Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Das Virus liebt die Kälte
Kann man sich bei einem Spaziergang mit Corona anstecken? Sind Mund-Nasen-Bedeckungen auf Straßen nicht überflüssig? Die Infektionsforschung kommt zu sehr differenzierten Resultaten. Wir geben einen Überblick.
DÜSSELDORF Im Frühjahr schien die Welt einigermaßen schnell wieder in Ordnung, obwohl die Experten befürchteten, es sei vermutlich auf lange Zeit alles eher in Unordnung. Jedenfalls gingen die Zahlen runter, die Menschen murrten zwar, übten sich aber in Disziplin, und dann kamen wärmere Tage, und Corona schien auf dem Abflug. Jetzt wissen wir alle: Corona schwebt über uns wie eine düstere Aerosol-Wolke und lässt sich auch nicht mit etwas Pusten vertreiben.
Die Frage ist: Was hat im Frühjahr funktioniert, was derzeit auf zermürbende Weise scheitert? Und was müssen wir wissen, wenn der Winter kommt und das Virus bleibt? Hier einige Fragen, die sich derzeit viele Menschen stellen.
Kann man sich draußen infizieren?
Ja, das ist möglich. Zwar bleiben an der sogenannten frischen Luft nur wenig Aerosole stabil, also jene feinsten Schwebteilchen aus der Atemluft, die ebenfalls potenziell virenhaltig sind. In Innenräumen formieren sie sich zu Wolken, die über längere Zeit (teilweise sogar mehrere Stunden) in der Luft schweben können. Doch Tröpfchen werden draußen beim lauten Sprechen oder Niesen trotzdem übertragen, wenn die Abstände nicht eingehalten werden; das ist unabhängig von der Jahreszeit.
Aus dieser Tatsache resultierte die Maskenpflicht auch in Innenstädten. Zwar sagt der Virologe Alexander Kekulé, Masken für draußen seien Unsinn, zugleich räumt er unter gewissen Bedingungen eben doch Übertragungschancen für das Virus ein. Im Interview mit unserer Redaktion fand er das Beispiel der zwei Bayern, die einander in München begegnen und zu jodeln beginnen. Selbstverständlich kann es dabei zu einer Ansteckung kommen, allerdings nicht zu einem Superspreading-Szenario.
Was ist mit den Infektionsmöglichkeiten bei einem Spaziergang?
Hier gibt es theoretische Erwägungen, die allerdings nicht sehr realistisch sind. Immer wieder wird das Beispiel des infizierten Joggers erwähnt, der laut schnaufend durch die Prärie pest und beim Ausatmen eine mehrere Meter lange Atemfahne voller infektiöser Tröpfchen hinter sich herzieht. Tatsächlich kann man sagen: Je stärker die sogenannte Exspiration, desto mehr Tröpfchen gelangen an die Umwelt. Zwar sinken sie recht schnell zu Boden, doch für ein paar Sekunden bleiben sie schon noch in der Luft.
Bei diesem Beispiel muss ein Spaziergänger, der deiesm Jogger entgegenkommt, allerdings genau in diese Atemfahne hineingelangen. Und Jogger, die mit hoher Viruslast ohne Symptome durch die Welt laufen, dürften eher selten sein. Also eher Theorie als Praxis.
Welche Rolle spielt draußen das Thema Abstand?
Viele Menschen meinen, mit einer Maske könnten sie die Abstandsregeln außer Kraft setzen. Das ist eine gefährliche Fehlannahme und möglicherweise die Grundlage für eine Reihe unerkannter Infektionen. Es gibt nämlich viele Leute, die ihre Maske nicht so passgenau tragen, dass nicht doch Tröpfchen und Aerosole entweichen. Auf der anderen Seite gibt es viele Leute, die eine feuchte Aussprache haben, bei denen selbst anderthalb Meter Abstand zu wenig sind. Diese unklare Gemengelage hat zu der kombinierten Ansage geführt, dass Masken plus Abstand gleichermaßen wichtig sind.
„Enger Kontakt ist auch im Freien riskant“, bestätigt Stephan Harbarth, Infektiologe an der Universität in Genf. Das sei auch unabhängig von der Jahreszeit. Gerade gesellige Situationen etwa am Glühweinstand könnten draußen genauso zur Ansteckung führen wie in geschlossenen Räumen.
Das Coronavirus hat es bei Sonneneinstrahlung und Wärme offenbar ein bisschen schwerer als im Dunkeln und bei kühlen Temperaturen, wie eine Studie im Fachblatt „Emerging Infectious Diseases“der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC zeigt. Das Virus ist demnach im Sekret aus Nasen und Rachen besonders lange nachweisbar, wenn die Temperaturen zwischen null und zehn Grad liegen.
Werden Schmierinfektionen derzeit unterschätzt?
Vermutlich ja. Es gibt eine Zahl von Infektionen, deren Quelle nicht mehr zu ergründen ist. Auf der anderen Seite wissen wir, dass im Frühjahr nicht nur die Zahl der Infektionen mit Corona, sondern auch mit dem Norovirus rapide sank. Was daran lag, dass die Deutschen auf einmal Weltmeister in Händehygiene waren. Vermutlich müsste hier eine Offensive der Aufklärung gestartet werden, denn bei Kälte hält sich das Coronavirus deutlich länger auf Oberflächen als im Sommer.