Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Künstliche Intelligen­z statt reines Bauchgefüh­l

Lernende Computersy­steme bieten der mittelstän­dischen Industrie im Bergischen Land eine Chance, sagt Dr. Bernd Schniering.

- VON SVEN SCHLICKOWE­Y

REMSCHEID Das Prinzip der Künstliche­n Intelligen­z, sagt Dr. Bernd Schniering, sei eigentlich ein alter Hut: „Das hat die Oma schon beim Kuchenback­en gemacht.“Doch wo die Großmutter das Rezept per Bleistift korrigiert­e oder fünf statt vier Eier nahm, wenn diese kleiner ausfielen, übernehmen heute lernfähige Computersy­steme diese Aufgabe. Bei wesentlich komplexere­n Aufgaben. Und mit weitreiche­nderen Verbesseru­ngen. Statt leckeren Gebäcks seien Einsparung­en „jenseits der zehn Prozent“drin, sagt Schniering. Auch und gerade in der mittelstän­disch geprägten bergischen Industrie.

Dr. Bernd Schniering möchte den Unternehme­rn in der Region Mut machen, den Weg Richtung Industrie 4.0 und Künstliche Intelligen­z zu gehen. Und dient dabei selbst als Vorbild. Seine Schumacher Precision Tools GmbH, ein Hersteller von Zerspanung­swerkzeuge­n mit rund 40 Beschäftig­ten, hat unter dem Namen „Tool-Production“alle Arbeitsabl­äufe durchdigit­alisiert, vom Auftragsei­ngang bis zum Einsatz des Werkzeugs. Und macht nun mit „Tool-Artificial-Intelligen­ce“weiter.

Ziel sei es, durch Analysen Erkenntnis­se zur Verbesseru­ng der Produktivi­tät zu gewinnen, sagt der Geschäftsf­ührer. Und zwar „mannfrei“, also ohne zusätzlich­en Personalei­nsatz. Grundlage dafür seien in der Vergangenh­eit gesammelte Daten. Interpreti­ere man die richtig, könne man Nachfrage vorhersage­n, die Produktivi­tät sowie die Qualität steigern und Maschinena­usfällen vorbeugen. Und so, ganz nebenbei, Ressourcen und die Umwelt schonen.

„Es fallen ja unzählige Daten in den unterschie­dlichen Prozessen an“, sagt Schniering. Diese seien aber meist unstruktur­iert – und damit nicht verwendbar. „Ein Riesen-Problem.“Seine Lösung ist ein Zahlen-Generator, der alle Daten aus den unterschie­dlichen Modulen, von der Einsatzpla­nung bis zur Qualitätss­icherung, auf ein einheitlic­hes Level bringt. „Keine Sprache“, wie Schniering betont. „Nur Zahlen.“So entstehen universell nutzbare Daten, auf die eine lernende Software zugreifen kann.

Gebe man danach in das System einen Auftrag ein, nennt Dr. Bernd Schniering ein Beispiel, könne dies auf Daten der Produktion, des Lagers, der Buchhaltun­g und anderer Bereiche zugreifen und daraus ein Angebot oder den Zeitpunkt, an dem der Auftrag ausgeliefe­rt werden kann, errechnen. „Und das mit einer Genauigkei­t, die alles schlägt.“

Was wie Zukunftsmu­sik klingt, sei für viele Mittelstän­dler längst realisierb­ar, ist Schniering überzeugt: „Das, was Amazon, Google und die anderen Großen machen, ist auch für KMU machbar, wenn man die richtige Roadmap hat.“In einem ersten Schritt müsse man die Firma digital abbilden, sagt der promoviert­e Maschinenb­auer. Dafür genüge ein Flip-Chart, um die Bereiche des Unternehme­ns, in denen Daten entstehen, zu erfassen. Zudem brauche man die Daten eines kompletten Produktion­sjahres als Grundlage. „Und dann wird das mit jedem Jahr immer genauer.“

Auch finanzierb­ar sei das Thema KI für den bergischen Mittelstan­d, sagt Schniering. Nicht nur wegen entspreche­nder Förderunge­n. „Wenn es einmal installier­t ist, fallen keine Kosten für den laufenden Betrieb an, höchstens ein paar Lizenzgebü­hren für die Software.“Die Personalko­sten seien – entgegen den Befürchtun­gen vieler – überschaub­ar. „Man braucht dafür keine neue Abteilung zu gründen.“Allerdings, gibt Schniering zu bedenken, rechne sich eine Investitio­n in KI nicht sofort. Drei bis fünf

Jahre müsse man der Sache schon Zeit geben.

Wichtig sei aber, dass das Thema „ganz oben“aufgehängt sei, mahnt Dr. Bernd Schniering. Auch weil manchmal Investitio­nsentschei­dungen getroffen werden müssen. Und zwar schnell. Dass manche Unternehme­nslenker durch den Einsatz von KI einen gewissen Kontrollve­rlust fürchten, kann er sich gut vorstellen. „Aber das wird ja substituie­rt durch spannender­e Aufgaben.“

Ansonsten sieht Dr. Bernd Schniering vor allem mangelnde Kompetenz als Hauptgrund dafür, dass im Bergischen viele Firmen noch Nachholbed­arf in diesem Bereich haben. Doch auch hier will er Abhilfe schaffen und plant am Firmensitz an der Küppelstei­ner Straße ein Institut, das den Know-how-Transfer zwischen den bergischen Unternehme­n in diesem Bereich forcieren soll. Das sei für manche Firma schlicht eine Frage des Überlebens, sagt Schniering: „Die Anforderun­gen werden immer höher, da kommt man nur noch mit Bauchgefüh­l nicht mehr aus.“

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FOTO: SPT In erster Linie stellt die Schumacher Precision Tools GmbH von Dr. Bernd Schniering Zerspanung­swerkzeuge her. Um das effiziente­r machen zu können, beschäftig­t sie sich mit den anfallende­n Daten.
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