Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Online das Infektionsrisiko berechnen
Mit einer Software lässt sich veranschaulichen, wie groß die Gefahr ist, sich in Innenräumen über Aerosole anzustecken.
BERLIN Ob der Besuch im Supermarkt, das Geschenke-Shopping im Kaufhaus oder das Weihnachtsessen mit der Familie – bei allen Aktivitäten in Innenräumen gibt es ein gewisses Ansteckungsrisiko durch Aerosole. Wie hoch es ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je kleiner der Raum und je mehr Personen sich darin aufhalten, desto größer ist die Gefahr einer Ansteckung, lautet die Faustregel. Die Wissenschaftler vom Hermann-Rietschel-Institut (HRI) an der Technischen Universität Berlin wollten es genauer wissen und haben ein System entwickelt, dass das Risiko einer Infektion berechnet, unter Berücksichtigung von Faktoren wie Raumgröße, Zahl der Personen, Aufenthaltsdauer und Lüftungsverhalten. Selbst wenn das Modell nur einen Annäherungswert ermittelt, lässt sich damit sehr gut veranschaulichen, was passieren könnte – auch beim gemeinsamen Singen unterm Tannenbaum.
Es ist unbekannt, wie viele reproduktionsfähige Viren sich auf Aerosolpartikeln befinden und wie viele davon eingeatmet werden müssen, um tatsächlich Covid-19 auszulösen. Diese Daten sind schwer zu ermitteln und auch für andere Infektionskrankheiten wie die Influenza noch nicht abschließend erforscht. Zur Beurteilung des Infektionsrisikos mit Sars-CoV-2 über Aerosolpartikel
bestehen daher noch Unklarheiten. So lässt sich nicht einfach vorhersagen, ob ein Infizierter eine andere Person ansteckt – nur eben die Wahrscheinlichkeit berechnen. Dazu hat das Team um Professor Martin Kriegel zwölf kleine bis große Ausbrüche in Deutschland und anderen Ländern mit Unterstützung des Robert-Koch-Instituts, der Charité und eines Berliner Gesundheitsamts analysiert.
Das Modell habe vier wesentliche Erkenntnisse geliefert, sagt Kriegel. Erstens lasse sich das Infektionsrisiko durch Zuführen virenfreier Luft sehr effektiv reduzieren. Zweitens habe die gemeinsame Aufenthaltsdauer von einer infizierten Person mit gesunden Personen einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung. „Dies gilt auch bei guter Lüftung oder gefilterter Raumluft“, so Kriegel. „Drittens ist die Begrenzung der Zahl der Kontakte zur Eindämmung der Pandemie sehr sinnvoll, und viertens kann mit allen drei Maßnahmen die Ansteckungsrate über Aerosole minimiert werden.“
Um das neue Modell für jedermann zugänglich zu machen, hat das HRI eine Web-App entwickelt (hri-pira.github.io), auf der Interessierte mit der Eingabe von Daten wie Raumgröße, Zahl und Aktivität der Personen und Qualität der Lüftung eine vereinfachte Einschätzung des Ansteckungsrisikos über Aerosolpartikel
in einer speziellen Situation treffen können. Als Ergebnis erscheint ein Diagramm. Es zeigt, in welchem Zeitraum sich wahrscheinlich wie viele Menschen infizieren. Berücksichtigt werden nur Erwachsene, alle halten sich an die AHA-Regeln – was bei einer Familienfeier wohl eher nicht der Fall sein wird. In dem Modell befindet sich ein Infizierter mit im Raum.
Nimmt man beispielsweise die erlaubte Zahl an Personen, die sich an Weihnachten treffen dürfen, nämlich zehn, und geht von einem 24 Quadratmeter großen, mäßig belüfteten Raum aus – also einem durchschnittlichen Wohnzimmer –, nimmt man weiter an, dass hauptsächlich gesessen, gestanden und gesprochen und kein Mund-Nasen-Schutz getragen wird, ergibt sich ein rund 55-prozentiges Risiko, dass nach fünf Stunden fünf Personen infiziert sind. Wird gesungen, steigt das Infektionsrisiko auf 65 Prozent. Interessant ist, wie sich veränderte Parameter niederschlagen – so lässt sich die Gefahr einer Ansteckung mit guter Belüftung und hochwertigem Mund-Nasen-Schutz deutlich reduzieren. Letztlich sind die Wirkungsmechanismen größtenteils bekannt, werden aber mit der Web-App greifbarer. Und helfen vielleicht dabei, das bevorstehende Weihnachtsfest mit ein paar Maßnahmen ein wenig angstfreier zu gestalten.