Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Theater streamen weiter
Solange Corona die Kultur lahmlegt, senden die Häuser ihre Inszenierungen in tollen Produktionen online. Ein Überblick über Angebote auch in etwas größerer Entfernung.
Die nächsten Premieren finden statt, wirbt das Theater Oberhausen (theateroberhausen.de). Das Haus zeigt seine Neuproduktionen als Livestreams im Netz. Ebenso verfährt das Schauspielhaus Bochum, wo am 24. April die mit Spannung erwartete Premiere von Dusan David Parizeks „Peer Gynt“ist (schauspielhausbochum.de). Die Bundes-Notbremse droht, aber die Theater streamen wie nie zuvor. Die Angebote sind variabler als im ersten Lockdown: Neben Livestreams und abgefilmten historischen Aufführungen gibt es eigens fürs Internet produzierte oder angepasste Arbeiten, interaktive Formate und solche für VR-Brillen, und es gibt Produktionen, die wirken wie Experimentalfilme. Nachfolgend ein paar gelungene Beispiele.
Schauspiel Köln – „Edward II. Die Liebe bin ich“(bis 31. Mai 2021) „Gefährlich ist’s, wenn man sich gegen König Edward stellt. Wer’s wagt, lebt kurz.“Was nach einer ultramaskulinen Macho-Welt klingt, wird ausgesprochen von einem feingliedrigen, allen sexuellen Orientierungen gegenüber aufgeschlossenen jungen Herrscher, den Sex und Liebe viel mehr interessieren als die Macht. Pinar Karabulut bringt Ewald Palmetshofers Marlowe-Überschreibung mit zahlreichen Filmzitaten als elegische, manchmal auch brutale Feier der LGBTQ-Kultur auf den Bildschirm. Das Ergebnis ist keine platte ideologische Agitprop, sondern erlesenes, sensibles, künstlerisch hochkarätiges (Film-)Theater, das mit einem immer wieder überraschenden Stilmix die Dekadenz und die Intrigen der Bohème und die unerfüllten Sehnsüchte der Liebenden einfängt. Sex- und Splatterszenen sowie Fernsehkrimi-Bilder lockern die morbide Atmosphäre auf. Die sechs Folgen à 20 bis 30 Minuten werden zu einem der überzeugendsten Formate seit Beginn der Covid-Krise.
www.schauspiel.koeln
Schauspiel Frankfurt – „Eine posthumane Geschichte“(bis 31. Mai 2021) Frank hat versehentlich ein Umerziehungslager bombardiert, das er befreien wollte. Gemäß kantonesischem Glauben ist die Konsequenz klar: Vater hat Böses getan, also wird sein Sohn ohne Po geboren. In der von Künstlicher Intelligenz regierten Welt der Zukunft ist das kein Problem. Der kleine Anders bekommt kurzerhand einen Cyber-Po. Der kann sogar Daten verarbeiten, und das Hirn schaut dabei zu. Was lustig klingt, ist eine düstere Dystopie des Hongkong-Chinesen Pat To Yan. Gentechnisch manipulierte, digital gesteuerte Wesen führen Kriege um die Macht. Yan geht es um die Ethik und Moral der Künstlichen Intelligenz, aber er übt auch aktuelle Gesellschaftskritik am tatsächlich existierenden chinesischen System: Frank kämpft für die Befreiung von Umerziehungslagern in einem feindlichen Reich, das „Eine Mitte ohne Ende“heißt und dessen Vorsitzender glaubt, dass die Partei ewig am Ruder bleiben wird. Jessica Glause hat am Schauspiel Frankfurt einen großartigen Experimentalfilm inszeniert, der auch dank der nur scheinbar harmonischen Musik von Joe Masi auf eine merkwürdige Art gefangen nimmt.
www.schauspielfrankfurt.de
Schauspiel Köln – „Vögel“(wieder am 28. April 2021)
Es ist die Geschichte der Liebe zwischen der muslimischen Doktorandin Wahida aus New York und dem jüdischen Biogenetiker Eitan aus Berlin. Es ist die Geschichte zweier archaischer Religionen, die als miteinander verfeindet gelten. Es ist die Geschichte einer Familie, in der es wenig Liebe, dafür aber viele traumatische Erfahrungen gibt. Es sei eine moderne Romeo-und-Julia-Version, heißt es oft über Wajdi
Mouawads Stück. Doch diese Definition greift zu kurz. Mouawad untersucht die komplizierten Zusammenhänge von Herkunft, Identität, Religion: Eitans Mutter, unglücklich verheiratet mit dem religiös fanatischen David, bemerkt: „Die Gruppenidentität ist das Übel.“Mouawad wirft einen differenzierten Blick auf die zerstörerischen Kräfte der Identitätspolitik und ruft eindrucksvoll zur Versöhnung auf: „Die Wahrheit findet man nicht beim Zählen von Zellen und Chromosomen.“Versöhnung aber fordert die Aufgabe festgefahrener Denkmuster. In Stefan Bachmanns in eine filmische Form gegossener und mit SplitscreenTechnik erfolgreich zugespitzter Erfolgs-Inszenierung aus der vergangenen Spielzeit 2019/20 gelingt das in einem poetischen postmortalen Traum.
www.schauspiel.koeln
Gorki-Theater Berlin – „Hamlet“(wieder am 23. April und 28. Mai) Trash und Traurigkeit, Spuk und Schabernack, Postdramatik und Shakespeare – Christian Weise hat einen großartigen, bildgewaltigen, unterhaltsamen und ironischen Film- und Theaterabend angerichtet. Dass seine Absicht, eine Analyse der deutschen Gesellschaft und eine Trauerfeier für den untergegangenen Sozialismus zu inszenieren, in der Fülle von Ideen untergegangen ist, thematisiert die Aufführung selbst. Aber was gewonnen wurde, ist ein köstlicher Multimedia-Abend voller künstlerischer Kreativität, voller intelligenter Assoziationen und witziger Albernheiten. Svenja Liesau als Hamlet ist umwerfend.
www.gorki.de
ITA Amsterdam – „Die Dinge, die vorübergehen“(nur am 25. April um 20 Uhr)
Der mittlere Teil von Ivo van Hoves Trilogie aus drei Romanen von Louis Couperus ist makelloses Schauspieler-Theater. Der „niederländische Thomas Mann“hat grandiose, vielschichtige Geschichten erzählt. Spielen sie in den niederländischen Kolonien auf Java, brodeln sie von unterdrückten Trieben. Flirrende Hitze und Erotik sind in van Hoves Inszenierung noch in der Rückschau zu spüren. Doch „Die Dinge, die vorübergehen“spielt 1906 in Den Haag. Und „dem Norden fehlt die Sinnlichkeit“, wie Lot beklagt. Dessen Ehe mit Elly geht ebenfalls schnell vorüber. Anders ist es mit den psychologischen Auswirkungen eines Mordes, der in den Kolonien geschah und die Familie wie in einer griechischen Tragödie mit einem Fluch belegt hat. Der morbiden Wehmut des Nordens spürt man in niederländischer Sprache wahlweise mit englischen oder französischen Untertiteln nach.
www.ita.nl