Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Noch nie gab es so viele verletzte Tiere wie dieses Jahr. Igelstationen stoßen an ihre Grenzen.
So viele abgemagerte und lädierte Exemplare wie in diesem Jahr gab es noch nie, sagen Tierschützer. Schuld seien der trockene Sommer und der Einsatz von Mährobotern. In der Wuppertaler Igelstation gilt bereits ein Aufnahmestopp.
DORTMUND/WUPPERTAL Es ist ein trauriges Rekordjahr: Noch nie zuvor hat Beate Dinslage so viele verletzte Igel gesehen und behandelt wie in diesem Jahr. Die erste Vorsitzende der Arbeitsgruppe Igelschutz Dortmund führt das vor allem auf den Einsatz von Mährobotern bei der Rasenpflege zurück. Immer mehr Gartenbesitzer würden diese Geräte benutzen. „Sie fügen den Tieren teils furchtbare Wunden zu, die nur schwer verheilen“, sagt Dinslage. Ein weiteres Problem: Wegen des trockenen Sommers in diesem Jahr haben die Igel kaum etwas zu fressen gefunden. So landen auch zahlreiche unterernährte Exemplare in den Auffangstationen. Das Wuppertaler Netzwerk Igel etwa pflegt derzeit mehr als 100 Tiere. Die Einrichtung stößt damit an ihre Grenzen: sie kann vorerst keine weiteren Igel in Not mehr aufnehmen.
Auch in Dortmund sei man trotz einer guten Organisation mit den Pflegekapazitäten an der Grenze angelangt, berichtet Dinslage. Das Telefon stehe kaum still, permanent würden von Tierfreunden Funde von halbverhungerten Igeln gemeldet. Normalerweise sei es relativ problemlos möglich, mehrere Igel gleichzeitig aufzupäppeln – bei verletzten sehe das aber anders aus. Dann steige der Aufwand enorm.
Etliche Tiere tragen zum Beispiel schwere Knochenbrüche davon, weil sie von achtlos eingesetzten Laubbläsern durch die Luft gewirbelt werden. Auch die Corona-Pandemie habe zu der schwierigen Situation beigetragen. „Viele Menschen sind wochenlang zu Hause geblieben und haben ihre Gärten klinisch rein geharkt und geschnitten und damit den Lebensraum der Igel zerstört“, sagt Beate Dinslage. „Gerade im Frühjahr wurden dabei viele Exemplare ungewollt ausgegraben.“
Das Dilemma: Ohne Hilfe kommen abgemagerte Tiere nicht durch die kalte Jahreszeit, ihnen fehlen die notwendigen Kraftreserven für den Winterschlaf. Gerade bei Jungtieren ist das ein großes Problem. Wegen des knappen Nahrungsangebots konnten die Igelmütter zudem oft nicht genug Milch für ihre Jungen produzieren, so dass diese oft untergewichtig geblieben sind. Mindestens 500 bis 600 Gramm sollte ein junger Igel wiegen, um es über den Winter zu schaffen. Ausgewachsene Exemplare bringen es oft auf mehr als ein Kilo. In der Wuppertaler Auffangstation werden derzeit viele verwaiste Jungtiere mit der Spritze gefüttert, damit sie an Körpermasse zulegen. „Wir freuen uns über jedes gerettete Geschöpf“, sagt eine Mitarbeiterin der Einrichtung, „aber dieses Jahr ist die Lage wirklich besonders schlimm.“
Sie selbst hat auch schon einen Igel im eigenen Garten gepflegt und durch die kalten Monate gebracht. Die Tiere brauchen ein abgestecktes, geschütztes Areal und einen Ort, an den sie sich zurückziehen können – eine Kiste zum Beispiel. Sind sie abgemagert, sollten sie im Warmen aufgepäppelt werden, also im
Haus oder in der Wohnung, am besten in einer mit Zeitungsschnipseln ausgelegten großen Kiste, in dem zusätzlich eine überdachte Rückzugsmöglichkeit bereitgestellt wird (beispielsweise einen Schuhkarton). Als Nahrung eignen sich Katzenfutter und ungewürztes Rührei, Äpfel und Milch vertragen die Tiere nicht. Bevor man daran denkt, einen Igel eigenändig zu pflegen, sollte man sich aber mit seinem stacheligen Fundstück an eine Igelstation oder -Beratungsstelle wenden. Dort können die Tiere auf Parasiten, Würmer und Krankheiten untersucht werden. Zudem beraten einen die dortigen ehrenamtlichen Helfer hinsichtlich optimaler Unterbringung und Pflege.
Im Frühling werden die Igel in der Regel dort wieder ausgewildert, wo sie gefunden wurden, denn die Einzelgänger sind sehr reviertreu. Zählt zu diesem Revier der eigene Garten, sollte man dafür sorgen, dass ein Unterschlupf für die nachtaktiven Tiere vorhanden ist. Katzen sind keine Gefahr, sie fressen den Igel höchstens das Futter weg – der größte natürliche Feind des Igels ist der Marder. Nach dem Menschen. Beate Dinslage würde sich mehr Aufmerksamkeit für die Igel wünschen, zumal diese unter der Trockenheit schon genug leiden. Aber trotz der Rekordzahl an Notrufen, die bei ihr eingehen, will sie kein Fundtier ablehnen. „Wir schaffen das auch in diesem Jahr.“