Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Kultur der Reparatur
Eines Tages war die Waschmaschine hinüber. Die Trommel drehte sich nicht mehr, was den Haushalt ins Schleudern brachte. Zugegeben: Die Maschine war 13 Jahre alt, und die meisten davon sind nicht einfach für sie gewesen. Berge von Schmutzwäsche hatte sie klaglos geschluckt. Bis jetzt.
Was war der Grund? Lohnte eine Reparatur? Der Blick ins Internet förderte einen überraschenden Befund zutage: Verschlissene Kohlestifte des Elektromotors seien die wahrscheinlichste Fehlerquelle, hieß es in den einschlägigen Foren. Ein Kleinteil, Kostenpunkt: 8,89 Euro! Inklusive Versand! Das klang überzeugend. Verlockender jedenfalls als 399 Euro für eine Neubeschaffung.
Aber das allein war es nicht. Es ging um mehr als Geld.
Wie gut, dass man als Kind einen Baukasten von „Kosmos“besessen hatte, der einem die Grundzüge der Umwandlung von elektrischer in mechanische Energie nahegebracht hatte. Allerdings: Wo sitzt ein Waschmaschinenmotor und an welcher Stelle dort wiederum das zu ersetzende Teil? Eine erstaunliche Anzahl von Leidensgenossen, denen ebenfalls der Vorrat an frischer Wäsche auszugehen drohte, spürte dieser drängenden Frage im Netz nach. Die Antworten der Profi-Bastler klangen ermutigend: Überhaupt kein Problem, im Grunde ganz einfach, man müsse nur…
Das stimmt. Aber für den Laien erschließt sich das definitiv erst im Nachhinein, das kann dauern. Irgendwann allerdings kommt ein Point of no Return: Wenn die Hände bluten, der Rücken vom Rumwuchten des nicht gerade leichten Geräts schmerzt und eine wichtige Schraube gerade in den Tiefen der Technik verschwunden ist. Dann heißt es: Jetzt oder nie!
Und so brachte man es doch zu Ende. Dann geschah etwas Wunderbares. Wasser wirbelte hinter dem Bullauge. Eine köstliche Dreiviertelstunde dauerte der Aufenthalt in der Hocke davor, voll gebannter Aufmerksamkeit. Wellen der Dankbarkeit begleiteten den berauschend eintönigen Probelauf. Ein Gefühl machte sich breit, das tiefer ging und länger währte als jeder kurze Triumph: Befriedigung. Bis ins Mark.
Reparieren macht glücklich. Natürlich am meisten, wenn alles geklappt hat. Falls nicht, stärkt es zumindest den Willen. Man lernt, den Dingen auf den Grund zu gehen – und sich durchzubeißen. Das bestätigt auch Wolfgang Heckl. Heckl ist Generaldirektor des Deutschen Museum in München, dem größten Wissenschaftsund Technikmuseum der Welt. Schon vor acht Jahren hat er das Buch „Die Kultur der Reparatur“geschrieben. Heckl, 62, besitzt noch Socken aus seiner Bundeswehrzeit. Kleinere Löcher flicke er selbst, um größere kümmere sich seine Frau, verriet er der „Zeit“. Schon im ersten Lockdown will er bemerkt haben, dass viele das Reparieren für sich entdeckten. Dabei gehe es gar nicht in erster Linie um technische Fähigkeiten. Reparatur sei vielmehr eine Haltung zur Welt. Wer repariert, kapituliert nicht, jedenfalls nicht so schnell. Er ist zudem bereit, sich der uralten Frage zu stellen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Antwort ist wichtig für die Entwicklung analytischen Denkens und eine Voraussetzung für Strategie. Sie vermittelt das gute Gefühl, sein Leben im Griff zu haben. Und wenn es nur darum geht, mit einem Streichholz als Dübel einer Schraube wieder festen Halt zu geben. Wer repariert, ist prinzipiell imstande, als Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel zurechtzukommen. Ohne Waschmaschine, versteht sich. Reparieren hat aber auch etwas mit der Achtung vor Dingen zu tun, die ihren Wert nicht automatisch in jenem Moment verlieren, in dem sie vermeintlich ihren Geist aufgeben.
Oder nicht mehr ganz aktuell sind. Vor 100 Jahren nannte die Mehrzahl der Bürger etwa 400 Gegenstände ihr Eigen. Heute sind es 10.000. Früher wurde fast alles repariert, ein aussichtsloser Fall aber noch lange nicht weggeschmissen. Das Wegwerfen musste den Leuten buchstäblich beigebracht werden. Das hat Jahrzehnte gedauert. Inzwischen wünschen sich viele wieder mehr Nachhaltigkeit. Nicht erst seit Corona. „Alle Altersklassen kommen zu uns, um kaputte Sachen richten zu lassen“, freut sich Jürgen Zastrozynski, Zweiter Vorsitzender von „Garagelab“in Düsseldorf, eines von vielen Reparaturcafés im Land, die einen starken Trend belegen.
Nicht immer liegt es am nachlässigen Umgang, wenn Geräte ihren Dienst versagen. Bis zu 3,7 Milliarden Euro könnten die Deutschen jedes Jahr sparen, wenn TV-Apparate, Notebooks, Smartphones und Waschmaschinen so lange hielten, wie die Konsumenten es sich wünschen. Bei einem Notebook wären das zehn Jahre. Tatsächlich werden tragbare Computer im Schnitt aber schon nach fünf Jahren ausgetauscht. Trotz beinharter Dementis der Hersteller hält sich der Verdacht, dass die Lebensdauer ab Werk limitiert ist. Die EU will deshalb ein Recht auf Reparatur einführen. Seit Anfang März gilt: Hersteller dürfen Haushaltsgeräte wie Wasch- und Spülmaschinen, Kühlgeräte und Displays nur noch auf den Markt bringen, wenn sie Ersatzteile und Reparaturanleitungen für sieben bis zehn Jahre zur Verfügung stellen. Außerdem soll die Reparatur mit herkömmlichen Werkzeugen möglich sein.
Wie immer gibt es Zweifel, ob das am Ende sinnvoll ist. Hersteller müssen eine große Menge an Ersatzteilen auf Vorrat produzieren. Das könnte mehr Elektromüll erzeugen, als das Gesetz vermeiden will, und die Kosten in die Höhe treiben. Moderne Geräte sind zudem in den meisten Fällen energiesparender. Andererseits: Für Qualität waren Verbraucher immer schon bereit, etwas mehr auszugeben. Und: Hard- wie Software könnte heutzutage viel leichter als früher auf den neuesten Stand gebracht werden. Langlebige und reparaturfreundliche Produkte sind in einer Kreislaufwirtschaft unverzichtbar. Instandhaltung und Reparaturen tragen – ebenso wie Teilen und Tauschen – erheblich dazu bei, Ressourcen einzusparen.
Drei Wochen nach geglückter Reparatur des Waschmaschinenmotors kündigte sich übrigens ein kapitaler Lagerschaden der Wäschetrommel an. Das war es dann. Es war eindeutig Zeit für einen Wechsel. Alles umsonst? Keineswegs. Ein sehr, sehr gutes Gefühl ist trotzdem geblieben. Bis heute.
Instand zu setzen, was kaputtging, geht weit über Sparsamkeitsdenken hinaus. Dahinter verbirgt sich eine Haltung zur Welt. Wer repariert, kapituliert nicht. Und bekommt das gute Gefühl, sein Leben im Griff zu haben.