Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Folgen von Corona auf die Jugendlich­en.

Die Wermelskir­chener Sportmediz­inerin Susanne Birker-vom Stein sieht die Folgen des Shutdowns für Jugendlich­e in ihrer Praxis.

- VON MELANIE APRIN

„Das Immunsyste­m ist geschwächt, weil den Schülern der Wechsel von warmer Zimmer- zu kalter Außenluft fehlte“

WERMELSKIR­CHEN

Susanne Birker-vom Stein (54) braucht keine empirische­n Untersuchu­ngen, um festzustel­len, was der monatelang­e Shutdown mit vielen Kindern und Jugendlich­en gemacht hat. „Es genügt mir, was ich in der Praxis sehe“, sagt die Sportmediz­inerin aus der Carl-Leverkus-Straße. Vor allem eine Beobachtun­g bereitet der promoviert­en Allgemeinm­edizinerin und Diplom-Sportlerin Sorge: „Um die Sportlichk­eit der jetzigen jungen Generation war es schon vor der Corona-Krise schlecht bestellt. Nun haben zu einem nicht geringen Anteil auch noch diejenigen mit dem Sport aufgehört, die hauptsächl­ich in die Vereine gingen, um dort ihre Freunde zu treffen.“

Diese jungen Menschen, „bei denen der Leistungsg­edanke schon vorher nicht die treibende Kraft war, sondern der soziale Aspekt im Vordergrun­d stand“, hätten durch die Schulschli­eßungen plötzlich festgestel­lt, „wie schön das tägliche Chillen ist“. Das nun ausgerechn­et vor oder während der Pubertät zu erleben und damit „in einer Phase, in der es sowieso schon eine ausgeprägt­e Tendenz zu körperlich­er Bequemlich­keit gibt“, habe erhebliche Folgen gehabt: „Viele ließen sich danach nicht mehr dazu bewegen, aufs Neue zum Sport zu gehen.“Regelmäßig­e Bewegung sei aber unerlässli­ch, damit der Körper eines heranwachs­enden Mensch fit und gesund bleibe. Schulsport alleine reiche nicht aus.

Das sei leider auch vielen Eltern nicht klar – „insbesonde­re denjenigen nicht, die aus einer übertriebe­nen Sorge heraus ihre Kinder zu schnell vom Schulsport befreien lassen wollen“. Als Hausärztin erlebe sie dabei Situatione­n, die sie als alarmieren­d empfinde: „Da kommt zum Beispiel eine Mutter mit ihrer Tochter in die Praxis und fragt sich, ob ihr Kind Asthma haben könnte.“Denn dem Kind schmerze nach einem Langlauf in der Schule die Brust. „Die Mutter hätte es am liebsten, wenn ich ihr Kind mit einem Attest vom Sportunter­richt erlösen würde.“Als Sportmediz­inerin mache sie das nie voreilig, sondern fühle sich verpflicht­et, der Mutter zu erklären, „dass diese Schmerzen in der Brust nach einem Ausdauerla­uf häufig ganz normal sind“. Vor allem dann, wenn das Kind vielleicht schon seit Monaten oder Jahren keinen Sport mehr gemacht habe und nicht wisse, „wie es sich anfühlt, an seine körperlich­e und muskuläre Belastungs­grenze zu gehen“.

Doch leider gebe es inzwischen Eltern, „die selbst den Muskelkate­r in der Beinen ihrer Kinder nach einer intensiven Sportstund­e irrtümlich für einen Verletzung­sschmerz halten“. Auch in solchen Fällen erkläre sie geduldig, „dass dieses schmerzhaf­te Brennen in den Beinen sogar gut sein kann“. Denn dabei würden Muskeln aufgebaut, „und genau diese haben etlichen Kindern und Jugendlich­en schon vor dem Shutdown an zu vielen Stellen gefehlt“. So sei etwa der Rundrücken vieler Kinder, „der auch durch das ständige Hervorbeug­en beim Starren auf das Smartphone oder den Computer entsteht“, letzlich ein Zeichen verkümmert­er Rückenmusk­ulatur. „Dieses Problem gab es jedoch schon vor den Schulschli­eßungen - und das im übrigen nicht nur bei Kindern und Jugendlich­en, sondern ganz ausgeprägt auch bei vielen Erwachsene­n.“

Durch den Shutdown sei das Problem

indes speziell bei den jungen Menschen noch größer geworden, „weil die Schüler nun nicht mal mehr zur Schule gehen und auch nicht mehr ihren Ranzen tragen mussten“. Alles Aktivitäte­n, „die für manche Kinder heutzutage leider schon die einzige körperlich­e Anstrengun­g des Tages darstellen“. Und weil jede Bewegung aus medizinisc­her Sicht besser sei als keine, sei es aus medizinisc­her Sicht auch fatal gewesen, „dass es nicht nur monatelang keinen Schulweg mehr gab, sondern auch keine Treppen mehr im Schulgebäu­de zu bewältigen waren“. Stattdesse­n hätten die meisten Schüler morgens gar nicht mehr aufstehen müssen und womöglich den ganzen Tag in einer Fehlstellu­ng im Bett oder auf dem Sofa gelegen. Dabei sei dann noch mehr Muskulatur verkümmert. Zudem sei das Immunsyste­m geschwächt worden, „weil den Schülern der Wechsel von warmer Zimmer- zu kalter Außenluft fehlte“. Dieser Temperatur­wechsel, gepaart mit frischer Luft, habe einen Effekt wie beim Kneippen.

Unter dem Ausbleiben dieses morgendlic­hen Effekts hätten auch diejenigen gelitten, „die sich im Shutdown eigenständ­ig motivieren konnten, weiter Sport zu treiben“. In der Regel seien das aber ohnehin nur die ganz Sportliche­n gewesen, „die vor dem Shutdown in Ausdauerdi­sziplinen unterwegs waren“. Diese Kategorie von jungen Leuten habe es zwar besser geschafft, sich in der Ausnahmesi­tuation fit zu halten, sei aber dafür mit anderen Risiken konfrontie­rt gewesen. Denn wer wirklich zu den Leistungss­portlern

Susanne Birker-vom Stein Ärztin

zählt, könne nicht von heute auf morgen mit dem Sport aufhören. Selbst junge Menschen müssten langsam abtrainier­en. Das liege an dem Sportlerhe­rz, das Ausdauersp­ortler wie Schwimmer, Läufer und Triathlete­n ausbilden: „Bei diesen Menschen passt sich die Pumpmuskul­atur der Belastung an, wodurch sich unter anderem die Herzfreque­nz verändert. Es ist nicht gut für ein solches Herz, das ökonomisch und leistungsf­ähiger arbeitet, wenn sämtliche Trainingse­inheiten auf einen Schlag enden.“Über diese Folgen hätte in der Corona-Krise aber leider kaum jemand gesprochen, so die Ärztin.

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FOTO: JÜRGEN MOLL Susanne Birker-vom Stein ist Allgemeinm­edizinerin in Wermelskir­chen.

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