Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der Marsch nach Köln mit Pfarrer Klaus Koltermann war ein Symbol des Auf bruchs.
Am Ende einer Protest-Wallfahrt wurden der Dormagener Kirchenrebell und rund 60 Weggefährten mit Applaus in der Kölner Innenstadt empfangen. Der Marsch galt auch Kardinal Woelki – zu einer Konfrontation mit ihm kam es nicht.
Mit eineinhalbstündiger Verspätung waren die gut 60 protestierenden Wallfahrer aus Nievenheim in der heiligen Stadt Köln eingetroffen. Pfarrer Koltermann hatte sich verrechnet; es waren 40 statt erwarteter 30 Kilometer. Der Weg nach Köln, so scheint es, ist manchmal dann doch länger und beschwerlicher als angenommen.
Dafür wurde der Empfang auf dem Börsenplatz in Köln zum Triumph. Etwa 300 Gläubige warteten auf die Wallfahrer, die sich am frühen Morgen von der Kirche St. Pankratius auf den Weg gemacht hatten – für eine Veränderung der Kirche. „Wir haben unterwegs die Macht gehabt, etwas in Bewegung zu bringen“, so Koltermann bei der Ankunft. Was er bei Gesprächen unterwegs auch erfuhr: „Alle hängen an der Kirche, aber alle sind nicht zufrieden mit ihr.“Der Platz am Anfang der Kardinal-Frings-Straße hätte für den Protest gegen Kirche und Bistumsleitung kaum sinnfälliger sein können. So liegt an der Straße das Priesterseminar, das erzbischöfliche Haus von Kardinal Rainer Maria Woelki und schräg gegenüber das Maternushaus. Dort sind derzeit die beiden mit päpstlicher Vollmacht ausgestatteten Visitatoren untergebracht, der Stockholmer Kardinal Anders Arborelius und der Rotterdamer Bischof Hans van den Hende. Am Dienstag werden sie die Domstadt verlassen. Und so sollte die abschließende Menschenkette – die gleich doppelt geknüpft werden konnte – vom Edith-SteinDenkmal bis zum Maternushaus auch als Brückenschlag nach Rom verstanden werden.
„Die Macht ist weg. Und die Gegenmacht kommt auf ausgelatschten Schuhe aus Nievenheim“, sagte Maria Mesrian, Theologin und Sprecherin von Maria 2.0 im Rheinland zu den vielen Gläubigen. „Juristisch korrekt – moralisch defekt“war auf ihren Transparenten zu lesen, auch „Vertrauen verloren, Verantwortung übernehmen, zurücktreten!“oder „Als Bischof wünsche ich mir einen Hirten, keinen Kirchenfunktionär“. Der auf diese Art kritisch angesprochene Kardinal erschien zur Kundgebung nicht.
„Veränderung ist möglich, aber nur, wenn wir uns dieser stellen, in eigener Mündigkeit“, sagte Mesrian. Dann sei es zunächst auch zweitrangig, „ob Kardinal Woelki nun zurücktritt oder nicht. Das System muss sich ändern.“Allerdings sei die pastorale Situation im Erzbistum derart verfahren, dass sie einen Rücktritt des Erzbischofs als „unabdingbar“empfinde: „Die Institution Kirche ist nicht in der Lage, sexuellen Missbrauch selbst aufzuklären. Das hat Köln gezeigt: es endet im pastoralen Desaster.“Von einer hochmütigen Institution war auf der Kundgebung die Rede und von einer Bistumsleitung, „die Moral in juristische Floskeln versenkt hat“, so Mesrian.
Für den ehemaligen Sprecher des Betroffenenbeirats im Erzbistum, Karl Haucke, war dies ein kleiner Kirchentag von unten. Und er zollte den Wallfahrern Respekt für deren Mut und Ernsthaftigkeit. Der menschenverachtenden Bistumsleitung, so Haucke, müsse gezeigt werden, „dass ihre Macht uns nicht machtlos macht“.
Für die von Koltermann initiierte und in nur wenigen Tagen organisierte Protestaktion gab es aber nicht nur Zustimmung aus den Kirchenreihen: So kritisierte der Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln die Kundgebung: „Die Demonstranten sind Aktivisten, die lautstark alles
„Die Institution Kirche ist nicht in der Lage, sexuellen Missbrauch selbst aufzuklären“
Maria Mesrian Sprecherin von Maria 2.0
Mögliche fordern“, hatte im Vorfeld Peter Bringmann-Henselder erklärt, der Mitglied des Betroffenenbeirats und ein ehemaliges Heimkind in Köln-Sülz ist. „Wir dagegen verstehen uns als Betroffenenbeirat, der nicht nur fordert, sondern aktiv echte Arbeit leistet und etwas bewegt.“
Dass die päpstlichen Kontrolleure voraussichtlich schon am Dienstag abreisen werden, ließ Spekulationen ins Kraut schießen, ob dies für den Kölner Erzbischof nun ein gutes oder weniger gutes Zeichen sei. Wie überhaupt die neue und gänzlich ungewohnte Schnelligkeit römischer Untersuchungen zu mancher Verschwörungstheorie inspirierte. So durfte der Hamburger Historiker Thomas Großbölting im „Spiegel“munter orakeln, dass die schnelle Antwort des Papstes auf das Rücktrittsangebot von Kardinal Reinhard Marx darauf hindeute, „dass es vermutlich schon im Vorfeld Absprachen gegeben hat – sowohl zum Schreiben von Marx wie auch zur Reaktion des Papstes“. Dass also alles ein mehr oder weniger abgekartetes Spiel sei. Für die evangelische Theologin und frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann sei dies „eine heftige Unterstellung“. „Das geht zu weit“, erklärte sie im Deutschlandfunk.
Wie immer auch der Bericht der Visitatoren über Erzbistum und Erzbischof ausfallen wird – eines hat die Stippvisite dann doch gezeigt. Dass das Interesse der Kontrolleure bislang vor allem der „komplexen pastoralen Situation“im Kölner Erzbistum galt. Dazu hatten sie zahlreiche Gespräche geführt, mit Kritikern, Betroffenen und Amtsträgern – unter ihnen dem Vernehmen nach auch der Hamburger Erzbischof Heße, dem das Gercke-Gutachten Pflichtverletzungen bescheinigt hatte.
40 Kilometer nach Köln und eine Menschenkette als Brückenschlag bis nach Rom – die Gläubigen haben große Ziele. Aber die Reformgruppen haben auch gezeigt, dass für sie die Kirche, so wie sie sich in ihren gegenwärtigen Strukturen zeigt, nicht mehr eine Kirche der Zukunft sein kann. Viele der Wallfahrer kamen erschöpft in Köln an. Doch allen schien auch klar zu sein, dass der Aufbruch noch beschwerlicher wird und wahrscheinlich gerade erst begonnen hat.