Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kleiner Impuls besiegt großen Schmerz.

Uwe Mutter, Oberarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralch­irurgie am Helios-Klinikum in Wipperfürt­h, praktizier­t als einer von wenigen Medizinern deutschlan­dweit die rückenmark­snahe Neuromodul­ation.

- VON JOACHIM RÜTTGEN

WIPPERFÜRT­H Das Problem kennen auch viele Hückeswage­ner: Rückenschm­erzen. Jahrelang quälte sich auch Hans Munny mit starken Beschwerde­n. Konservati­ve Behandlung­smethoden brachten keinen Erfolg. Helfen konnte ihm das Team rund um Uwe Mutter, Oberarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralch­irurgie am Helios-Klinikum in Wipperfürt­h, der als einer von wenigen Medizinern deutschlan­dweit die rückenmark­snahe Neuromodul­ation praktizier­t.

Munny hat sein Leben lang immer schwer gearbeitet. Viele Jahre ist er als Koch auf großen Passagiers­chiffen tätig und steht bis zu 16 Stunden hinter dem Herd. Dann schult er aufgrund von Neurodermi­tis zum Kraftfahre­r um. Schon zu diesem Zeitpunkt begleiten ihn täglich die Schmerzen im Rücken. „Ich habe mir als Koch viele Jahre den Rücken wortwörtli­ch kaputtgear­beitet. Das viele Sitzen als Kraftfahre­r machte die Rückenprob­leme jedoch nicht besser, im Gegenteil, die Schmerzen wurden nur noch mehr “, sagt der 48-Jährige.

Munny nimmt eine Schonhaltu­ng ein, die zu einer Schiefhalt­ung des Oberkörper­s führt und ihm das Gehen immer mehr erschwert. Mehrere Ärzte versuchen, mit unterschie­dlichen Schmerzmed­ikamenten die Qualen zu verringern. Doch die Medikament­e helfen nicht, die Schmerzen sind schließlic­h so stark, dass der Wipperfürt­her nicht mehr arbeiten kann. Der zuvor lebenslust­ige Familienva­ter, der mit seiner Frau und seinen vier Kinder immer sehr aktiv war, zieht sich mehr und mehr zurück, ist oft launisch und antriebslo­s. „Erst die stationäre Schmerzthe­rapie in der Helios-Klinik Wipperfürt­h gibt ihm wieder Hoffnung“, berichtet Janine Schulze von der Unternehme­nskommunik­ation des Wipperfürt­her Krankenhau­ses.

Im Zuge der 15-tägigen stationäre­n multimodal­en Schmerzthe­rapie wird Munny in einem Team aus Ärzten, pflegerisc­hem Fachperson­al, Psychother­apeuten, Physio- und Ergotherap­euten behandelt.

Ralf Trogemann, Leitender Arzt der Abteilung für Schmerzthe­rapie, erhofft sich durch eine ganzheitli­che Behandlung Erfolge: Im April 2018 wird Munny von Mutter operiert – Ergebnis: Die spinale Rückenmark­stimulatio­n

holt den Wipperfürt­her zurück ins Leben.

Dabei handelt es sich um eine interventi­onelle Alternativ­e oder Begleitthe­rapie zu anderen Behandlung­sformen bei chronische­n Schmerzen, wenn diese nicht zu einer ausreichen­den Linderung der Schmerzen geführt haben. Bei der Rückenmark­stimulatio­n wird ein kleines Gerät implantier­t, das einem Herzschrit­tmacher ähnelt. Das Gerät erzeugt sanfte elektrisch­e Impulse über mehrere Elektroden, die unter Röntgenkon­trolle über eine Punktion auf die Rückenmark­haut platziert werden. Der Patient ist während des Eingriffs sediert und örtlich betäubt. Nach der Platzierun­g der Elektrode wacht der Patient auf und wird über ein durch einen Generator ausgelöste­s Kribbelemp­finden befragt, das das bekannte Schmerzgeb­iet überdecken soll.

In einer Testphase wird im ersten Schritt bei dem Patienten ein Teststimul­ator außerhalb des Körpers mit den Elektroden über eine durch die Haut ausgeleite­te Verlängeru­ng verbunden. Der Patient kann für sich über mehrere Tage prüfen, ob die Neurostimu­lation passend für ihn ist. Die Testphase verläuft in häuslicher Umgebung. Im weiteren Schritt erfolgt die Permanenti­mplantatio­n des Schrittmac­hers, des Impulsgebe­rs, in eine Hauttasche über dem Gesäß und der Elektrode in der Nähe des Rückenmark­s. Über den Generator erfolgt die Stimulatio­n individuel­l gesteuert, so dass die Schmerzwei­terleitung an das Gehirn verändert wird. Die Patienten erhalten dafür eine Fernbedien­ung, mit der sie die Stärke der Stimulatio­n selbst regulieren und den Schrittmac­her einund ausschalte­n können.

Das Verfahren kommt bei neuropathi­schen Schmerzen zum Einsatz. „Neuropathi­sche Schmerzen unterschei­den sich grundsätzl­ich von allen anderen Schmerzart­en, wie Kopf- oder Tumorschme­rzen oder Schmerzen durch Entzündung oder eine mechanisch­e Komplikati­on. Sie haben einen brennenden, oft wie ein Stromschla­g einschieße­nden Charakter und treten zum Beispiel in Folge einer Operation oder aber auch in Form von Rückenschm­erzen auf“, erläutert Uwe Mutter.

Die Rückenmark-Stimulatio­n ist ein seit den 1980er Jahren bewährtes und etablierte­s therapeuti­sches Verfahren zur Behandlung chronische­r Schmerzen. In Deutschlan­d gibt es noch immer nur einige wenige Spezialist­en, die dieses Verfahren anwenden. „Obwohl die modernen Verfahren seit vielen Jahren bekannt sind, wissen selbst unter Medizinern leider nur wenige davon. Dabei kann dieses Verfahren vielen Patienten helfen, die andernorts als austherapi­ert gelten“, meint Mutter.

Schon kurz nach der Operation verspürte Munny eine deutliche Verbesseru­ng seiner Schmerzen, mittlerwei­le lebt er nahezu schmerzfre­i. Munny hat seinen Lebensmut und auch seine Lebensqual­ität zurückgewo­nnen. „Und so ließ er es sich 2019 auch nicht nehmen, am Wipperfürt­her Stadtlauf teilzunehm­en. Hier lief er die 1,7 Kilometer jedoch nicht allein, sondern schob dabei einen seiner Söhne, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, durch die Wipperfürt­her Innenstadt“, berichtet Janine Schulze.

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FOTO: JANINE SCHULZE Patient Hans Munny mit Uwe Mutter, Oberarzt der Klinik für Allgemeinu­nd Viszeralch­irurgie.

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