Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Bayers „Mann der Rekorde“versucht bisher vergebens, aus Rudi Völlers Schatten zu treten.
Der Sportdirektor von Bayer Leverkusen ist kein Mann der lauten Töne. Dabei hätte er viel zu erzählen.
LEVERKUSEN Über den Informationsgehalt des TV-Stammtisches „Doppelpass“lässt sich streiten. Sicher ist aber, dass die Sendung eine große Reichweite hat. Als Uli Hoeneß vor wenigen Wochen den Berater von David Alaba als „geldgierigen Piranha“bezeichnete, hallte das Echo tagelang durch Fußballdeutschland. Nicht nur Boulevardmedien schlachteten das Thema genüsslich aus. Jeder hatte eine Meinung dazu.
Zwei Wochen später saß Bayer Leverkusens Sportdirektor Simon Rolfes vor den selben Kameras. Der Auftritt des 38-Jährigen war allerdings Minuten, nachdem sich Moderator Thomas Helmer von den Zuschauern verabschiedet hatte, bereits vergessen. Es ist klar, dass Rolfes nicht die gleiche Wucht wie der gerne über das Ziel hinaus polternde Hoeneß entfaltet. Etwas mehr hätte der Ende 2018 nach entsprechendem Studium zum Manager avancierte Ehrenspielführer der Werkself allerdings schon anbieten können. Viel zu erzählen hätte er allemal.
Rolfes hat seit seinem Amtsantritt zwei bemerkenswerte Bestmarken aufgestellt. Kerem Demirbay kam im Sommer 2019 für 32 Millionen Euro als teuerster Zugang der Leverkusener Klubgeschichte aus Hoffenheim – und an der Seite von Geschäftsführer Fernando Carro sowie Sportgeschäftsführer Rudi Völler wickelte er den Rekordtransfer von Kai Havertz zum FC Chelsea ab, der Bayer inklusive aller Boni rund 100 Millionen Euro in die Kasse spült. Der Kader des Europa-League-Teilnehmers trägt zudem mehr denn je die Handschrift des Sportdirektors.
Edmond Tapsoba, Nadiem Amiri, Florian Wirtz, Exequiel Palacios, Daley Sinkgraven, Moussa Diaby und zuletzt Patrik Schick – die Liste der Profis, die in seiner Amtszeit unters Bayer-Kreuz gewechselt sind, wird länger. Zudem dürfte sich unter der Regie des ehemaligen Nationalspielers das Gehaltsgefüge im Team nach oben verschoben haben. Immerhin hatten einige der
Zugänge auch andere Interessenten. Sie entschieden sich wohl nicht nur der schönen Stadt wegen für Leverkusen.
Niemand ist ohne Kritik. Das gilt auch für Rolfes. Längst nicht jeder Zugang ist eingeschlagen. Vor allem „Königstransfer“Demirbay bleibt bislang hinter den Erwartungen zurück. Und von Palacios hört man nun schon länger nichts mehr. Nachdem neben Havertz auch Kevin Volland Bayer 04 verlassen hat, hatten viele Fans des Werksklubs die Hoffnung auf einen weiteren klangvollen Offensivtransfer – vergeblich. Die Folge waren unzählige erboste Kommentare in den sozialen Medien nach Ablauf der Wechselfrist.
Viele Anhänger unken, dass Bayer nach dem enttäuschenden Saisonstart mit nur drei Punkten aus den ersten drei Ligaspielen im Niemandsland der Tabelle stranden könnte. Sie schmunzeln inzwischen eher über die notorisch geäußerten Champions-League-Ambitionen der Verantwortlichen. Dass der Wechsel von Bremens Linksaußen Milot Rashica auf der Zielgeraden scheiterte, weil schlicht die Zeit für den Deal fehlte, wirft kein gutes Licht auf das Management. Nun steht Trainer Peter Bosz vor der anspruchsvollen Aufgabe, das Team möglichst auf Platz vier zu führen. Dass sich der just von Atlético Madrid ausgeliehene Rechtsverteidiger Santiago Arias bei einem Länderspiel mit Kolumbien schwer verletzte und mindestens sechs Monate ausfällt, macht die Mission nicht einfacher.
Rolfes begründet die Zurückhaltung am Markt mit vergangenen Transfers, die ein Vorgriff gewesen seien, und den finanziellen Folgen der Corona-Pandemie. Das ist ebenso nachvollziehbar wie der Gedanke, mehr von den bereits vorhandenen Spielern zu fordern, um den Verlust von Havertz ausgleichen zu können. Klubchef Carro lobt den Sportdirektor ausdrücklich: „Simon verbindet langjährige Profifußballerfahrung auf höchstem Niveau mit einem ausgeprägten Gespür für die Anforderungen an ein modernes Fußball-Unternehmen. Dazu kommt die in diesem Zusammenhang sehr hilfreiche, langjährige Verbindung zu diesem Klub.“Zudem habe Rolfes „eine exzellente Wahrnehmung“, ob und wie ein Spieler zu Bayer 04 passen könne. „Diese emotionale Komponente ergänzt sich hervorragend mit seinen analytischen Fähigkeiten. Hinzu kommt der ausgeprägte Ehrgeiz und Wille, sich immer weiterentwickeln zu wollen.“
Ausbaufähig bleibt die Außenwirkung. Rolfes ist freilich sympathisch, eloquent und durchaus meinungsfreudig, was er nicht nur in seiner Zeit als TV-Experte beim ZDF bewiesen hat. Und auch in seiner Funktion als Funktionär beim Werksklub ist er ein Freund der klaren Worte – zumindest wenn keine Kameras und Mikrofone in der Nähe sind. Wenn doch, wirkt es, als würde er jeden Satz drei Mal abwägen. Er bleibt daher meist unverbindlich und diplomatisch. Für jemanden, der mittelfristig in die Fußstapfen von Sportgeschäftsführer Rudi Völler treten soll, ist er (noch) zu leise. Ein forscheres Auftreten könnte ihm nicht zuletzt dabei helfen, Transferentscheidungen noch klarer zu begründen, und so den eigenen Anhang hinter sich zu bringen.
So aber bleibt bis auf Weiteres der inzwischen 60-jährige Weltmeister von 1990 die bundesweit wahrnehmbare Stimme des Vereins, der nicht nur im fußballerisch dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen um Aufmerksamkeit buhlt. Denn wenn Völler im „Doppelpass“spricht, bleiben immer ein paar Sätze hängen.