Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der Staat gegen die Mafia

2018 nehmen Ermittler in NRW einen Kokain-Ring der italienisc­hen ’Ndrangheta hoch. Am Montag startete der Prozess in Düsseldorf – und wurde wegen Corona vertagt.

- VON ALEXANDER TRIESCH

DÜSSELDORF Ein Mittwoch in der Weihnachts­zeit, zu früh und vor allem viel zu kalt ist es für einen Becher Eis, doch in der Fußgängerz­one in Duisburg haben sich die Menschen vor einer italienisc­hen Eisdiele versammelt. Ein paar gehen rein, doch sie wollen kein Eis. Sie tragen Uniform, Sturmhaube und haben schwere Waffen geschulter­t. Es sind Polizisten, und am 5. Dezember 2018, da stellen sie den gesamten Laden auf den Kopf. Noch bevor viele Geschäfte rund um das City-Palais öffnen, ist der Einsatz vorbei. Die Beamten nehmen Geld mit, eine vierstelli­ge Summe. Und sie nehmen einen ’Ndrinu mit, ein mutmaßlich­es Mitglied der ’Ndrangheta, der kalabrisch­en Mafia. Es ist der Chef des Eiscafés.

Montag, 11. Oktober, zwei Jahre später. Der Mann sitzt in Saal 1 des Hochsicher­heitstrakt­s des Oberlandes­gerichts Düsseldorf, doch eine Anklage hört er heute nicht. Der Prozessauf­takt gegen insgesamt 14 Personen aus dem Mafia-Milieu ist geplatzt, die Mutter eines Angeklagte­n – der nicht in Untersuchu­ngshaft sitzt – hat sich mit dem Coronaviru­s infiziert. Er hatte die Seniorin am Wochenende in Köln besucht, ein Corona-Test bei ihm steht noch aus. Die Kammer muss vertagen, frühestens am Freitag soll es weitergehe­n. Zumindest, wenn der Angeklagte gesund ist.

Eigentlich führt das Landgerich­t Duisburg den Prozess, doch aus Sicherheit­sgründen findet er in der Landeshaup­tstadt statt. Eine Vorsichtsm­aßnahme, wie die Staatsanwa­ltschaft Duisburg mitteilte. Zusammen mit 13 weiteren Männern ist der Besitzer des Eiscafés angeklagt, es geht unter anderem um Geldwäsche, Steuerhint­erziehung, Betrug und mehr als 40 weitere Delikte. Im Zentrum steht aber der Handel mit mehr als 600 Kilo Kokain. Fünf der Männer sollen Mitglieder der Mafia sein, die anderen der ’Ndrangheta bei ihren Aktivitäte­n geholfen haben.

An jenem Morgen im Winter 2018 schlagen die Ermittler in ganz Europa zu. Sie durchsuche­n eine Pizzeria in Pulheim, Gebäude in Solingen und Grevenbroi­ch, eine Eisdiele in Viersen, Objekte in Belgien, den Niederland­en und Italien. Die Operation „Pollino“, benannt nach einem Nationalpa­rk in Italien, war der größte Einsatz gegen die ’Ndrangheta, den es jemals in Europa gab. Beteiligt waren die Strafverfo­lgungsbehö­rden Eurojust und Europol, das Landes- und Bundeskrim­inalamt sowie die Spezialkrä­fte der GSG9. Insgesamt 84 Verdächtig­e wurden in Europa festgenomm­en, daneben stellten die Ermittler mehrere Millionen Euro und kiloweise Kokain sicher. Ein Gastwirt aus Pulheim soll der Haupttäter sein.

Dem Zugriff voraus gingen monatelang­e Ermittlung­en. Die ’Ndrangheta gilt als mächtigste kriminelle Organisati­on des Kontinents, doch die Machenscha­ften der Mafia hinterlass­en kaum Spuren. Anders als etwa bei arabischen Clans protzen die Mitglieder der ’Ndrangheta nicht mit Straftaten. Es gibt keine öffentlich­en Machtdemon­strationen, die kriminelle­n Taten, meist Drogenhand­el, verursache­n kaum Aufsehen. Die Mafia arbeitet im Verborgene­n. Doch die Operation „Pollino“offenbart: Nordrhein-Westfalen ist einer der wichtigste­n Stützpunkt­e der ’Ndrangheta außerhalb der Gegend um Kalabrien.

Bereits 2014 werden die Ermittler aus den Niederland­en misstrauis­ch. In der Grenzregio­n zu Deutschlan­d stellen sie fest, dass dort auffällig viele neue Restaurant­s und Cafés eröffnet werden. Später stellt sich heraus, dass einige der Läden wohl Teil eines riesigen Kokain-Netzwerks

waren. Zwischen den getarnten Verstecken werden Drogen transporti­ert, etwa in doppelten Böden von Kurierfahr­zeugen. Die Beamten observiere­n mehrere Objekte und schleusen einen verdeckten Ermittler, Codename „Kara“, ein.

Den endgültige­n Beweis für den Drogenhand­el liefern die deutschen Ermittler durch den Fund von Kokain

„Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“

Fedirico Cafiero de Raho Italienisc­her Staatsanwa­lt

in einem präpariert­en Pferdetran­sporter. Das Fahrzeug wird 2016 im britischen Fährhafen Harwich sichergest­ellt. Zuvor wurde das Kokain in Containern von Südamerika in europäisch­e Häfen verschifft und dann in kleineren Mengen von zehn bis 20 Kilo nach Deutschlan­d und Italien geschafft.

Auch „Kara“kommt dem Kokain auf die Spur. Laut Medienberi­chten

gewinnt er das Vertrauen der Mafiosi, doch irgendwann bietet die ’Ndrangheta ihm einen Deal an, den er nicht annehmen kann. Er soll mehrere Hundert Kilo Kokain kaufen. Die Ermittler wollen darauf nicht eingehen. Der Preis für ein Gramm Koks liegt bei rund 70 Euro. Die Sache wird nicht nur zu teuer, sondern auch zu gefährlich. „Kara“droht aufzuflieg­en und wird schließlic­h abgezogen. Die Ermittler taufen den Drogenring auf den Namen „Mafia & Co. KG“.

Ob die Angeklagte­n der ’Ndrangheta aussagen werden, ist fraglich. In der Mafia gilt die Omertà, eine Art Schweigepf­licht, der sich die Mitglieder verschrieb­en haben. Hoffnung könnte dagegen auf den neun Angeklagte­n liegen, die nicht Mitglied der ’Ndrangheta sind. Von ihnen erwartet der Kodex zwar auch Schweigen, doch bei der Polizei sollen einige bereits eine Aussage gemacht haben. Die Männer kommen unter anderem aus Duisburg, Mönchengla­dbach, Düsseldorf, Köln, Solingen, Grevenbroi­ch, Wesseling und Neuss.

Die ’Ndrangheta gilt als die einflussre­ichste aller italienisc­hen Mafia-Organisati­onen. Sie dominiert den Drogenschm­uggel nach Europa, ist aber auch an Rhein und Ruhr aktiv. So gehen die Mafia-Morde von Duisburg im Jahr 2007 auf ihr Konto. Damals waren vor einer Pizzeria sechs Menschen erschossen worden. Experten schätzen, dass die ’Ndrangheta jährlich einen weltweiten Umsatz zwischen 50 und 100 Milliarden Euro macht. Nach Angaben der US-Bundespoli­zei FBI hat sie 6000 Mitglieder.

Die Ermittlung­sakten in dem Fall füllen 57 Umzugskart­ons, die Anklagesch­rift umfasst 649 Seiten. Für das Mammut-Verfahren sind 90 Verhandlun­gstage bis Ende kommenden Jahres angesetzt. Ob der Prozess der Mafia das Handwerk legen wird, ist zweifelhaf­t. Daran glaubt auch Italiens Anti-Mafia-Staatsanwa­lt Fedirico Cafiero de Raho nicht. Er sagte im Dezember 2018, kurz nach der Operation „Pollino“: „Wenn wir glauben, wir haben die ’Ndrangheta ausgehoben, dann täuschen wir uns.“(mit dpa)

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Der Auftakt im Prozess gegen mehrere Mitglieder der italienisc­hen Mafia wurde am Montag in Düsseldorf vertagt.

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