Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wilhelm Conrad Röntgen – Schulabbre­cher mit Nobelpreis

Der gebürtige Lenneper entdeckte am 8. November 1895 die elektromag­netischen Wellen, die später die Medizin revolution­ierten und bis heute von großer Bedeutung sind. Und wie so oft, half dabei der Zufall weiter.

- VON DANIEL STAFFEN-QUANDT (EPD)

WÜRZBURG/LENNEP Einer der größten Meilenstei­ne der modernen Medizin ist im Prinzip dem Zufall zu verdanken: Als Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) im Herbst 1895 wie so oft bis spät in die Nacht im Labor des Physikalis­chen Instituts der Universitä­t Würzburg mit Kathodenst­rahlen experiment­ierte, leuchteten ein paar Brösel Bariumplat­incyanür auf dem unaufgeräu­mten Schreibtis­ch. Das Glimmen hörte auch nicht auf, als er die Röhre mit Papier, Pappe und Holz abschirmte: Die Strahlen hatten die Eigenschaf­t, Materie zu durchdring­en. Die Entdeckung am 8. November vor 125 Jahren machte den Forscher weltberühm­t – und revolution­ierte Physik und Medizin.

„Was in den Wochen nach dieser Entdeckung passierte, charakteri­siert Röntgen ziemlich gut“, sagt Roland Weigand, der Beauftragt­e für die Röntgen-Gedächtnis­stätte in Würzburg. Offenbar verließ der Forscher danach kaum noch sein Labor, so sehr bannte ihn die Entdeckung der unbekannte­n Strahlen, die er X-Strahlen nannte. „Er ließ sich das Essen dorthin bringen, sogar ein Bett soll er im Labor aufgestell­t haben - und das, obwohl er als Leiter des Instituts gerade mal einen Stock höher mit seiner Frau Bertha gewohnt hat“, sagt Weigand.

Ende Dezember fertigte er das erste Röntgenbil­d der Geschichte an, es zeigt das Handskelet­t seiner Frau. Von den oft starken Nebenwirku­ngen der Röntgenstr­ahlung weiß er noch nichts, sie bleiben lange unbekannt.

Ohne Röntgens Entdeckung wäre die heutige Medizin kaum denkbar. Und das betrifft nicht nur die bekannten Röntgenbil­der bei Knochenbrü­chen oder Zahnarztbe­handlungen. Auch bei der Bekämpfung von Viren spielen moderne Röntgenopt­iken eine große Rolle. Mit hochintens­iven Röntgenstr­ahlen lassen sich die Strukturen von kleinen Molekülen, von Proteinen oder eben von Viren ausmessen und darstellen. Das wiederum hilft, passgenaue Medikament­e oder Therapieve­rfahren zu entwickeln.

Als Röntgen mit damals 50 Jahren die X-Strahlen entdeckte, war er bereits ein in

Fachkreise­n geschätzte­r Wissenscha­ftler. Er hatte eine akademisch­e Karriere hingelegt, an die 30 Jahre zuvor keiner geglaubt hatte: Röntgen war Schulabbre­cher. 1863 wurde der gebürtige Lenneper im holländisc­hen Utrecht ohne Abitur von der Schule geworfen, weil er für die Karikatur eines Lehrers verantwort­lich gemacht wurde - die nicht einmal von ihm stammte. Offiziell durfte Röntgen in Utrecht deswegen nicht studieren und war nur als Gasthörer eingeschri­eben. Später ging er nach Zürich an die Polytechni­sche Hochschule, dort war Studieren ohne Abi möglich.

1888 kam er als Professor nach Würzburg. „Diese Entscheidu­ng zeigt, dass ihm die Experiment­alphysik über alles ging“, sagt Roland Weigand. Denn Röntgen hätte allen Grund gehabt, Würzburg zu meiden: Als er 1870 als Assistent seines Züricher Doktorvate­rs erstmals in die Stadt kam, wurde ihm dort die Habilitati­on verweigert - wegen seines fehlenden Abiturs. Er habilitier­te in Straßburg, wurde 1879 Professor in Gießen, bevor er doch an den Main zog: „Würzburg hatte damals das bestausges­tattete physikalis­che Institut in Deutschlan­d, vielleicht sogar in Europa“, erklärt Weigand.

Zeitgenoss­en bezeichnet­en ihn als Kauz, als Sozialphob­iker, aber auch als Genie, akribische­n Forscher und Wissenscha­ftler.

Zuvorderst aber war er uneitel. Als er im Januar 1896 nach zahllosen Experiment­en erstmals die X-Strahlen öffentlich präsentier­te, soll er den Vortrag mit den Worten begonnen haben: „Durch Zufall entdeckte ich diese Strahlen.“

Nach dem Vortrag wurde von Zuhörern der Vorschlag gemacht, die von Röntgen entdeckten Strahlen auch nach ihm zu benennen - dafür fand sich eine große Mehrheit, entgegen Röntgens ausdrückli­chen Wunsch. Er meldete für die Strahlen und deren Nutzung auch kein Patent an, ihm ging es um die Wissenscha­ft. Später beanspruch­ten andere Forscher die Entdeckung für sich. Das ging so weit, dass ihm manche den ersten Nobelpreis für Physik im Jahr 1901 am liebsten wieder aberkennen wollten.

Röntgen selbst belastete die Entdeckung der X-Strahlen aber aus einem anderen Grund. Auch wenn er verfügt hatte, dass alle Aufzeichnu­ngen außer den veröffentl­ichten Aufsätzen nach seinem Tod vernichtet werden sollten: Es ist überliefer­t, wie sehr er sich daran störte, als Experiment­alphysiker „nur“auf diese eine Entdeckung reduziert zu werden, erzählt Weigand. „Er hat 70 Aufsätze geschriebe­n, nur drei davon befassen sich mit den X-Strahlen.“Hinzu kommt, dass es nicht die Entdeckung der X-Strahlen an sich war, die die Menschen begeistert­e - sondern ihre Nutzung, die die Medizin revolution­ierte.

Wilhelm Conrad Röntgen starb am 10. Februar 1923 in München. Er ist in Gießen im Familiengr­ab beerdigt. Zum 125. Jahrestag der Entdeckung der Röntgenstr­ahlen - und Röntgens 175. Geburtstag - hatten Stadt, Uni Würzburg sowie seine Geburtssta­dt samt Röntgen-Museum in Lennep das „Röntgenjah­r 2020“ausgerufen. Die meisten Veranstalt­ungen wurden aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt.

 ?? FOTOS (2): EPD ?? Wilhelm Conrad Röntgen ist der Entdecker der nach ihm benannten Röntgenstr­ahlen. Links die Urkunde, mit der ihm der Nobelpreis verliehen wurde.
FOTOS (2): EPD Wilhelm Conrad Röntgen ist der Entdecker der nach ihm benannten Röntgenstr­ahlen. Links die Urkunde, mit der ihm der Nobelpreis verliehen wurde.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany