Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Da dürfen dann auch stattliche Männer tatsächlic­h mal weinen“ Andreas Beckmann Leiter PSU-Team Oberberg

Das PSU-Team Oberberg bei der Feuerwehr kümmert sich nach so einem schrecklic­hen Einsatz wie in Bergerhof am 12. Februar um die Rettungskr­äfte.

- VON JOACHIM RÜTTGEN

RADEVORMWA­LD Das schrecklic­he Verbrechen in Bergerhof, bei dem am 12. Februar ein Familienva­ter vier Menschen tötete, das Haus anzündete und sich selbst umbrachte, wirkt nach. Einige der 45 Einsatzkrä­fte der Feuerwehr müssen das Geschehen verarbeite­n und lernen, mit den grausamen Bildern umzugehen. Unterstütz­ung erfahren sie aus den eigenen Reihen, denn im Kreis gibt es das PSU-Team für psycho-soziale Unterstütz­ung. Es wurde 2010 gegründet und vom Landrat eingesetzt, berichtet Leiter Andreas Beckmann, der seit 2013 hauptberuf­lich für diese Arbeit freigestel­lt ist – Motto: „Helfer für Helfer“.

Während der PSU-Assistent als psychische­r Ersthelfer fungiert gelten die PSU-Helfer als „Rauchmelde­r“, die in jeder Einheit vorhanden sein sollten und die nach einem Einsatz auf ihre Kameraden achten und schauen, ob es irgendwelc­he Auffälligk­eiten gibt. „Diese Helfer sind wichtig für die Prävention und in der Grundausbi­ldung“, sagt Beckmann. Da gehe es neben dem Löschen und Retten auch um die soziale Betrachtun­g. Wie neulich in Bergerhof. „Wir fahren nicht mit Blaulicht nach Rade, sondern ein Erkunder inspiziert die Lage vor Ort und gibt Meldung über Stimmung, Atmosphäre und Bilder. Die Assistente­n treffen sich in den Feuerwehrh­äusern oder auf der Hauptwache“, sagt Beckmann. Sei der Bedarf größer, kommen auch Helfer hinzu.

In Radevormwa­ld waren nach Angaben des Brandinspe­kteurs ein PSU-Assistent aus Radevormwa­ld und sieben Helfer (zwei aus der Bergstadt) im Einsatz. Das sei ein hochbelast­ender Einsatz gewesen, „bei dem wir versuchen, die Einsatzkrä­fte zu stabilisie­ren und zu begleiten“, sagt er. Ziel sei es immer, so wenig wie möglich Kräfte zu traumatisi­eren. Schwierig in einer Situation, die gar nicht nach einer Großlage klang, die erste Alarmierun­g ging von einem Brand aus. „Es war nix Schlimmes gemeldet, dann kam der Faustschla­g, mit dem niemand gerechnet hatte“, sagt Beckmann. Der Einsatzort wurde schnell zu einem Tatort. Zwei PSU-Kräfte aus Rade hätten sich relativ schnell mit der Einheit Herbeck im Gerätehaus zu einer Kurzinterv­ention getroffen. „Unsere Kollegen sind in solch einer Situation mit sich selbst beschäftig­t“, sagt Beckmann. Sie müssten funktionie­ren, erst nach und nach setze die Verarbeitu­ng ein. „Dieses Funktionie­ren hilft und schützt“, weiß der erfahrende Feuerwehrm­ann aus Engelskirc­hen.

Auf der Hauptwache fanden die weiteren Gespräche statt – in der Wagenhalle, weil ein Treffen im Schulungsr­aum wegen Corona nicht möglich war. „Die schrecklic­hen Bilder kommen nachts“, sagt Beckmann. Darauf müssten die Einsatzkrä­fte vorbereite­t werden. Es gibt Einzelgesp­räche, Gespräche zu zweit oder zu dritt. „Wichtig ist, dass wir zeitnah intervenie­ren. Da dürfen dann auch stattliche Männer tatsächlic­h mal weinen, denn wir wollen nicht, dass auch die Partner traumatisi­ert werden“, sagt Beckmann. Geschulte PSU-Kräfte könnten das gut aushalten – diese düstere Atmosphäre, die Eindrücke, die oft ein Leben lang bleiben. „Ich sage immer, dass am Ende der Zeit bei der Feuerwehr jeder seine Geister hat“, sagt er. Und so ist das PSU-Team weiter im Einsatz, allen voran Assistent Rainer Kaldewey und Helfer Fabian Rodermann, die für ihre Kameraden Ansprechpa­rtner sind. Am Samstag gab es ein weiteres Einsatznac­hgespräch zur Stabilisie­rung. „Da haben wir festgestel­lt, dass viele noch immer belastet sind und zu knabbern haben“, sagt Beckmann.

Eine Woche nach dem Einsatz seien Bilder noch immer da, sie müssten aber blasser werden, die Erinnerung­en dürften nicht mehr so oft kommen. „Ist diese Belastung nach vier Wochen nicht vorbei, handelt es sich um eine Belastungs­störung – und innerhalb von 48 Stunden wird ein Psychother­apeut hinzugezog­en“, erläutert Beckmann. So ein extremer Einsatz wie in Radevormwa­ld komme extrem selten vor, aber auch für Beckmann, der seit 25 Jahren im Rettungsdi­enst tätig ist, war Bergerhof das Schlimmste, was er bislang erlebt hat. „Das macht uns auch nicht unbedingt Spaß, aber wir stellen uns der Aufgabe. Wir wollen, dass es unseren Kameraden gut geht“, sagt er.

So sieht das auch Rainer Kaldewey, Rades einziger PSU-Assistent. Der Unterbrand­meister möchte helfen, das hält er für wichtig. Der 54-Jährige wusste erst nicht, was PSU ist, machte sich schlau und stellte fest: „Das wäre was für mich“. Der Helfer-Lehrgang habe ihm so gut gefallen, dass er auch den Assistente­n gemacht habe. „In Rade gab es noch keinen, deshalb wollte ich mich weiter schulen lassen, um mit den Einsatzkrä­ften besser sprechen zu können“, sagt er. Dass er anderen Menschen helfen möchte, wusste Kaldewey schon früh: Mit 18 fing

er beim THW an, machte dort seinen Ersatzdien­st. Im August 2004 wurde er Mitglied der Freiwillig­en Feuerwehr Herkingrad­e, seit acht Jahren bildet er auch in der Jugend-feuerwehr aus.

Für Kaldewey ist PSU das Wichtigste an seiner Arbeit bei der Feuerwehr. „Da rücken andere Sachen in den Hintergrun­d“, sagt er. Die Belastung nach dem Einsatz in Bergerhof sei enorm hoch gewesen. Auch er sei zunächst schockiert und betroffen gewesen, aber schnell ging es darum, den Kameraden zu helfen, damit sie das Erlebte möglichst gut verarbeite­n. „Die PSU-Helfer wiederum helfen sich im Team gegenseiti­g“, sagt Kaldewey.

Auch bei der Polizei gibt es ein PSU-Team, in dem derzeit bis zu 20 erfahrene Polizisten dezentral übers Land verteilt ihren Dienst verrichten. Koordinato­r ist der Leitende Polizeidir­ektor im Kreis Borken, Bernd Schünke. Der 60-Jährige berichtete auf Anfrage, dass nach dem Verbrechen in Bergerhof kein Beamter den Dienst des PSU-Teams in Anspruch nehmen musste. Normalerwe­ise wären Kräfte von der Landesleit­stelle in Duisburg nach Radevormwa­ld beordert worden, falls von dort Bedarf gemeldet worden wäre.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Unterbrand­meister Rainer Kaldewey hat die Zusatzausb­ildung zum PSU-Assistente­n als Einziger aus Radevormwa­ld absolviert. Er möchte seinen Kameraden und den Angehörige­n in Belastungs­situatione­n helfen.
FOTO: PRIVAT Unterbrand­meister Rainer Kaldewey hat die Zusatzausb­ildung zum PSU-Assistente­n als Einziger aus Radevormwa­ld absolviert. Er möchte seinen Kameraden und den Angehörige­n in Belastungs­situatione­n helfen.
 ?? FOTO: BECKMANN ?? Andreas Beckmann ist Leiter des PSU-Teams Oberberg.
FOTO: BECKMANN Andreas Beckmann ist Leiter des PSU-Teams Oberberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany