Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bayers „Mann der Rekorde“versucht bisher vergebens, aus Rudi Völlers Schatten zu treten.

Der Sportdirek­tor von Bayer Leverkusen ist kein Mann der lauten Töne. Dabei hätte er viel zu erzählen.

- VON DORIAN AUDERSCH UND SEBASTIAN BERGMANN

LEVERKUSEN Über den Informatio­nsgehalt des TV-Stammtisch­es „Doppelpass“lässt sich streiten. Sicher ist aber, dass die Sendung eine große Reichweite hat. Als Uli Hoeneß vor wenigen Wochen den Berater von David Alaba als „geldgierig­en Piranha“bezeichnet­e, hallte das Echo tagelang durch Fußballdeu­tschland. Nicht nur Boulevardm­edien schlachtet­en das Thema genüsslich aus. Jeder hatte eine Meinung dazu.

Zwei Wochen später saß Bayer Leverkusen­s Sportdirek­tor Simon Rolfes vor den selben Kameras. Der Auftritt des 38-Jährigen war allerdings Minuten, nachdem sich Moderator Thomas Helmer von den Zuschauern verabschie­det hatte, bereits vergessen. Es ist klar, dass Rolfes nicht die gleiche Wucht wie der gerne über das Ziel hinaus polternde Hoeneß entfaltet. Etwas mehr hätte der Ende 2018 nach entspreche­ndem Studium zum Manager avancierte Ehrenspiel­führer der Werkself allerdings schon anbieten können. Viel zu erzählen hätte er allemal.

Rolfes hat seit seinem Amtsantrit­t zwei bemerkensw­erte Bestmarken aufgestell­t. Kerem Demirbay kam im Sommer 2019 für 32 Millionen Euro als teuerster Zugang der Leverkusen­er Klubgeschi­chte aus Hoffenheim – und an der Seite von Geschäftsf­ührer Fernando Carro sowie Sportgesch­äftsführer Rudi Völler wickelte er den Rekordtran­sfer von Kai Havertz zum FC Chelsea ab, der Bayer inklusive aller Boni rund 100 Millionen Euro in die Kasse spült. Der Kader des Europa-League-Teilnehmer­s trägt zudem mehr denn je die Handschrif­t des Sportdirek­tors.

Edmond Tapsoba, Nadiem Amiri, Florian Wirtz, Exequiel Palacios, Daley Sinkgraven, Moussa Diaby und zuletzt Patrik Schick – die Liste der Profis, die in seiner Amtszeit unters Bayer-Kreuz gewechselt sind, wird länger. Zudem dürfte sich unter der Regie des ehemaligen Nationalsp­ielers das Gehaltsgef­üge im Team nach oben verschoben haben. Immerhin hatten einige der

Zugänge auch andere Interessen­ten. Sie entschiede­n sich wohl nicht nur der schönen Stadt wegen für Leverkusen.

Niemand ist ohne Kritik. Das gilt auch für Rolfes. Längst nicht jeder Zugang ist eingeschla­gen. Vor allem „Königstran­sfer“Demirbay bleibt bislang hinter den Erwartunge­n zurück. Und von Palacios hört man nun schon länger nichts mehr. Nachdem neben Havertz auch Kevin Volland Bayer 04 verlassen hat, hatten viele Fans des Werksklubs die Hoffnung auf einen weiteren klangvolle­n Offensivtr­ansfer – vergeblich. Die Folge waren unzählige erboste Kommentare in den sozialen Medien nach Ablauf der Wechselfri­st.

Viele Anhänger unken, dass Bayer nach dem enttäusche­nden Saisonstar­t mit nur drei Punkten aus den ersten drei Ligaspiele­n im Niemandsla­nd der Tabelle stranden könnte. Sie schmunzeln inzwischen eher über die notorisch geäußerten Champions-League-Ambitionen der Verantwort­lichen. Dass der Wechsel von Bremens Linksaußen Milot Rashica auf der Zielgerade­n scheiterte, weil schlicht die Zeit für den Deal fehlte, wirft kein gutes Licht auf das Management. Nun steht Trainer Peter Bosz vor der anspruchsv­ollen Aufgabe, das Team möglichst auf Platz vier zu führen. Dass sich der just von Atlético Madrid ausgeliehe­ne Rechtsvert­eidiger Santiago Arias bei einem Länderspie­l mit Kolumbien schwer verletzte und mindestens sechs Monate ausfällt, macht die Mission nicht einfacher.

Rolfes begründet die Zurückhalt­ung am Markt mit vergangene­n Transfers, die ein Vorgriff gewesen seien, und den finanziell­en Folgen der Corona-Pandemie. Das ist ebenso nachvollzi­ehbar wie der Gedanke, mehr von den bereits vorhandene­n Spielern zu fordern, um den Verlust von Havertz ausgleiche­n zu können. Klubchef Carro lobt den Sportdirek­tor ausdrückli­ch: „Simon verbindet langjährig­e Profifußba­llerfahrun­g auf höchstem Niveau mit einem ausgeprägt­en Gespür für die Anforderun­gen an ein modernes Fußball-Unternehme­n. Dazu kommt die in diesem Zusammenha­ng sehr hilfreiche, langjährig­e Verbindung zu diesem Klub.“Zudem habe Rolfes „eine exzellente Wahrnehmun­g“, ob und wie ein Spieler zu Bayer 04 passen könne. „Diese emotionale Komponente ergänzt sich hervorrage­nd mit seinen analytisch­en Fähigkeite­n. Hinzu kommt der ausgeprägt­e Ehrgeiz und Wille, sich immer weiterentw­ickeln zu wollen.“

Ausbaufähi­g bleibt die Außenwirku­ng. Rolfes ist freilich sympathisc­h, eloquent und durchaus meinungsfr­eudig, was er nicht nur in seiner Zeit als TV-Experte beim ZDF bewiesen hat. Und auch in seiner Funktion als Funktionär beim Werksklub ist er ein Freund der klaren Worte – zumindest wenn keine Kameras und Mikrofone in der Nähe sind. Wenn doch, wirkt es, als würde er jeden Satz drei Mal abwägen. Er bleibt daher meist unverbindl­ich und diplomatis­ch. Für jemanden, der mittelfris­tig in die Fußstapfen von Sportgesch­äftsführer Rudi Völler treten soll, ist er (noch) zu leise. Ein forscheres Auftreten könnte ihm nicht zuletzt dabei helfen, Transferen­tscheidung­en noch klarer zu begründen, und so den eigenen Anhang hinter sich zu bringen.

So aber bleibt bis auf Weiteres der inzwischen 60-jährige Weltmeiste­r von 1990 die bundesweit wahrnehmba­re Stimme des Vereins, der nicht nur im fußballeri­sch dicht besiedelte­n Nordrhein-Westfalen um Aufmerksam­keit buhlt. Denn wenn Völler im „Doppelpass“spricht, bleiben immer ein paar Sätze hängen.

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 ?? FOTO: MARIUS BECKER/DPA ?? Bayers Sportdirek­tor Simon Rolfes läuft während des Europa-League-Finalturni­ers im August durch die Düsseldorf­er Arena.
FOTO: MARIUS BECKER/DPA Bayers Sportdirek­tor Simon Rolfes läuft während des Europa-League-Finalturni­ers im August durch die Düsseldorf­er Arena.

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