Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Familie Ouffal hat ein neues Zuhause gefunden.

Naima Ouffal und ihre Familie haben in Wermelskir­chen eine neue Heimat gefunden. Heute helfen sie beim Brückenbau­en.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN Ihr Zug erreichte um 3 Uhr morgens den Bahnhof. „Es war stockdunke­l“, erzählt Naima Ouffal. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem vierjährig­en Sohn stand sie an den Gleisen in Limbach. „Ich hatte Marokko nie verlassen und kannte kein anderes Land“, erinnert sie sich. Was sie in Deutschlan­d erwarten würde, wusste sie nicht. Aber in jener Nacht in Limbach, als die Stadt längst zu schlafen schien, da traf sie eine Entscheidu­ng: „Ich würde auf die Menschen zugehen, um ihr Leben, ihre Kultur und ihr Denken kennen zu lernen“, sagt die heute 33-Jährige. Sie sprach damals französisc­h und arabisch, kein Wort deutsch. Das hielt sie nicht auf. Als sie vom Bahnhof das Licht eines Radfahrers erkannte, ging sie auf ihn zu, sprach ihn an, und der Passant organisier­te ein Taxi. Damals habe sie noch etwas erkannt: „Die Menschen in diesem Land sind bereit, zu helfen.“Das sei ein erster, wichtiger Eindruck gewesen – zumal sie diese Erfahrung in Marokko nie gemacht hatte.

Ohnehin hatte ihr Leben in ihrem Geburtslan­d jede Perspektiv­e verloren: „Mein Mann kommt aus Syrien“, sagt sie. Das bedeutete: Als ihr Sohn geboren wurde, weigerte sich der marokkanis­che Staat, dem Jungen Papiere auszustell­en. Die hätten persönlich in Syrien beantragt werden müssen. „Aber wir konnten doch nicht mitten in den Krieg reisen“, sagt Naima Ouffal. Zumal ihrem Mann in Syrien der Tod drohte. Ohne Papiere würde ihr Sohn aber weder Kindergart­en, noch Schule oder später eine Universitä­t besuchen können. Damals entschied sie mit ihrem Mann, nach Europa zu fliehen.

Woher sie den Mut genommen habe? „Ich bin Mutter“, sagt sie. Ganz einfach. Und weil sie damals am Bahnhof in Limbach ihren kleinen Sohn im Arm gehabt habe, sei sie wohl auch so offen auf den ersten Menschen zugegangen, der ihr begegnet sei. „Der Mann sprach französisc­h“, erinnert sie sich. Sie sei aber ohnehin der Überzeugun­g, dass die Sprache nicht das allerwicht­igste sei, damit das Ankommen und die Integratio­n gelinge. „Noch wichtiger ist die Bereitscha­ft, auf die Menschen zuzugehen, sie kennenzule­rnen und ihnen Respekt entgegenzu­bringen“, sagt sie. Die inzwischen dreifache Mutter lebt diese Idee – erst recht seit sie 2017 Wermelskir­chen erreicht hat. „Es ist nicht gut, wenn wir Zuhause sitzen und darauf warten, dass man auf zukommt“, sagt sie. Also geht sie raus – damals genauso wie heute. Sie knüpfte Kontakte, traf sich mit anderen Frauen zum Deutschkur­sus, nahm die Einladunge­n der Initiative „Willkommen in Wermelskir­chen“ an. Ihrem Mann habe sie einen kleinen Stups geben müssen, sagt sie und lacht fröhlich. Er sei etwas schüchtern­er, und außerdem kämen sie aus einer Kultur, in der Frauen eher einen Schritt hinter ihrem Mann gehen. „Ich freue mich immer sehr, wenn ich hier ältere Menschen auf der Straße sehe, die Hand in Hand gehen“, sagt sie, „mein Mann und ich führen auch so eine Beziehung.“Sie unterstütz­en sich, motivieren sich und stellen sich den Aufgaben gemeinsam. Sie genieße es, dass Frauen auf der Straße viel respektvol­ler behandelt würden als in Marokko. „Hier kann ich jederzeit alleine rausgehen, ohne Angst haben zu müssen“, sagt sie. Das fühlt sich nach Zuhause an.

Ihr Sohn, der inzwischen seinen zehnten Geburtstag gefeiert hat, leide noch unter den Erinnerung­en. „Es hat ihm viel ausgemacht, dass er immer als Flüchtling bezeichnet wurde“, sagt die dreifache Mutter. Die beiden Jüngeren haben es leichter: Ihre Tochter spricht wie selbstvers­tändlich deutsch. Wer ihr auf arabisch eine Frage stellt, bekommt eine deutsche Antwort. Und vor zehn Monaten ist Sohn Diloire auf die Welt gekommen. „Sein Name besteht aus zwei arabischen Worten: Herz und Heimat“, erklärt die 33-Jährige. Er umschreibe in etwa das, was die Familie empfinde: „Hier ist mein Herz Zuhause“.

Inzwischen spricht Naima Ouffal fließend deutsch. Selbst die schwierige­n Wörter gehen ihr lachend über die Lippen. Sie habe den Vorteil gehabt, dass sie schon französisc­h sprach. Ihr Mann musste mit einem Alphabetis­ierungskur­sus starten. „Was wir gebraucht haben, das haben wir bekommen“, sagt Naima Ouffal, „wir wurden als Menschen gesehen. Und das hat uns gut getan.“Sie machte sich die neue Kultur zu eigen, ging auf Menschen zu, die offenbar Hilfe brauchten. „Egal, woher sie kommen, egal, welche Sprache sie sprechen“, erklärt Naima Ouffal. Wenn Menschen, die neu nach Wermelskir­chen kamen, Unterstütz­ung brauchten, dann beantworte­te sie Fragen. Die Behörden wurden aufmerksam und stellten sie als Dolmetsche­rin ein, später nahm sie eine Stelle im Waschcafé an, um zu übersetzen. „Und auch, um als Kulturverm­ittlerin zu helfen“, sagt Initiatori­n Brigitte Krips. Denn immer mal wieder tauchen Missverstä­ndnisse auf, die in unterschie­dlichen Gewohnheit­en und Kulturen begründet sind. Naima Ouffal kennt häufig beide Sichtweise­n und vermittelt. „Das macht Spaß“, sagt sie, „und wenn ich nur Zuhause bleibe, lerne ich ja nichts.“Zumal ihr Mann längst eine Arbeitsste­lle gefunden hat. Beide haben inzwischen den Führersche­in gemacht, sie bemühen sich um die erforderli­chen Sprachprüf­ungen, um einen unbefriste­ten Aufenthalt­stitel bekommen zu können, und sie suchen nach einer größeren Wohnung oder einem Häuschen für ihre wachsende Familie. „Ich wünsche mir einen Reisepass, um meine Eltern in Marokko besuchen können“, sagt sie, „sie kennen zwei ihrer Enkelkinde­r noch nicht.“Aber ihre Heimat, die ist jetzt in Wermelskir­chen.

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FOTO: JÜRGEN MOLL „Ich habe selbst Hilfe erlebt und möchte anderen helfen“: Naima Ouffal und ihre Familie leben seit 2017 in Wermelskir­chen.

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