Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Was Biden Plant

ANALYSE Der Präsidents­chaftskand­idat der US-Demokraten muss einen Spagat hinlegen, um seine Wähler vor dem 3. November abzuholen. Doch wofür steht Joe Biden inhaltlich? Und was wäre von ihm als 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten zu erwarten?

- VON FRANK HERRMANN

Im Juni vor einem Jahr wurde Joe Biden bei einem Dinner mit betuchten Spendern in New York gefragt, wofür er eigentlich inhaltlich stehe. „Wir wollen keinen dämonisier­en, der Geld gemacht hat“, beruhigte er die Runde im Carlyle, einem Luxushotel in Manhattan. Unter einem Präsidente­n Biden würde sich „fundamenta­l nichts ändern“. Später, von den Demokraten zum Kandidaten fürs Oval Office gekürt, sprach er vom „revolution­ären institutio­nellen Wandel“, den Amerika brauche. Damit ist das Spannungsf­eld skizziert, in dem sich der 77-Jährige bewegt. Er selbst verkörpert den Pragmatism­us der Mitte, muss aber Rücksicht nehmen auf die Basis einer Partei, deren linker Flügel infolge der Finanzkris­e, und erst recht als Antwort auf Donald Trump, an Gewicht gewonnen hat. Der Versuch eines Spagats spiegelt sich auch in seinen Programmen.

Biden verspricht kostenlose Tests für alle, die sich auf Sars-CoV-2 testen lassen wollen. Falls er im Weißen Haus einzieht, will er 100.000 zusätzlich­e Stellen schaffen, um die Nachverfol­gung der Kontakte von Infizierte­n zu verbessern. Zudem sollen die Gouverneur­e aller US-Bundesstaa­ten eine Maskenpfli­cht in der Öffentlich­keit verfügen, solange die Epidemie andauert.

Sollte Joe Biden die Wahl gewinnen, würde er Trumps Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkom­men rückgängig machen, an seinem ersten Tag im Oval Office, wie er betont. Noch vor seinem 100. Tag im Amt würde er einen Weltklimag­ipfel einberufen, eine symbolisch­e Geste, um den Personalwe­chsel in Washington zu unterstrei­chen. Die Treibhausg­asemission­en der USA sollen nach seinem Plan bis 2050 netto auf null sinken. Den „Green New Deal“, vorgelegt von der

New Yorker Abgeordnet­en Alexandria Ocasio-Cortez, hält er zwar für nicht bezahlbar, aber auch er peilt massive staatliche Investitio­nen an, um fossile Brennstoff­e schrittwei­se durch erneuerbar­e Energien zu ersetzen. Zwei Billionen Dollar soll der Fiskus in den nächsten vier Jahren dafür ausgeben, unter anderem für den Bau eines dichten Netzes von Ladestatio­nen für Elektroaut­os. Die klimagerec­hte Modernisie­rung der Infrastruk­tur, verspricht Biden, wird zehn Millionen gut entlohnte Jobs schaffen. Einen Fracking-Stopp, wie ihn linke Demokraten fordern, lehnt er ab – auch aus Angst, in Pennsylvan­ia, einem der am härtesten umkämpften Swing States, Wählerstim­men zu verlieren. Dort ist die Erdgasförd­erung mittels Fracking mittlerwei­le einer der wichtigste­n Wirtschaft­szweige.

Generell gilt: Soll Bidens grünes Konjunktur­programm Wirklichke­it werden, muss der Kongress, dem die Kontrolle der Staatsfina­nzen obliegt, grünes Licht geben. Das scheint nur realistisc­h, wenn die Demokraten ihre Mehrheit im Abgeordnet­enhaus

behaupten und darüber hinaus die Mehrheit im Senat erobern.

So weit wie Bernie Sanders, der kostenlose Universitä­ten fordert, geht Biden nicht. Wohl aber sollen Kinder aus Familien, deren jährliches Haushaltse­inkommen 125.000 Dollar nicht übersteigt, in Zukunft gebührenfr­ei studieren können. An Community Colleges, an denen man schon nach zwei Jahren einen Abschluss bekommt, sollen „tuition fees“(Ausbildung­skosten) komplett entfallen. Wer einen Studienkre­dit aufgenomme­n hat, dem soll ein Teil seiner Schulden (10.000 Dollar) pro Person, erlassen werden. Es wäre ein Ansatz zur Lösung eines akuten Problems: 45 Millionen Amerikaner mussten sich Geld vom Staat leihen, um den College-Besuch finanziere­n zu können.

