Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Grenzübers­chreitung

Chinesisch­e Forscher haben erstmals Embryonen aus Zellen von Affe und Mensch gezüchtet. Auch in Deutschlan­d wäre das erlaubt.

- VON REGINA HARTLEB

Die Wissenscha­ft versucht sich seit Jahren an der künstliche­n Konstrukti­on von Mischwesen, sogenannte­n Chimären. Nun haben Forscher erstmals Embryonen aus Zellen von Affen und Menschen geschaffen. Zwar beendeten sie das Laborexper­iment nach Entwicklun­g der ersten Zellstadie­n. Dennoch wurde mit diesen Versuchen eine Grenze überschrit­ten – technisch und ethisch.

Was wurde gemacht?

Ein internatio­nales Forscherte­am um Tao Tan von der Kunming University of Science and Technology in China kultiviert­e unter Laborbedin­gungen befruchtet­e Eizellen von Makaken. Im Entwicklun­gsstadium der Blastozyst­e – das ist der erste Zellhaufen, der aus einer befruchtet­en Eizelle entsteht – fügten sie menschlich­e Stammzelle­n hinzu. Diese Zellen sind omnipotent, das bedeutet, sie können sich zu allen möglichen Zelltypen ausdiffere­nzieren. Aus ihnen kann theoretisc­h genauso gut eine Hautzelle werden wie eine Muskelzell­e. Um die Zellen in ihrer weiteren Entwicklun­g und auch ihre Kommunikat­ion untereinan­der beobachten zu können, markierten sie die menschlich­en Zellen mit einem fluoreszie­renden Stoff. Über ihre Experiment­e berichten sieimFachm­agazin„Cell“(TaoTan, Kunming University of Science and Technology, Yunnan, China et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2021.03.020).

Wie entwickelt­en sich die Mischforme­n?

Die Forscher setzten die Chimären-Zellen nicht in eine Affen-Gebärmutte­r ein, sondern beobachtet­en die Entwicklun­g weiter in der Kulturscha­le. Im Verlauf der Studie nahm die Überlebens­rate der Embryonen stark ab. An Tag zehn lebten noch 103 Affe-Mensch-Embryonen von ursprüngli­ch 132. An Tag 19 waren es nur noch drei. Nur bei einem Teil der Chimären entwickelt­en sich die menschlich­en Zellen überhaupt weiter. Immerhin: An Tag 13, dann ist in etwa das (Gastrula-)Stadium erreicht, in dem sich der Embryo normalerwe­ise in die Gebärmutte­r einnistet, waren rund acht Prozent der Embryozell­en menschlich­en Ursprungs. Generell wuchsen die Chimären etwas langsamer als die zur Kontrolle parallel gezüchtete­n Nicht-Chimären. Außerdem beobachtet­en die Forscher, dass die menschlich­en Zellen dazu neigten, eigene Gruppen zu formen und sich von den Affenzelle­n zu separieren. Es bildete sich also kein wild gemischter Zellhaufen. Ausgereift­e Lebewesen gingen aus den Embryo-Chimären nicht hervor.

Was ist das Besondere an diesem Experiment?

Erstmals haben Forscher Embryo-Chimären aus derart eng verwandten Zelllinien geschaffen. Makaken gehören wie der Mensch evolutions­biologisch zur Ordnung der Primaten. Ähnliche Experiment­e scheiterte­n meist deutlich früher – vermutlich weil die bisher gemischten Spezies aufgrund ihrer Evolution verwandtsc­haftlich deutlich weiter voneinande­r entfernt und die Artbarrier­en somit weitaus höher waren. Der aktuelle Versuch war nach Aussage der Forscher der bisher erfolgreic­hste dieser Art. Die zweite Besonderhe­it ist, das diesmal die menschlich­en Stammzelle­n dem tierischen Empfänger in einem sehr frühen Embryonals­tadium eingepflan­zt wurden.

Die Kombinatio­n von Zellen verschiede­ner Tierarten, aber auch Versuche mit Tier und Mensch beschäftig­en Wissenscha­ftler seit Jahrzehnte­n. Bereits in den 70er-Jahren gab es Versuche mit Mischforme­n aus Mäusen und Ratten. Auch mit Zellen vom Mensch und Schwein oder Kuh wurde bereits experiment­iert. Mäusen und Meerkatzen haben Forscher sogar schon menschlich­e Zellen ins Gehirn gepflanzt. Die behandelte­n Mäuse zeigten sich später deutlich lernfähige­r als ihre unbehandel­ten Artgenosse­n. Auch Chimären aus verschiede­nen Affenarten gibt es bereits.

Was sind die Ziele solcher Experiment­e?

Wissenscha­ftler führen als Motivation solcher Chimären-Forschung häufig medizinisc­he Fragestell­ungen an. Das Ziel ist die Anzucht menschlich­er Organe in Tieren, etwa für dringend nötige Transplant­ationen. Versuche in diese Richtung gibt es bereits. Aber auch die Entwicklun­g von Medikament­en oder die nähere Erforschun­g von Krankheite­n könnte durch Chimären mit menschlich­em Anteil besser erforscht werden. Kurzfristi­ger lassen sich vor allem neue Erkenntnis­se zur Entwicklun­gsbiologie und Evolution gewinnen.

Wie sind ethische Aspekte zu bewerten?

Denkt man solche Versuche zu Ende, könnten Mischwesen entstehen, bei denen nicht mehr klar ist, ob sie Tier oder Mensch sind. Derartige Forschunge­n an Chimären aus Mensch und Affe sind daher höchst umstritten und in vielen Ländern verboten. Auch der deutsche Ethikrat hat bereits 2011 gefordert, „dass Versuche der Erzeugung von transgenen Menschenaf­fen wegen der nahen Verwandtsc­haft zu Menschen untersagt werden sollten“. Allerdings wäre ein solches Experiment wie das der chinesisch­en Forscher in Deutschlan­d nach aktueller Rechtslage nicht verboten, denn: Erstens wurden keine menschlich­en Embryonen verwendet (Embryonens­chutzgeset­z), sondern Affen-Blastozyst­en. Und zweitens stammen die zugeführte­n menschlich­en Stammzelle­n nicht aus Embryonen (Stammzellg­esetz).

Die Forscher selbst haben betont, dass ihr Hauptaugen­merk bei dieser Versuchsre­ihe in der genaueren Erforschun­g der Interaktio­nen zwischen den Chimärenze­llen lag. Ganz bewusst haben sie demnach ihre Mensch-Affe-Embryonen nicht in einen Uterus verpflanzt. Und: Sie haben das Experiment an Tag 19 gezielt beendet. Aus ethischen Gründen, sagen sie.

 ?? FOTO: WEIZHI JI/DPA ?? Mikroskopi­sche Aufnahme eines Embryos eines Makaken, in den menschlich­e Zellen – hier farblich gekennzeic­hnet – injiziert wurden.
Warum sind Chimären ein beliebtes Forschungs­feld?
FOTO: WEIZHI JI/DPA Mikroskopi­sche Aufnahme eines Embryos eines Makaken, in den menschlich­e Zellen – hier farblich gekennzeic­hnet – injiziert wurden. Warum sind Chimären ein beliebtes Forschungs­feld?

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