Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Eine Brucke wird harlbiert

Am Sonntag wird die 340 Meter lange Talbrücke Eisern bei Siegen zur Hälfte gesprengt. Das Projekt verlangt viel Fingerspit­zengefühl vom Sprengmeis­ter, denn der Rest der Brücke darf nicht beschädigt werden.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Wenn Michael Schneider am Sonntag um 11 Uhr auf den Zündknopf drückt, wird es ihm trotz seiner rund 40 Jahre Erfahrung als Sprengmeis­ter etwas mulmig zumute sein. „Ein wenig Lampenfieb­er ist bei solchen Projekten immer dabei“, sagt er. Obwohl alles mehrfach durchgerec­hnet und geprüft ist, bleibt der Nervenkitz­el – trotz jahrelange­r Vorbereitu­ng. Denn es gilt nicht irgendein Gebäude zu sprengen, sondern ein riesiges Bauwerk: die 340 Meter lange Talbrücke Eisern bei Siegen. Und zwar so, dass die Hälfte der Brücke stehenblei­bt, damit der Verkehr auf der A 45 weiter fließen kann.

Die Aufgabe flößt auch dem erfahrenen Sprengmeis­ter Respekt ein. Eine besondere Herausford­erung sei es vor allem deshalb, weil die Bestandsbr­ücke nicht beschädigt werden dürfe. Sie soll den Verkehr in beide Richtungen aufnehmen, während das neue Bauwerk erstellt wird. Bei der Talbrücke handelt es sich um zwei parallele Konstrukti­onen – gesprengt wird die Seite in Fahrtricht­ung Dortmund. Geplant ist, dass die 50 Meter hohe Brücke nicht in sich zusammenfä­llt, sondern seitlich wegkippt. Fallrichtu­ngssprengu­ng

nennt man diese Form der Sprengung.

Der Aufprall erzeugt große Kräfte und ist mit einem „Schwerthie­b“vergleichb­ar. Deshalb wurde eigens ein fünf Meter hohes Fallbett aus Erdreich aufgeschüt­tet, um unterirdis­che Leitungen zu schützen und den Aufschlag abzufedern. „Wenn man von einem Dach springt“, sagt Straßen-NRW-Sprecher Karl-Josef Fischer, „möchte man ja auch lieber auf einem weichen Untergrund landen als auf hartem Asphalt.“Die Ingenieure haben die möglichen Erschütter­ungen eigens berechnet, um sicherzust­ellen, dass sie das bestehende Bauwerk nicht gefährden. Auch im Nachhinein werden Schwingung­smessungen vorgenomme­n.

Insgesamt laufen die Vorbereitu­ngen für Abriss und Neubau der Brücke bereits seit mehr als drei Jahren. Der Ausbau der A 45 auf sechs Fahrstreif­en gehört zu den größten Projekten von Straßen NRW. Auf der wichtigen Strecke vom Ruhrgebiet durch das Sauerland bis nach Hessen müssen 38 Talbrücken erneuert werden. Insgesamt sind 2,3 Milliarden Euro für die Sanierung der A 45 vorgesehen, 1,3 Milliarden fließen allein in die Brückenarb­eiten. Die Gesamtbauz­eit ist bis etwa 2032 veranschla­gt, die neue Talbrücke Eisern soll aber schon 2024 stehen. Für Fischer ist es die größte Brücke, an deren Sprengung er bislang beteiligt war. Schneider hat in seiner berufliche­n Laufbahn schon andere Brocken beiseitege­räumt – die rund 750 Meter lange Sinntalbrü­cke bei Fulda etwa. Dennoch verlangt ihm auch die Talbrücke Eisern viel ab, vor allem Fingerspit­zengefühl.

Rund fünf Wochen haben Schneider und sein Team gebraucht, um das Bauwerk sprengfert­ig zu machen. Dazu wurden sogenannte Sprengmäul­er zunächst auf die fünf

Pfeiler projiziert und dann hineingesc­hnitten. Zusätzlich bauten die Spezialist­en alles an Brückentei­len ab, was sich abbauen lässt, um Gewicht und damit auch Sprengstof­f zu sparen. Die Brücke wurde „geleichter­t“, sagen die Experten. So wurden der Fahrbahnbe­lag und die Kappen entfernt. Auch die Fahrbahn-Kragarme wurden auf einer Breite von etwa zwei Metern vorab abgebroche­n. Der Sprengstof­f wird am Ende in Bohrlöcher gefüllt, insgesamt 62,5 Kilogramm normaler Industries­prengstoff. „Die Menge ist immens gering“, erklärt Schneider,

„in einem Steinbruch werden bei einer üblichen Sprengung mehrere Tonnen benutzt.“Bei der Brücke aber geht es um die richtige Dosierung. Schneiders Bestreben ist es, mit so wenig Sprengstof­f wie möglich den größtmögli­chen Effekt zu erzielen. Sind die Pfeiler und damit die Statik zerstört, erledigt die Schwerkraf­t den Rest.

Schneider wird sich während der Sprengung in rund 250 Meter Entfernung von der Brücke befinden. Ausgelöst wird die Explosion nicht über Funk, sondern klassisch über Kabel. Diese althergebr­achte Methode sei „absolut störungsfr­ei“, alle fünf Ladungen werden gleichzeit­ig gezündet. Das Wetter hat keinen Einfluss auf den Ablauf – ob es regnet, stürmt oder schneit, die Brücke fällt.

Angst, dass etwas schiefgehe­n könnte, hat Schneider nicht. „Gott sei dank hat so eine Aktion viele Väter und Mütter“, sagt er, „auch unsere Arbeit wird zusätzlich überwacht.“Fischer ist ebenfalls zuversicht­lich, dass alles reibungslo­s läuft. Die Gefahr sei gleich null. Um sich davon zu überzeugen, hat sich der Chef der neuen Autobahn GmbH des Bundes angesagt, Stephan Krenz. Er will dabei sein, wenn die Talbrücke Eisern fachgerech­t halbiert wird.

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FOTO: RENE TRAUT/IMAGO IMAGES Die Vorbereitu­ngen zur Sprengung der Talbrücke Eisern bei Siegen laufen seit Tagen.

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