Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Einblicke in düstere Geschäfte
In Trier hat der Prozess gegen acht Beschuldigte begonnen, die von einem Bunker aus Beihilfe zu 249.000 Straftaten geleistet haben sollen.
Wo in der Mitte des Saals sonst ein Stuhl für die Zeugen steht, befindet sich nun eine ganze Batterie an Acrylglaskabinen. Wie in einem Klassenzimmer sitzen die Anwälte dort und warten – genau wie die 23 Zuschauer – gespannt auf das Eintreffen der Richter, der acht Angeklagten und den Start des womöglich außergewöhnlichsten Prozesses, den es vor dem Trierer Landgericht jemals gegeben hat. Ein Prozess, den nun auch das Gericht schlicht als „Bunkerverfahren“bezeichnet.
Und dann passiert: nichts. Ein Schöffe fehlt. Alle müssen warten, bis ein neuer gefunden ist. Dann erheben sich die Anwälte, spähen Richtung Tür. Stille. Dann öffnet sich die Tür. Der erste Angeklagte wird in Handschellen in den Raum geführt: ein hochgewachsener junger Mann. Weitere Menschen strömen herein, während die Zuschauer Ausschau halten nach jenem blassen, blonden 60-Jährigen in Schwarz, über den in den vergangenen Wochen und Monaten so viel berichtet wurde: Herman Johan X., mutmaßlicher Anführer einer mutmaßlich kriminellen Bande, die im Moselstädtchen
Traben-Trarbach hinter den Schutzmauern eines fünfgeschossigen Bunkers mit Hunderten Servern dafür gesorgt haben soll, dass Kriminelle im Darknet ungestört mit Drogen, Waffen und Falschgeld handeln konnten.
Den acht Angeklagten wirft die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vor, eine kriminelle Vereinigung gebildet und mit ihrem Datenzentrum Beihilfe zu mehr als 249.000 Straftaten geleistet zu haben. X. soll der Chef gewesen sein, seine Lebenspartnerin Jacqueline (53) soll sich um Buchhaltung und Kundenzahlungen gekümmert haben, der 50-jährige Michiel R. verteilte als Manager offenbar die Aufgaben. Auch die beiden Söhne des 60-Jährigen – X. und Y. – waren mit im Business und wie die übrigen Angeklagten überwiegend als IT-Administratoren tätig.
Doch da, wo X. sitzen soll, hat ein hagerer Herr in schwarzem Anzug mit lockigem grauen Haar Platz genommen. X. sei nicht der Superschurke, zu dem die Generalstaatsanwaltschaft und die Medien ihn stilisiert hätten, hatte sein Anwalt Michael Eichin im Gespräch mit dem Fernsehen im Vorfeld des Prozesses betont. Nun sitzt er neben X. und hört stundenlang zu, was die Anklage zu sagen hat über das, was sein Mandant und die anderen getan haben sollen. Mit monotonen Stimmen verlesen Oberstaatsanwalt
Jörg Angerer und einer seiner Kollegen von der Landeszentrale Cybercrime den 40-seitigen Anklagesatz.
Insgesamt wird den acht Beschuldigten Beihilfe zu 249.000 Straftaten vorgeworfen, die über verschieden illegale Webseiten im Darknet begangen wurden. Es geht um Tonnen von Drogen im Wert von zig Millionen Euro. Auch gefälschte Ausweise verschiedener Nationalitäten waren im Angebot – mal mit, mal ohne Hologramm für 114 oder 250 Euro.
Schon ab 4 Uhr nachts hatten sich die ersten Medienvertreter und Zuschauer bei winterlichen Temperaturen vor dem Seiteneingang des Trierer Gerichts angestellt, um bei diesem außergewöhnlichen Prozess dabei sein zu können. Tiefe Einblicke ins Bunkerleben bekommen sie an diesem Tag nicht. Auch kein Geständnis. Allerdings dauert es womöglich gar nicht so lange, bis es so weit ist. Eindringlich macht der Vorsitzende Richter Günther Köhler den Angeklagten deutlich, wie sehr es sich für sie lohnen könnte auszusagen.
Wer schweige, werde nicht härter bestraft. Aber wer ein Geständnis ablege, könne mit Strafmilderung rechnen – und zwar umso mehr, je „werthaltiger“dieses sei. Und wie sehr es dazu beitragen könne, den bis Ende 2021 ausgelegten Mammutprozess zu verkürzen. „Sie haben schon mehr als ein Jahr Untersuchungshaft hinter sich. Es ist uns klar, dass das eine belastende Situation für Sie ist. Wir gehen davon aus, dass Sie noch etwas vorhaben in Ihrer Lebensplanung“, sagt Köhler, um X. und die anderen zu einem Geständnis zu bewegen.
Der Manager Michiel R. hat am Montag bereits angekündigt, sich am Montag der kommenden Woche zu den Vorwürfen zu äußern. Die meisten anderen wollen vorerst nur zu ihrer Person, nicht aber zu den Vorgängen im Bunker Auskunft geben. „Gegebenenfalls später“, lautet meist die Antwort. Schon sehr bald könnte es also spannend werden.