Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Zum Gründungstag seiner Partei zeigt sich Nordkoreas Machthaber ungewohnt emotional.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un lässt anlässlich des 75. Gründungstags der Arbeiterpartei sein Raketenarsenal auffahren. Dabei zeigt er sich überraschend emotional und selbstkritisch.
DANDONG In Dandong, der chinesischen Grenzstadt zu Nordkorea, gleicht die Erinnerungskultur an den Koreakrieg einer nostalgischen Kirmes: Während vor den Stiegen des neu eröffneten Gedenkmuseums, eines riesigen Betonbaus mit 182.000 Quadratmetern, patriotische Militärmusik aus den Lautsprechern dröhnt, setzen rund 20 Frauen vom örtlichen Kader der Kommunistischen Partei zum Marsch an. Sie tragen khakifarbene Uniformen, haben die Gesichter weiß geschminkt, und posieren mit ernster Miene vor den Kameras der schaulustigen Menge.
Die Tragik des Koreakriegs, bei dem vier Millionen Menschen ihr Leben verloren, lässt sich im Innern des Museums erleben: Vor 70 Jahren schlossen sich die chinesischen Truppen den nordkoreanischen Streitkräften an, um gegen Südkorea und die Vereinigten Staaten zu kämpfen. Die jeweilige Geschichtsschreibung ist immer auch ein politischer Gradmesser: In Nordkorea spricht man vom „Vaterländischen Befreiungskampf“, der durch einen Überraschungsangriff der Südkoreaner begonnen habe. In Seoul hingegen wird gelehrt, dass Nordkoreas Staatsgründer Kim Il Sung mit seiner Invasion den Konflikt vom Zaun brach. In Dandong hingegen wählten die Historiker einen Mittelweg: Am 25. Juni 1950 sei „ein Bürgerkrieg ausgebrochen“, heißt es.
Nur wenige Kilometer entfernt, an der Ufer-Promenade des Yalu-Flusses, tummeln sich Hunderte Touristen, um Fotos von der anderen Seite zu schießen. Dort nämlich liegt Nordkorea, ein für Chinesen nostalgischer Ort, der an die entbehrungsreichen Zeiten des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Bis vor wenigen Jahren leuchteten auf der einen Seite nachts die Einkaufszentren und Apartmenttürme, auf der anderen Seite war stockfinsteres Niemandsland. Doch mittlerweile haben die Nordkoreaner in der Grenzstadt Sinuiju ebenfalls imposante Immobilienprojekte hochgezogen: etwa den „Einheitsturm“mit über 25 Stockwerken. Doch ein Blick mit dem Fernglas entlarvt: Mehrere Stockwerke sind von innen unverputzt und ohne Fenster.
Zumindest militärisch kann Machthaber Kim Jong Un noch Stärke zeigen, wie er am Samstag bei der großen Militärparade demonstrierte: Anlässlich der Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag der nordkoreanischen Arbeiterpartei präsentierte das Regime auf dem nächtlich beleuchteten Kim-Il-Sung-Platz die wohl größte Langstreckenrakete der Welt. Knapp 26 Meter ist sie lang, über zweieinhalb Meter im Durchmesser.
Kim Jong Un hatte Ende 2019 bei einem Parteitreffen gedroht, die Welt werde in naher Zukunft eine „neue strategische Waffe“erleben. Die Nuklearverhandlungen mit den USA kommen seit dem gescheiterten Gipfeltreffen Kims mit US-Präsident Donald Trump im Februar 2019 in Vietnam nicht mehr voran.
Kims Ansprache stand jedoch ganz im Gegenteil zum militärischen Säbelrasseln: In einen grauen Anzug gekleidet, rang der Diktator sichtlich um Fassung. Als er den Soldaten dafür dankte, das Land bislang virusfrei gehalten zu haben, rannen Tränen seine Wangen herunter. „Ich schwöre erneut, dass ich dem Vertrauen der Menschen gerecht werde, selbst wenn mein Körper in Stücke gerissen wird“, sagte Kim in der für Nordkoreaner üblichen, blumigen Sprache. Dass der 36-Jährige während seiner volksnahen Geste eine Schweizer Uhr im Wert von über 10.000 Euro trug, löste auf Twitter Spott aus.
Kim zeigte sich zugleich ungewohnt selbstkritisch. Er bat um Entschuldigung dafür, dass er das ihm entgegengebrachte Vertrauen „nicht immer zufriedenstellend erfüllt“habe. Schuld an der angespannten Versorgungslage seien die harten Sanktionen gegen sein Land. Mit Blick auf Südkorea äußerte Kim die Hoffnung, dass die Gesundheitskrise bald vorbei sein und der Tag kommen werde, dass sich beide koreanischen Staaten „wieder die Hand reichen“könnten. Die Rede wurde wiederholt von Jubelrufen der Massen und Beifall unterbrochen. Die Zuhörer auf dem Platz trugen keine Corona-Schutzmasken.
Von China erhält Kim dieser Tage wieder Rückenwind. Präsident Xi Jinping ließ eine Gratulationsbotschaft ausrichten, in der er versprach, „die Beziehungen zwischen China und Korea gemeinsam zu verteidigen, zu festigen und weiterzuentwickeln“. Jene Worte werden vor allem im Weißen Haus für Ärger sorgen, hat nicht zuletzt auch US-Präsident Trump mit seiner Sanktionspolitik auf Chinas Kooperation gehofft. Sein einstiger nationaler Sicherheitsberater, der erzkonservative John Bolton, schrieb jüngst im „Wall Street Journal“: „China sollte nicht länger als Teil der Lösung für die koreanische Halbinsel behandelt werden. Peking ist – und war wahrscheinlich immer – Teil des Problems.“(mit dpa)