Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
An Etaples Strand polarisieren die putzigen Seehunde.
Sie sind ständige Besucher am Strand von Hückeswagens Partnerstadt. Doch nicht alle sehen in ihnen willkommene Gäste.
ETAPLES Sie liegen faul im Sand an der Sonne, lassen ihr Fell im Wind trocknen und beäugen jeden Zweibeiner freundlich und aufmerksam: Seehunde am Ufer der Canche. Wer hier, vom Strand Le Touqets kommend, das bei Ebbe hunderte Meter breite Watt bis zur Flussmündung durchwandert, kann hier nicht selten eine Kolonie dieser Tiere beobachten. Zudem passiert es beim Bad im Meer durchaus, dass nur wenige Meter entfernt ein runder Kopf mit noch runderen Augen aus dem Wasser auftaucht und den menschlichen Fremdling im Revier mustert.
Seehunde sind wenig scheu und gelten als äußerst neugierig. Allerdings sollte der Mensch sie nicht aufstöbern, da es dann vorkommt, dass die Muttertiere ihre Jungen bei der Flucht verlieren und sie als „Heuler“zurücklassen.
Weil an der Côte d’Opale die Qualität des Wassers und überhaupt die
Intaktheit der Umwelt bemerkenswert gut ist, ziehen die Meeressäugetiere aus den Weiten des Nordatlantiks bis nach zu Hückeswagens Partnerstadt in ihren südlichsten Lebensraum. Sie rasten in den Buchten der Canche, an der Authie im benachbarten Berck und im riesigen Becken der Somme. Diese Flächen gehören zu den 15 französischen maritimen Naturparks.
Die Seehunde sind geschützt, denn ihre Spezies gilt als gefährdet. Im vorigen Sommer haben Meeresbiologen der Universität La Rochelle auf dem Rücken jedes Tieres GPS-Sonden befestigt, um ihr Wanderverhalten zu erkunden. Manche Arten erwiesen sich als sesshaft und blieben in den Buchten der Opal-Küste, andere wurden jenseits des Ärmelkanals auf den Sandbänken in der Themsemündung gesichtet.
Die Mannschaft der „Septentrione“, eines in Boulogne-sur-Mer eigens zu Patrouillenzwecken ausgerüsteten Bootes, kreuzt vor der Kanalküste und untersucht Veränderungen im Meer, wobei Wasser und Bodenproben ausgewertet werden. Dadurch soll mehr Kenntnis über die hiesige Fauna und Flora
gewonnen werden und das Ökosystem vor fremden Eingriffen geschützt werden, aber man möchte auch Lösungen für eine nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen finden. Besonders dieses Ziel ist wichtig, weil die Seehunde nicht von jedem so gern gesehen werden, wie dies bei den Wattwanderungen der Badegäste der Fall ist.
Denn wie die Kormorane sind die Robben Räuber, die weder Fischnoch Muschelfleisch verachten. Sie vermehren sich gut, da sie keine Fressfeinde haben. Die Sorge oder auch die Wut all jener, die sich ebenfalls vom Meer ernähren, wächst: Das sind die professionellen Fischer, Anglervereine und jene Sorte Mensch, die sich unverdrossen bei Ebbe ins Watt aufmacht und aus dem Meeresboden Muscheln und anderes Getier ausbuddelt, von den Franzosen „pêcheur à pied“genannt. Ein empörter Angler konnte mit Videoaufnahmen nachweisen, dass ein Seehund die Canche
an Etaples-sur-Mer vorbei flussaufwärts geschwommen und auf der Höhe des zehn Kilometer entfernten Montreuil erblickt worden war.
So kommen seit Jahren neue Sorgen auf die Fischereiwirtschaft zu: Da ist das Dauerthema Brexit, bei dem zwischen Franzosen und Engländern immer noch nicht Fanggründe und Fangquoten geklärt sind. Und es mehren sich die Proteste von Fischer- und Tourismusverbänden gegen die riesigen, in den Buchten der Côte d’Opale geplanten Windkraftparks. Hier, so die Befürchtungen, werde der Meeresboden mit Fundamenten zubetoniert und überdies die Aussicht verschandelt.
Und schließlich sind da die fresslustigen Ankömmlinge aus dem Meer, die auf der Sandbank ruhend ihre Gäste vom Land beäugen. Doch bei allem Verdruss: Gibt es nicht ein schöneres Postkartenmotiv als einen Seehund mit blanken Kulleraugen?