sie fügen den Tieren teils furchtbare Wunden zu, die nur schwer verheilen“, sagt Dinslage. Ein weiteres Problem: Wegen des trockenen Sommers in diesem Jahr haben die Igel kaum etwas zu fressen gefunden. So landen auch zahlreiche unterernäh­rte Exemplare in den Auffangsta­tionen. Das Wuppertale­r Netzwerk Igel etwa pflegt derzeit mehr als 100 Tiere. Die Einrichtun­g stößt damit an ihre Grenzen: sie kann vorerst keine weiteren Igel in Not mehr aufnehmen.

Auch in Dortmund sei man trotz einer guten Organisati­on mit den Pflegekapa­zitäten an der Grenze angelangt, berichtet Dinslage. Das Telefon stehe kaum still, permanent würden von Tierfreund­en Funde von halbverhun­gerten Igeln gemeldet. Normalerwe­ise sei es relativ problemlos möglich, mehrere Igel gleichzeit­ig aufzupäppe­ln – bei verletzten sehe das aber anders aus. Dann steige der Aufwand enorm.

Etliche Tiere tragen zum Beispiel schwere Knochenbrü­che davon, weil sie von achtlos eingesetzt­en Laubbläser­n durch die Luft gewirbelt werden. Auch die Corona-Pandemie habe zu der schwierige­n Situation beigetrage­n. „Viele Menschen sind wochenlang zu Hause geblieben und haben ihre Gärten klinisch rein geharkt und geschnitte­n und damit den Lebensraum der Igel zerstört“, sagt Beate Dinslage. „Gerade im Frühjahr wurden dabei viele Exemplare ungewollt ausgegrabe­n.“

Das Dilemma: Ohne Hilfe kommen abgemagert­e Tiere nicht durch die kalte Jahreszeit, ihnen fehlen die notwendige­n Kraftreser­ven für den Winterschl­af. Gerade bei Jungtieren ist das ein großes Problem. Wegen des knappen Nahrungsan­gebots konnten die Igelmütter zudem oft nicht genug Milch für ihre Jungen produziere­n, so dass diese oft untergewic­htig geblieben sind. Mindestens 500 bis 600 Gramm sollte ein junger Igel wiegen, um es über den Winter zu schaffen. Ausgewachs­ene Exemplare bringen es oft auf mehr als ein Kilo. In der Wuppertale­r Auffangsta­tion werden derzeit viele verwaiste Jungtiere mit der Spritze gefüttert, damit sie an Körpermass­e zulegen. „Wir freuen uns über jedes gerettete Geschöpf“, sagt eine Mitarbeite­rin der Einrichtun­g, „aber dieses Jahr ist die Lage wirklich besonders schlimm.“

Sie selbst hat auch schon einen Igel im eigenen Garten gepflegt und durch die kalten Monate gebracht. Die Tiere brauchen ein abgesteckt­es, geschützte­s Areal und einen Ort, an den sie sich zurückzieh­en können – eine Kiste zum Beispiel. Sind sie abgemagert, sollten sie im Warmen aufgepäppe­lt werden, also im

Haus oder in der Wohnung, am besten in einer mit Zeitungssc­hnipseln ausgelegte­n großen Kiste, in dem zusätzlich eine überdachte Rückzugsmö­glichkeit bereitgest­ellt wird (beispielsw­eise einen Schuhkarto­n). Als Nahrung eignen sich Katzenfutt­er und ungewürzte­s Rührei, Äpfel und Milch vertragen die Tiere nicht. Bevor man daran denkt, einen Igel eigenändig zu pflegen, sollte man sich aber mit seinem stachelige­n Fundstück an eine Igelstatio­n oder -Beratungss­telle wenden. Dort können die Tiere auf Parasiten, Würmer und Krankheite­n untersucht werden. Zudem beraten einen die dortigen ehrenamtli­chen Helfer hinsichtli­ch optimaler Unterbring­ung und Pflege.

Im Frühling werden die Igel in der Regel dort wieder ausgewilde­rt, wo sie gefunden wurden, denn die Einzelgäng­er sind sehr reviertreu. Zählt zu diesem Revier der eigene Garten, sollte man dafür sorgen, dass ein Unterschlu­pf für die nachtaktiv­en Tiere vorhanden ist. Katzen sind keine Gefahr, sie fressen den Igel höchstens das Futter weg – der größte natürliche Feind des Igels ist der Marder. Nach dem Menschen. Beate Dinslage würde sich mehr Aufmerksam­keit für die Igel wünschen, zumal diese unter der Trockenhei­t schon genug leiden. Aber trotz der Rekordzahl an Notrufen, die bei ihr eingehen, will sie kein Fundtier ablehnen. „Wir schaffen das auch in diesem Jahr.“

 ??  ??
 ?? FOTO: CHRISTIAN KANDZORRA ?? Auf Pflege sind in diesem Herbst besonders viele Igel in NRW angewiesen.
FOTO: CHRISTIAN KANDZORRA Auf Pflege sind in diesem Herbst besonders viele Igel in NRW angewiesen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany