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Rechtsextreme kapern Corona-Protest
Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz warnt vor einer Radikalisierung der Kritiker der Pandemiepolitik. Bei Kundgebungen liefen bis zu zehn Prozent „Reichsbürger“oder Hooligans mit.
DÜSSELDORF
Nach Einschätzung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes radikalisiert sich die Bewegung der Corona-Skeptiker weiter. „Einzelne nutzen beispielsweise die Veranstaltungen und Kundgebungen, um aggressiv und gewaltbereit gegen Sicherheitskräfte vorzugehen. Andere verunglimpfen hemmungslos Politiker, Wissenschaftler oder Medienvertreter“, teilte der Verfassungsschutz mit.
Es werde deutlich, dass die ursprüngliche Skepsis gegen staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sich mehr und mehr zu einer grundlegend demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Haltung entwickle, betonte der Inlandsnachrichtendienst. In NRW ist den Sicherheitsbehörden mittlerweile eine einstellige Zahl an Gruppen und Kanälen mit einer Vielzahl an Untergruppen bekannt, die den selbst ernannten „Corona-Rebellen“zugeordnet werden.
Die größte regionale Gruppe besteht nach Angaben des Verfassungsschutzes
in Düsseldorf mit rund 1100 Mitgliedern in einer Gruppe beim Nachrichtendienst Telegram. Nach Angaben der Bewegung „Querdenken“gibt es in NRW 21 Initiativen, die rund 45 Kanäle und Gruppen bei Telegram unterhalten. Zu den Gruppen gehören demnach ungefähr 7000 Profile.
Auch Rechtsextremisten versuchen nach Beobachtungen des Verfassungsschutzes weiter, die Proteste zu instrumentalisieren. Bis zu zehn Prozent der Teilnehmer an den Veranstaltungen seien Angehörige der rechtsextremistischen Szene, etwa „Reichsbürger“oder Hooligans. Einflussreiche Protagonisten der Szene würden sich unter die Protestierenden mischen und Kontakte suchen. Über die gemeinsame Ablehnung der Schutzmaßnahmen werde versucht, verfassungsfeindliche Themen salonfähig zu machen.
Der Nachrichtendienst beschreibt die Szene, die sich ständig verändere, als heterogen. Demnach ist ein Teil der Demonstranten bei „Querdenken“-Versammlungen dem bürgerlichen Spektrum zuzuordnen. An den Veranstaltungen nähmen aber auch regelmäßig Esoteriker, Aussteiger, Impfgegner, Kritiker der Schulmedizin und Verschwörungsideologen teil. „Es besteht die Gefahr, dass die Corona-Proteste weiter durch Rechtsextremisten instrumentalisiert werden“, hieß es.
Eine Überlappung sehen auch Wissenschaftler. Gegner der Corona-Politik unterschieden sich in ihren Sorgen und Bewertungen deutlich von der übrigen Bevölkerung,
sagte Marion Reiser von der Uni Jena am Dienstag bei der Vorstellung einer Untersuchung zur Thüringer Szene. So seien von rechtsextrem eingestellten Menschen in Thüringen zwei Drittel auch Corona-Skeptiker.
„Das öffentliche Interesse schafft für die teilnehmenden Rechtsextremisten die Möglichkeit, durch gezielte und gut wahrnehmbare Provokationen eine breite Öffentlichkeitswirkung zu erreichen“, heißt es beim Verfassungsschutz in NRW. Die Behörden beobachten zudem, dass Einzelpersonen und kleinere Gruppen radikaler werden.
Zuletzt hatte es Debatten um das Verhalten von Kommunen und Polizei gegenüber den Kundgebungen von Corona-Skeptikern gegeben. Am Karsamstag hatten sich etwa in Stuttgart rund 15.000 Menschen größtenteils ohne Masken und Mindestabstand versammelt. Danach hatten Politiker von CDU und Grünen gefordert, die Auflagen für die Proteste zu verschärfen und eher ein Verbot in Erwägung zu ziehen.