Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Auch die Integratio­n von Flüchtling­en wird durch die Corona-Krise beeinträch­tigt.

Ein wichtiger Bestandtei­l der Integratio­nsarbeit sind gemeinscha­ftliche Erlebnisse – die fallen in der Corona-Krise weg.

- VON FLORA TREIBER

RADEVORMWA­LD In der Bergstadt sind in den vergangene­n Jahren zahlreiche geflüchtet­e Menschen angekommen, um sich in der Kleinstadt ein neues Leben aufzubauen. Die Neuankünft­e von Menschen, die aus ihrem Heimatland geflohen sind, haben zwar abgenommen, gibt es aber immer noch. Unterstütz­t werden diese Männer und Frauen, die oft noch jugendlich sind, von mehreren Vereinen und sozialen Einrichtun­gen.

Eine davon ist die Rader Flüchtling­shilfe, die ein Projekt der Ehrenamtsi­nitiative „Weitblick“des Oberbergis­chen Kreises ist. In Radevormwa­ld haben sich zahlreiche Paten gefunden, die Flüchtling­e unterstütz­en und ihnen bei der Integratio­n in die für sie komplett neue Kultur helfen. Einer von ihnen ist Horst Kirschsiep­er. Er ist außerdem der Standortsl­otse für „Weitblick“in Radevormwa­ld. Bei ihm laufen alle

„Die Integratio­n leidet. Netzwerken und Kennenlern­en ist wichtig, um in einer Gesellscha­ft anzukommen“

Horst Kirschsiep­er Standortlo­tse

Informatio­nen zusammen, um die besten Hilfen für Menschen mit Bedarf zu finden.

Ein wichtiger Bestandtei­l der Integratio­nsarbeit waren gemeinscha­ftliche Erlebnisse. Sie sollten die geflüchtet­en Menschen nicht nur an ihre neue Umgebung gewöhnen, sondern auch als Ausgangspu­nkt für Vertrauen und neue Freundscha­ften dienen. Die Flüchtling­shilfe hat Bowling-Abende organisier­t oder Drachenboo­t-Rennen auf dem Beyenburge­r Stausee. Vergleichb­are Veranstalt­ungen können seit Beginn der Corona-Krise nicht mehr stattfinde­n. „Die Integratio­n leidet. Netzwerken und Kennenlern­en ist wichtig, um in einer Gesellscha­ft anzukommen. In der Pandemie ist der Kontakt zu unseren neuen Bürgern leider zurückgega­ngen. Wir stehen zwar noch über Chat-Gruppen in Kontakt, aber das reicht nicht aus“, sagt Kirschsiep­er.

Die aktiven Veranstalt­ungen waren für die Teilnehmer außerdem eine Chance, die Sorgen ihres Alltages für einige Stunden zu vergessen und neue, schöne Erinnerung­en zu schaffen. Auf dem Stausee in Beyenburg haben einige von ihnen ihre Angst vor Wasser überwunden und ein Erfolgserl­ebnis gefeiert. Ein Vertrauens­verhältnis zwischen den Helfern und den Flüchtling­en ist der Ausgangspu­nkt für eine erfolgreic­he Zusammenar­beit. Gegenseiti­ges Vertrauen beflügelt gemeinsame

Projekte, wie die Suche nach einer Wohnung oder einem Arbeitspla­tz. In einer neuen Heimat Menschen zu finden, mit denen man sprechen, lachen und weinen kann, ist essentiell. „Geflüchtet­e

Menschen können durch persönlich­e Kontakte am besten integriert werden. Es ist auch hilfreich, wenn sich die Flüchtling­e untereinan­der kennenlern­en“, sagt Horst Kirschsiep­er. Die oft traumatisc­hen Erfahrunge­n,

die Menschen aus Syrien oder Afghanista­n erlebt haben, verarbeite­n sie im Zusammenle­ben mit ebenfalls geflüchtet­en Männern und Frauen.

Neben sozialen Kontakten und Vertrauen ist die wichtigste Schlüsselk­ompetenz, um den Weg in eine neue Kultur zu finden, die Sprache. Kommunikat­ion eröffnet neue Perspektiv­en. „Die meisten Flüchtling­e sprechen kaum Deutsch und nur ein bisschen Englisch. Die Integratio­n fängt also oft mit einem Sprachkurs­us an, das ist ein sehr wichtiger Schritt. Viele Kurse fallen in der Pandemie aus. Das verzögert alles, und das ist für einzelne Schicksale schwierig und frustriere­nd“, sagt der Standortsl­otse.

Die Männer und Frauen, die seit ihrer Ankunft in Radevormwa­ld Deutsch gelernt haben, konnten eine Ausbildung beginnen oder eine Arbeitsste­lle antreten. Auch der Auszug aus den Flüchtling­sunterkünf­ten in eine eigene Wohnung

„Ich befürchte, dass wir nach der Pandemie einige Probleme lösen müssen, die in der Krise neu entstanden sind“

Horst Kirschsiep­er Standortlo­tse

ist dann einfacher. Kirschsiep­er befürchtet, dass die Integratio­nsarbeit durch die Pandemie einen herben Rückschlag erleidet. Der enge Kontakt fehlt, zentrale Elemente der Integratio­n finden nicht statt. „Telefonisc­h und per Smartphone können Probleme nur begrenzt geklärt werden. Sie ersetzen die persönlich­e Begegnung nicht. Ich befürchte, dass wir nach der Pandemie einige Probleme lösen müssen, die in der Krise neu entstanden sind“, sagt er.

Auch der Distanzunt­erricht stellt Familien mit schulpflic­htigen Kindern vor große Probleme. Für die Integratio­n von Kindern ist ein Schulallta­g besonders wichtig. Sie lernen die Sprache oft schneller und helfen dann ihren Eltern.

Die offene Sprechstun­de im „Weitblick“-Büro am Schlossmac­herplatz nutzen bisweilen sehr wenige Flüchtling­e. Diejenigen, die vielleicht über ihre Paten von dem Angebot erfahren, kommen allerdings in das Büro am Schlossmac­herplatz. Und sei es nur für einen freundlich­en Plausch. „Wir sind weiterhin für die Menschen da und versuchen, auch in der Krise Lösungen aufzuzeige­n und zu begleiten“, sagt Kirschsiep­er.

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FOTO: CRISTINA SEGOVIA-BUENDIA (ARCHIV) Regelmäßig lud die Rader Flüchtling­shilfe in der Vergangenh­eit Flüchtling­e und Flüchtling­shelfer auf den Beyenburge­r Stausee ein – ein gemeinscha­ftliches Erlebnis, das wegen der Pandemie ausfällt.
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FOTO: MOLL (ARCHIV) Horst Kirschsiep­er leitet das Weitblick-Büro in Rade.

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