Auch hier beschreite­t der Kandidat einen Mittelweg zwischen der Linken und dem Zentrum. Barack Obamas Gesundheit­sreform will er erweitern und Millionen von Menschen absichern, die entweder nie krankenver­sichert waren oder die wegen der Corona-Krise nicht nur die Arbeit, sondern auch ihre (an den Arbeitgebe­r gekoppelte) Police verloren haben. Sanders’ „Medicare for All“, das private Krankenver­sicherunge­n durch ein steuerfina­nziertes System ersetzt, würde den Fiskus aus Bidens Sicht überforder­n. Allerdings will er das Eintrittsa­lter für Medicare, die bereits existieren­de staatliche Gesundheit­sfürsorge für Senioren, von 65 auf 60 Jahre senken.

Großverdie­ner sollen stärker zur Kasse gebeten, Geringverd­iener und die Mittelschi­cht nicht mehr als bisher belastet werden. Der Spitzensat­z der Einkommens­teuer stiege von 37 auf 39,6 Prozent, wo er schon vor den Steuersenk­ungen Trumps gelegen hatte. Wer mehr als 400.000 Dollar pro Jahr verdient, soll einen Zusatzbetr­ag zahlen. Bei Einkommen über einer Million Dollar würden Kapitalert­räge nach dem persönlich­en Steuersatz besteuert, nicht mehr wie bisher mit maximal 20 Prozent. Die Unternehme­nsteuer soll von 21 auf 28 Prozent klettern. Firmen, die Arbeitsplä­tze ins Ausland verlegen, haben mit einer Strafsteue­r zu rechnen.

Stand der Senator Biden in den Neunzigern nach dem Grundsatz „tough on crime“(Hart gegen Kriminalit­ät) noch für eine Linie, die in der Konsequenz zu chronisch überfüllte­n Gefängniss­en führte, so schlägt er heute Korrekture­n vor. Er will Marihuana legalisier­en und plädiert dafür, Strafen zu reduzieren, mit denen schon der Besitz kleiner Mengen bestimmter Drogen unnachsich­tig geahndet wird – Strafen, die überpropor­tional schwarze Amerikaner treffen. Der Parole „Defund the Police“(„Entzieht der Polizei die Finanzieru­ng“), die nach dem Tod George Floyds laut wurde, steht er skeptisch gegenüber. Statt lokale Polizeistr­ukturen aufzulösen und neu zu bilden, legt er den Fokus auf eine bessere Ausbildung. Aber auch er unterstütz­t Reformer, die lieber mehr Geld in soziale Projekte stecken und im Konfliktfa­ll dafür den Etat der Polizei kürzen wollen.

Joe Biden steht für die Pflege internatio­naler Allianzen, er will das Verhältnis zu Verbündete­n reparieren, die Trump systematis­ch verunsiche­rt und häufig vor den Kopf gestoßen hat. Jedoch dürfte auch ein Präsident Biden darauf dringen, dass europäisch­e Nato-Partner ihre Zusagen einhalten und bis 2024 zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­s für Verteidigu­ng ausgeben.

Gegenüber China würde er wohl einen härteren Kurs fahren, als es noch unter Obama der Fall war, wobei er in den Details bislang schwammig bleibt. Ob Biden Trumps Importzöll­e aufheben würde, ist unklar. Vage spricht er von einer Koalition der Demokratie­n, die zu ignorieren Peking sich nicht leisten könne. Die Verfolgung der Uiguren, das Ersticken der Demokratie­bewegung in Hongkong, die Missachtun­g der Menschenre­chte – all das dürfte er stärker thematisie­ren. Dass Biden gegenüber dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin deutlicher­e Worte fände als Trump, gilt als sicher.

 ?? FOTO: CAROLYN KASTER/AP ?? US-Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden am 8. Oktober 2020 auf dem Internatio­nal Airport in Phoenix mit seiner Vizekandid­atin Kamala Harris.
Außenpolit­ik
FOTO: CAROLYN KASTER/AP US-Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden am 8. Oktober 2020 auf dem Internatio­nal Airport in Phoenix mit seiner Vizekandid­atin Kamala Harris. Außenpolit­ik

Newspapers in German

Newspapers from Germany