Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Lasst doch Hitler aus dem Spiel!
Im Bereich der Diffamierungen sind NS-Vergleiche das krasseste Mittel. Dessen bediente sich auch DFB-Präsident Fritz Keller. Seitdem steht er in der Kritik. Solche Vergleiche relativieren die Verbrechen der Nazis.
Winzer, Gastronom, lange Jahre Präsident des SC Freiburg, ein Mann der Basis – und vor allem: einer ohne belastende Vergangenheit im Deutschen Fußball-Bund (DFB). Das waren die Attribute, die das Bild Fritz Kellers seit seinem Amtsantritt als DFB-Präsident im September 2019 bestimmten. Zumindest das Fehlen einer belastenden Vergangenheit im Verband ist dem 64-Jährigen nun zu streichen, denn seit Keller übereinstimmenden Medienberichten zufolge vor etwas mehr als einer Woche in einer Präsidiumssitzung seinen Vizepräsidenten Rainer Koch mit Nazi-Richter Roland
Freisler verglich, steht er massiv in der Kritik.
Weil diese Reaktionen erwartbar waren, bleibt die Frage: Warum dieser Vergleich? Aus Unüberlegtheit? Unbedarftheit? Oder gar aus Kalkül – da das maximale Erregungspotenzial garantiert ist? Solche Fragen stellen sich immer, wenn öffentlich und von prominenter Seite zu NS-Vergleichen gegriffen wird. Möglicherweise sind sie nach wie vor sehr „verführerisch“, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler glaubt. Als ein willkommenes Instrument, zu vermeintlichen Gegnern auf größtmögliche Distanz zu gehen. „Und da die meisten von uns sich mit der Geschichte der Nazizeit ausführlicher beschäftigt haben, kommt so manchem das als erstes in den Sinn.“
Sprachwissenschaftler zählen NS-Analogien darum auch zum Bereich der sogenannten Container, die eine Art Sammelbecken für beleidigende Motive sind. „Es reicht ein sogenanntes Schimpf-Wort, um sofort alle diese Motive aufzurufen. Das ist die kürzeste und wirkungsvollste Form der Beleidigung.
Die NS-Analogie ist quasi in diese Rolle hineingewachsen, allerdings stets mit ihrem historischen Kontext. Wer also jemanden als ,Freisler’ bezeichnet, spielt auf NS-Richter Roland Freisler und seine verbrecherische Praxis an“, so Jobst Paul, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. NS-Analogien seien – so schreibt es Frederik Weinert in seinem Buch „Nazi-Vergleiche und Political Correctness“– bei den Diffamierungen die „Königsdisziplin“.
Dass NS-Vergleiche ein effektives und attraktives Instrumentarium zu sein scheinen, ist die eine Sache. Die andere: Mit solchen Vergleichen werden Nazi-Gräueltaten relativiert. Das Unvergleichliche wird vergleichbar. Das geschieht übrigens auch dann, wenn Alexander Gauland von der AfD die NS-Vergangenheit als „Vogelschiss der Geschichte“bezeichnet und mit einer solchen Relativierung einen millionenfachen Mord übergeht. Zumindest darf als Warnung gelten, dass eine solche Rhetorik historische Aufmerksamkeit zu unterlaufen droht.
Interessant ist zudem, dass Politiker aller Richtungen und Prominente aus vielen Lebensbereichen sich solcher Vergleiche immer wieder bedienen – manchmal sogar unter umgekehrten Vorzeichen: So wurden nach den Worten von Jobst Paul bei Pegida-Demos NS-Analogien nicht als Beleidigungen, sondern als Teil der eigenen Programmatik aufgegriffen – indem nämlich Bundeskanzlerin Merkel als „Volksverräterin“bezeichnet worden sei. Damit griffen die Demonstranten, so Paul, Freislers „Verräter“-Stereotyp auf, das seinerseits gleichbedeutend mit Todesurteilen war und letztlich das Rechtsstaatsprinzip aushebelte. „Die Demonstranten übernahmen die Rolle eines NS-Richters, das heißt die Forderung nach ‚Volksjustiz‘. Das geltende Recht wird damit natürlich zu Unrecht erklärt, die Legitimität des Staats wird negiert.“
Und nun also DFB-Präsident Keller. Einer aus dem Sport. Wo Emotionalität zum Tagesgeschäft gehört. Wo Fußballer an jedem Spieltag Gefahr laufen, sich Sekunden nach dem Schlusspfiff im ersten Interview verschwitzt, erbost und weit oberhalb des Ruhepulses am TV-Mikrofon um Kopf und Kragen reden. Trotzdem gerät nicht allwöchentlich ein Spieler mit NS-Vergleichen in die Schlagzeilen. Und genau deswegen hat das Beispiel Keller eine andere Dimension. Weil es die Frage aufwirft, wie tief beim DFB-Boss die NS-Thematik verwurzelt sein muss, wenn er im Streit mit einem Vorstandskollegen eben keine simple Beleidigung, sondern diese Entgleisung wählt.
„Wer hier die ultimative Beleidigung oder bewusste Provokation sucht, verlässt die Grenze des ethisch Sagbaren“, sagt Kai-Nils Eicke, Geschäftsführer der Düsseldorfer Agentur DJM Communication. Aus seiner Sicht, also der eines PR-Beraters mit Erfahrung in Krisenkommunikation, zählen NS-Vergleiche nicht nur zum Unsäglichen, sondern zum Unsagbaren: „Beleidigende Vergleiche mit der NS-Zeit sind durchweg unpassend, nicht nur aus PR-Sicht, sondern allein aus gesundem Menschenverstand.“Solche Assoziationen würden grundsätzlich ein schlechtes Licht auf die Person werfen, die den Vergleich zieht – ihr wird viel negative Aufmerksamkeit zuteil, das eigentliche Anliegen wird damit diskreditiert.
Was bleibt also jemandem, der sich mit einem NS-Vergleich ins Abseits gestellt hat? „Wenn ein solcher Vergleich in der Welt ist, hilft nur noch Schadensbegrenzung, die, je nach Szenario, sehr unterschiedlich ausfallen kann“, sagt Medienwissenschaftler Eicke. Keller wählte den Weg der mannigfachen Entschuldigung. Persönlich, schriftlich, öffentlich. Einen Rücktritt lehnte er allerdings ab. Der richtige Weg? PR-Berater Kai-Nils Eicke setzt da früher an: „Erst denken, dann reden.“
„Das ist die kürzeste und wirkungsvollste Form der Beleidigung“
Jobst Paul Sprach- und Sozialforscher