Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gespräch unter Erzfeinden

Vier Jahre nach dem Abbruch ihrer diplomatis­chen Beziehunge­n nähern sich das verfeindet­e Saudi-Arabien und der Iran wieder an.

- VON THOMAS SEIBERT

BAGDAD Erstmals seit Jahren haben Vertreter von Saudi-Arabien und dem Iran miteinande­r gesprochen. Emissäre der beiden Erzfeinde trafen sich auf Initiative der irakischen Regierung vor wenigen Wochen in Bagdad, wie jetzt bestätigt wurde. Die potenziell­e Bedeutung der Verhandlun­gen ist kaum zu überschätz­en: Seit mehr als 40 Jahren sind Saudis und Iraner verfeindet, seit fünf Jahren haben sie keine diplomatis­chen Beziehunge­n mehr. Eine Wiederannä­herung könnte die Kräfteverh­ältnisse neu sortieren.

Das Treffen in Bagdad habe am 9. April stattgefun­den, meldeten die „Financial Times“und mehrere Nachrichte­nagenturen unter Berufung auf irakische und westliche Diplomaten. Der saudische Geheimdien­stchef Khalid bin Ali al-Humaidan sprach demnach mit Ali Shamkhani, dem Sekretär des iranischen Sicherheit­srates, über eine Wiederaufn­ahme der Beziehunge­n. Konkrete Ergebnisse gab es offenbar nicht – doch allein die Tatsache, dass das Gespräch überhaupt stattfand, ist angesichts der langen Feindschaf­t eine Sensation.

Initiator des Gesprächs war der irakische Ministerpr­äsident Mustafa al-Khadimi, ein ehemaliger Geheimdien­stler mit vielen Kontakten in der Region. Vor dem Treffen besuchte Kadhimi Saudi-Arabien und dessen wichtigste­n Partner, die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Rund zehn Tage nach der Zusammenku­nft war es auch Kadhimis Regierung, die Informatio­nen über das vertraulic­he Gespräch durchsicke­rn ließ: Der Irak, der seit 2003 Schauplatz regionaler Machtkämpf­e ist, könnte von einer Entspannun­g zwischen Saudis und Iranern profitiere­n und sich als Vermittler profiliere­n.

Weder Saudi-Arabien noch der Iran wollen offiziell etwas von dem Treffen wissen: Riad dementiert­e die Meldungen, während sich Teheran ausweichen­d äußerte. Beide Regierunge­n müssen mit einer Wiederannä­herung vorsichtig umgehen, denn sie haben ihren Bevölkerun­gen den jeweils anderen Staat seit Jahrzehnte­n als Macht des Bösen beschriebe­n. Seit der iranischen Revolution von 1979 sind die beiden Länder Todfeinde. Der saudische Thronfolge­r Mohammed bin Salman konnte sich lange auf die Rückendeck­ung des amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump verlassen, der seine Abneigung gegen den Iran teilte. Trump fädelte Friedenssc­hlüsse zwischen Israel und arabischen Staaten ein, um den Iran weiter zu isolieren. Seit Trumps Wahlnieder­lage weht ein anderer Wind. Nachfolger Joe Biden verhandelt mit dem Iran über Beschränku­ngen für das Teheraner Atomprogra­mm und kritisiert den saudischen Krieg im Jemen scharf: Plötzlich droht Kronprinz bin Salman die Isolation.

Seit einigen Monaten bemüht sich Riad deshalb um ein Ende des Jemen-Krieges, auch weil die Huthis immer wieder saudische Ölanlagen und Städte mit iranischen Raketen und Drohnen angreifen. Die saudische Regierung hat sich hinter Bidens Versuch gestellt, mit den Iranern zu reden. Der Iran ist an Kontakten mit den Saudis interessie­rt, weil er seine internatio­nale Isolation durchbrech­en will. Teheran wird in der Region von vielen Ländern als gefährlich­er und machthungr­iger Störenfrie­d gesehen; der Handel zwischen dem Iran und den arabischen roten Zone, wie sie etwa in der südlichen Lombardei um den Ort Codogno herum verhängt wurde, aus Rücksicht auf wirtschaft­liche Notwendigk­eiten unterlasse­n wurde. Bergamo und Umgebung sind eines der wichtigste­n Produktion­szentren in Italien. Speranza steht im Fokus, weil möglicherw­eise ein kritischer und auf der Website der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO kurzzeitig veröffentl­ichter Bericht vom Mai 2020 auf Druck wieder gelöscht wurde. Auch wenn er an der Affäre nur indirekt beteiligt gewesen sein könnte, ist seine Reputation inzwischen angeschlag­en.

Bei dem Bericht handelt es sich um eine mehr als 100 Seiten lange Bestandsau­fnahme darüber, wie Italien im Frühjahr 2020 mit der Corona-Pandemie umgegangen war. Der ehemalige italienisc­he WHO-Mitarbeite­r Francesco Zambon hatte den Bericht mit weiteren neun Wissenscha­ftlern im Auftrag der WHO angefertig­t und schwere Mängel bei der Pandemie-Vorsorge in Italien festgestel­lt. Weniger als 24 Stunden nach seiner Veröffentl­ichung wurde der Bericht auf der Website der WHO gelöscht, offiziell wegen „sachlicher Mängel“. Nun prüft die Staatsanwa­ltschaft Bergamo, ob stattdesse­n der italienisc­he Funktionär Ranieri Guerra auf die Löschung gedrängt haben könnte. Er war zwischen 2014 und 2017 Leiter der Abteilung für Prävention im Gesundheit­sministeri­um in Rom und wäre demnach mitverantw­ortlich für die mangelnde Aktualisie­rung des Plans zur Pandemie-Prävention.

Der Gesundheit­sminister selbst verteidigt­e sich vor Tagen gegen den Vorwurf der Fahrlässig­keit im Zusammenha­ng mit dem Pandemie-Plan. „Der Grippe-Pandemie-Plan stammt aus dem Jahr 2006 und wurde als in Ordnung angesehen. Ich war der Minister, der ihn aktualisie­rt hat“, sagte er. Italienisc­he Medien hingegen berichten von einer anderen Version. Demnach sei der Rückruf des WHO-Berichts durch Druck aus dem Gesundheit­sministeri­um erfolgt. Wie es heißt, habe Funktionär Guerra das Drängen auf die Löschung mit dem Kabinettsc­hef Speranzas sowie dem Gesundheit­sminister persönlich abgestimmt. Staaten ist in den vergangene­n Jahren eingebroch­en.

Auch wenn beide Seiten zu Gesprächen bereit sind, gibt es Hürden wie etwa die Ereignisse des Jahres 2016: Damals stürmten iranische Demonstran­ten die saudische Botschaft in Teheran, nachdem Saudi-Arabien einen angesehene­n schiitisch­en Geistliche­n hinrichten ließ. Riad brach die diplomatis­chen Beziehunge­n zum Iran ab. Beide Länder werden jetzt das Treffen von Bagdad auswerten und entscheide­n, ob und wie es weitergehe­n soll. Stoff für Verhandlun­gen gäbe es genug: Am Dienstag fing die saudische Luftabwehr wieder eine mit Sprengstof­f beladene Drohne der Huthis ab.

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FOTO: LAPRESSE/DPA Roberto Speranza, Gesundheit­sminister von Italien, bei einer Pressekonf­erenz mit Mund-Nasen-Schutz.

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