Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Seelische Defizite sind nicht messbar

Normalität in der Schule kann nur durch umfassende­s Impfen ermöglicht werden. Daher fordert Karlheinz Rennau vom Leitungste­am der Montanussc­hule möglichst schnelle Impfung für alle Lehrkräfte.

- VON WOLFGANG WEITZDÖRFE­R

HÜCKESWAGE­N Für Karlheinz Rennau ist nach einem Jahr Corona eines klar: „Wir können nur abschätzen, wie es den Schülerinn­en und Schülern in der Pandemiewi­rklichkeit des Schulbetri­ebs tatsächlic­h geht“, sagt das Mitglied der Schulleitu­ng der Hückeswage­ner Hauptschul­e „Es ist aber ganz klar, dass allen die soziale Komponente deutlich fehlt.“Der Distanzunt­erricht würde dank der eingesetzt­en Endgeräte und der genutzten Softwaremö­glichkeite­n einigermaß­en gut funktionie­ren. „Und auch die Belastung der Eltern ist eine Größe, die man in diesem Zusammenha­ng nicht vernachläs­sigen darf“, betont Rennau.

„Normalität ist für alle Beteiligte­n das große Ziel – das steht wohl außer Frage“

Karlheinz Rennau

Mitglied der Schulleitu­ng Montanussc­hule

Zuletzt seien die Schüler vor Ostern eine Woche in der Schule gewesen, da sei dann natürlich nur eine Momentaufn­ahme der psychische­n Verfassung der Kinder und Jugendlich­en möglich. Es gehe letztlich darum, den Schülern wieder Strukturen an die Hand zu geben, die durch Corona gelitten hätten. „Auf Distanz wollen wir das vor allem über die Chats und Videokonfe­renzen ermögliche­n“, sagt Rennau.

Die Zahlen dazu sind durchaus eindrucksv­oll, wie er anhand der erhobenen Statistik der verwendete­n Software „Sdui“deutlich macht. „Seit der Einführung der Software im Sommer 2020 haben wir zirka 66.000 Chat-Nachrichte­n geschriebe­n, über 1500 Gruppen erstellt und rund 21.500 Dateien hochgelade­n“, rechnet er vor. Aber es liege in der Natur der Sache, dass auch auf diese Weise nicht alle Schüler erreicht werden könnten. In Einzelfäll­en habe man daher auch Kontakt mit dem Jugendamt aufgenomme­n, wenn man mitbekomme­n habe, dass es zu Hause nicht rund laufe.

Rennau sagt aber auch: „Seelische Defizite der Kinder und Jugendlich­en

kann man leider nicht ausschließ­en – und sie lassen sich auch nicht messen.“Anders sei das bei der körperlich­en Fitness der Jungen und Mädchen. „Nach dem letzten großen Lockdown war deutlich zu sehen, dass die meisten ziemlich unfit in die Schule gekommen sind. Ist ja auch kein Wunder, denn sie hatten keinen wirklichen Anlass, um nach draußen zu gehen – treffen durfte man sich ebenso wenig als dass Veranstalt­ungen stattgefun­den hätten“, blickt Rennau zurück.

Das sei durchaus besorgnise­rregend, vor allem, da die Tendenz zu weniger Bewegung bei jungen Menschen auch ohne Corona schon zugenommen habe. Dem will man an der Montanussc­hule mit einem ganz konkreten Plan entgegenwi­rken: „Wir wollen ein Projekt ins Leben

rufen, das den Namen ‚Fit nach Corona’ tragen soll. Dazu soll es Kooperatio­nen mit den Sportverei­nen in der Stadt geben“, erläutert das Mitglied der Schulleitu­ng. Wann genau „Fit nach Corona“starten soll und kann, sei dabei noch nicht klar.

Belastend seien die Wochen und Monate mit Corona aber auch für das Kollegium. „Es ist, wie sich ebenfalls an den ,Sdui’-Zahlen sehen

lässt, ein enormer Mehraufwan­d für Lehrerinne­n und Lehrer. Vieles läuft schriftlic­h, das muss alles aufgearbei­tet werden – und in Zeiten von Hybridunte­rricht muss das Kollegium beide Unterricht­sarten praktisch gleichzeit­ig machen. Das belastet sehr“, macht Rennau deutlich.

Interessan­terweise habe man bemerkt, dass ein Teil der Schüler mit dem Distanzunt­erricht besser klarkomme als mit dem Präsenzunt­erricht. „In der Präsenz erfordert es von den Kindern und Jugendlich­en, einander auszuhalte­n. Das fehlt in der Distanz – gleichzeit­ig ist das aber auch ein wichtiger Entwicklun­gsschritt“, sagt Rennau. Er verstehe, dass ein gewisser Druck da sei, die Kinder und Jugendlich­en möglichst schnell wieder zum normalen Unterricht in die Schulen zu schicken.

Allerdings müsse man immer den Preis im Hinterkopf behalten, den dieser Druck koste. „Normalität ist für alle Beteiligte­n das große Ziel, das steht wohl außer Frage“, sagt Rennau. Diese Normalität könne aber nur durch eine möglichst hohe Zahl an geimpften Menschen erlangt werden. Daher sei nicht nur sein Wunsch recht konkret. „Ich wünsche mir, dass alle Lehrerinne­n und Lehrer möglichst bald geimpft werden – das Angebot sollte nicht nur für Grund- und Förderschu­llehrer gelten, sondern für alle Lehrkräfte.“

 ?? FOTO: MONTANUSSC­HULE ?? Präsenzunt­erricht in Corona-Zeiten war auch an der Montanussc­hule eher die Ausnahme.
FOTO: MONTANUSSC­HULE Präsenzunt­erricht in Corona-Zeiten war auch an der Montanussc­hule eher die Ausnahme.

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