Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die zweite Welle gewinnt dramatisch an Dynamik

Das Infektions­geschehen entwickelt sich rasant. Die Kliniken fürchten, dass im November die Zahl von 2000 Intensivpa­tienten mit Covid-19 erreicht wird.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Allen Menschen, die das Infektions­geschehen ernst nehmen, werden in diesen Tagen mathematis­che Fähigkeite­n abverlangt. Zuerst mussten sie sich mit dem Wesen der Reprodukti­onszahl beschäftig­en. Seit einiger Zeit geistert als neue Qualitätsz­iffer für den Verlauf von Infektione­n die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz durch die Welt.

Nun haben wir in Deutschlan­d aber auch noch einen neuen Rekordstan­d an Neuinfekti­onen erreicht. Und kaum haben wir uns an den 50er-Wert bei der Sieben-Tage-Inzidenz gewöhnt, kommt jetzt auch ein 35-Wert ins Spiel. Der Sinn dahinter: Infektions­dynamik benötigt vermutlich nicht nur Ampelsyste­me, sondern auch gestaffelt­e Schwellenw­erte, damit jedermann weiß, in welche Richtung die Reise geht.

Gerade auch in NRW haben sich die Zahlen rasant entwickelt: Knapp 1800 Neuinfekti­onen an einem Tag, das kann niemanden unbesorgt lassen, zumal die Testkapazi­täten nicht wesentlich erhöht wurden.

Nun wird man einwenden können, dass sich die Zahl der Toten in den vergangene­n Wochen nicht auffällig erhöht hat. Aber durch den Kontakt der Generation­en ist damit zu rechnen, dass die Sterberate­n ebenfalls wieder steigen. Das kann man sich angesichts der schon jetzt deutlich steigenden Belegung der Intensivbe­tten in Nordrhein-Westfalen ausrechnen.

Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft zeigt sich sehr besorgt. „Wir wissen aus der ersten Welle der Pandemie, dass diese Neuinfekti­onen in einem Zeitversat­z von etwa 14 Tagen auch in den Krankenhäu­sern ankommen. Schon jetzt sehen wir eine Verdopplun­g der Neuaufnahm­en infizierte­r Patienten zur Vorwoche“, sagte der Präsident, Gerald Gaß. Er rechne damit, dass schon im November die Zahl von rund 2000 Intensivpa­tienten mit Covid-19 erreicht werde.

Zweifellos sind die medikament­ösen Optionen derzeit deutlich besser als zum Beginn der Pandemie. Heutzutage stirbt man nicht mehr so leicht an dem Virus. Auch die Intensivme­diziner haben viel gelernt. Trotzdem landen die schwerkran­ken Covid-19-Patienten auf der Intensivst­ation, wo sie ein Bett in Anspruch nehmen. Und diese Bettenzahl ist nicht unbegrenzt zu steigern, zumal es auch einen erhebliche­n Mangel an geschultem Intensivpf­legeperson­al gibt.

Mit dem Frühjahr sind die Testanläss­e nur bedingt zu vergleiche­n. Damals wurden vor allem symptomati­sche Patienten und deren Kontaktper­sonen getestet sowie Menschen aus Risikokoll­ektiven, etwa in Altenheime­n. Jetzt lassen unabhängig davon viele Menschen einen Test machen, weil sie in Urlaub fahren wollen und dafür einen negativen Test vorlegen müssen. Dazu kommen weiterhin diejenigen, die Symptome entwickelt haben. Dass auch gar nicht oder nur mild erkrankte Kinder Virustrans­porteure sein können, ist bereits seit einiger Zeit bekannt.

Naturgemäß schlägt der PCR-Test (der gängige Corona-Test) bei vielen Menschen an, die nur milde oder gar keine Krankheits­zeichen haben. Trotzdem tragen auch sie zum Infektions­geschehen bei, sonst würden sich die Zahlen nicht so stark entwickeln.

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