Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Alles am Fluss
Abwechslungsreich, überwiegend asphaltiert und mit geringem Kraftaufwand zu bewältigen, ist der Nagold-Radweg. Er eignet sich für Familien und Genussradler.
Wie eine Skulptur, so unbeweglich und starr, steht der Graureiher im flachen Wasser des Flüsschens Nagold. Selbst als die Radfahrer anhalten, absteigen und sich mit ihren Kameras langsam der Uferböschung nähern, rührt er sich nicht vom Fleck. Der Raubvogel, der allein wegen seiner Größe zu den imposantesten heimischen Vögeln zählt, hat offenbar nur seine Beute im Blick. Plötzlich stößt er mit seinem langen, gelben Schnabel zu – vergeblich – dieses Mal zumindest.
Begegnungen mit Tieren sind nichts Ungewöhnliches, wenn man zu Fuß oder mit dem Rad entlang des 90 Kilometer langen Flusses im Nördlichen Schwarzwald unterwegs ist. Denn der Nagold-Radweg, der sich durch das gleichnamige, tief eingeschnittene Flusstal schlängelt, führt abwechslungsreich durch verschiedene, naturnahe Landschaften. Im Tal dominieren Wiesen, auf die im Frühling und Sommer teils rar gewordene Blumen Farbtupfer zaubern. Es gibt aber auch noch zahlreiche Streuobstwiesen, außerdem die für das Heckengäu typischen Feldhecken sowie artenreiche Flussauen. Die ab und an steil ansteigenden Hänge sind bewaldet. Geradelt wird meist auf ebenen, zudem asphaltierten Wegen. Nirgendwo im Schwarzwald ist Radfahren komfortabler möglich.
Wegen der guten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr wird als Ausgangpunkt für die Tour das Städtchen Nagold empfohlen – auch wenn der Radweg offiziell 28 Kilometer flussaufwärts an der Quelle in Urnagold bei Seefeld beginnt. Ab Nagold erfüllt der Radweg außerdem alle Voraussetzungen, die für eine entspannte Radreise mit Kindern wichtig sind: eine Streckenführung fernab von Autostraßen, geringe Steigungen, sowie zahlreiche Gelegenheiten zum Spielen, Planschen und Baden entlang der Strecke.
In Nagold selbst laden der Burgspielplatz oder der Spielplatz im Riedbrunnenpark zu einem Aufenthalt ein. Entlang des ehemaligen Landesgartenschau-Geländes führt die Radtour dann weiter flussabwärts durch Wiesen und Waldgebiete zu einem imposanten, eisernen Wasserrad, das von 1898 an zunächst eine Mühle und eine Dreherei antrieb und bis heute Strom erzeugt. Die ehemalige Mühle von Wildberg liegt etwas außerhalb der Stadt. In Wildberg angekommen, sollte man unbedingt an der Klosteranlage Maria Reuthin anhalten. Das pittoreske Fachwerk-Ensemble aus dem Jahr 1252 verfügt über einen lauschigen Innenhof mit einem Brunnen. Im ehemaligen Fruchtkasten des Klosters ist heute das Heimatmuseum untergebracht.
Überreste der Stadtbefestigung mit dem Hexenturm und dem Arrestturm liegen ganz in der Nähe, ebenso wie die steinerne Hirsch-Brücke, die seit 1617 das rechte Ufer der Nagold mit dem linken verbindet. Alle zwei Jahre im Juli findet in Wildberg das älteste historische Heimatfest im Nördlichen Schwarzwald, „der Wildberger Schäferlauf“, statt.
Von Wildberg aus geht es weiter Richtung Calw, das sich nach dem berühmtesten Sohn der Stadt heute stolz „Hermann-Hesse-Stadt“
nennt. Hesse gilt als weltweit meistgelesener deutschsprachiger Autor des 20. Jahrhunderts. Am Marktplatz steht das Stadtpalais Haus Schüz. Hier ist seit 1990 das Hermann-Hesse-Museum untergebracht. Es zeigt die umfangreichste öffentlich ausgestellte Sammlung über den am 2. Juli 1877 in Calw geborenen Literaturnobelpreisträger. Das Geburtshaus des Schriftstellers steht am Unteren Marktplatz.
In Calw gibt es eine schöne Fußgängerzone mit Straßencafés. Diese bietet sich daher für eine Vesperpause an. Kinder können sich am Wasserspielplatz im Brühlpark austoben. Wer dem Nagoldradweg von hier aus weiter flussabwärts folgt, kommt durch den Calwer Vorort Hirsau. Für Familien dürfte ein Besuch des Minigolfplatzes oder des Rotwildgeheges am interessantesten sein.
Für Genussradler lohnt sich ein Stopp an der Ruine des ehemaligen Benediktinerklosters St. Peter und Paul. Es war in der Klosterbewegung von Cluny im 11. und 12. Jahrhundert das bedeutendste Reformkloster nördlich der Alpen. Leider wurde die baugeschichtlich bedeutende Anlage 1692 im Pfälzischen Erbfolgekrieg von französischen Truppen zerstört. Ein Besuch lohnt sich dennoch. Selbst die Reste des Klosters sind noch beeindruckend. Im Sommer finden stimmungsvolle Konzerte in der Ruine statt.
Weiter geht es nach Bad Liebenzell. Das Wahrzeichen der Kurstadt ist die Burg Liebenzell, von deren Turm man einen herrlichen Blick über das Nagoldtal genießen kann. Der Kurpark lockt mit Attraktionen wie dem Apothekergarten, dem Planetenweg sowie seit 2017 mit dem sogenannten Sophi Park, in dem die Gäste einen Spaziergang durch die Welt der Philosophie machen können. Auf der Weiterfahrt sollte man unbedingt einen Abstecher ins wildromantische
Monbachtal machen. Wer sich hineinwagt in die Schlucht, die die Einheimischen augenzwinkernd „schwäbischer Urwald“nennen, kann sich einen Weg über vermooste Felsen und umgestürzte Bäume und durch Gumpen bahnen. Für weniger abenteuerlustige Wanderer ist ein Pfad ausgewiesen.
Von hier aus sind es noch rund 18 Kilometer bis zum Hauptbahnhof in Pforzheim. Dort mündet die Nagold in die Enz. Die „Goldstadt“Pforzheim war und ist bis heute das Zentrum der deutschen Schmuck- und Uhrenindustrie. Erleben lässt sich die „Goldstadt“bei einer Stadtrundfahrt, einem Stadtrundgang, auf der Goldschmiedemeile oder bei einem Besuch eines der vielen Museen.
Zurück nach Nagold geht es dann ganz bequem mit der Kulturbahn, die Fahrräder kostenfrei mitnimmt. Übrigens: Radler, die nicht die gesamte Strecke fahren oder einzelne Etappen überspringen wollen, können zwischen Nagold und Pforzheim an insgesamt neun Bahnhöfen auf die begleitende Bahnlinie umsteigen.
Die Redaktion wurde von der Tourismus GmbH Nördlicher Schwarzwald bei der Recherche unterstützt.