Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Erkaltete Freundschaft
Im Juni 1991 schlossen Deutschland und Polen einen historischen Nachbarschaftsvertrag. 30 Jahre später dominieren Ängste und Misstrauen das Verhältnis beider Nationen. Wie konnte es so weit kommen?
Ob Witold Waszczykowski derzeit schlecht schläft, ist nicht bekannt. Manches spricht allerdings dafür. Schließlich malte der ehemalige polnische Außenminister schon vor Jahren das Schreckensbild einer „Welt aus Radfahrern und Vegetariern“an die Wand, die „nur noch auf erneuerbare Energien setzen“. Dazu drohe „Genderideologie“statt Katholizismus. Für den Politiker der erzkonservativen PiS-Partei war das ein Albtraum in Grün. Und genau der könnte bald Wirklichkeit werden. Denn im benachbarten Deutschland haben die Grünen gute Aussichten, nach der Bundestagswahl mitzuregieren oder sogar das „Kanzler*innenamt“zu erobern, von dem Spitzenkandidatin Annalena Baerbock spricht. Und fällt Berlin, dann fällt Europa. So sieht das Waszczykowski, der die EU-Kommission für eine bessere „Außenstelle des Kanzleramtes“hält.
Nun ist der 64-jährige PiS-Mann schon seit 2018 nicht mehr Minister. Sein Einfluss in Warschau ist begrenzt. Allerdings ist Waszczykowski mit seinen Warnungen vor einer „Revolution“in Berlin nicht allein. Der liberalkonservative Publizist Piotr Jendroszczyk etwa prophezeite schon zu Jahresbeginn, Deutschland werde sich 2021 „bis zur Unkenntlichkeit verändern“. Das Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel nach 16 Jahren bedeute nichts Geringeres als „die Geburt einer neuen Bundesrepublik“, schrieb der frühere Berlin-Korrespondent. Das Beunruhigende dabei: Niemand könne sicher sagen, wohin die Reise im wichtigsten EU-Staat gehe.
Das klingt nach Zeitenwende. Dabei könnte zumindest die PiS die Entwicklung gelassen abwarten. Schließlich war es die Partei des bekennenden Deutschland-Skeptikers Jaroslaw Kaczynski, die nach ihrer Regierungsübernahme 2015 die Beziehungen zum Nachbarn bis nah an den Nullpunkt heruntegekühlt hat. Viel frostiger kann es nach der Wahl kaum kommen – ganz gleich, wer in Berlin das Sagen hat. Mit den Grünen hat die PiS sogar deutliche Schnittmengen in der Russland-Politik, etwa bei der Ablehnung der Pipeline Nord Stream 2. Und Annalena Baerbock erzählt gern von der Begeisterung, mit der sie die EU-Osterweiterung 2004 auf der Oder-Brücke in Frankfurt/Slubice gefeiert habe.
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet wiederum hatte als junger Mann sogar ein Plakat der polnischen Freiheitsbewegung Solidarnosc in seinem Zimmer hängen, wie er einmal ausplauderte. Der gläubige Katholik fügte hinzu: „Noch vor Solidarnosc haben wir die Wahl von Karol Wojtyla zum Papst erlebt. Ab dieser Sekunde hat man sich natürlich nochmal anders mit Polen beschäftigt.“Laschet und Baerbock haben also durchaus jene historische Dimension im Blick, die für das schwierige deutsch-polnische Verhältnis so wichtig ist. Daraus müsste sich doch etwas machen lassen. Allerdings hat sich die PiS festgelegt, die Opferrolle Polens ins Zentrum zu rücken. Erst kürzlich wieder verlangte Parteichef Kaczynski Reparationen von den Deutschen: „Sie sollten uns Hunderte Milliarden Euro für die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zahlen.“
Dabei gäbe es durchaus auch Anlässe, an die positive Entwicklung der jüngeren Vergangenheit anzuknüpfen. Am 17. Juni zum Beispiel jährt sich die Unterzeichnung des historischen Nachbarschaftsvertrages von 1991 zum 30. Mal (siehe Infokasten). Das Abkommen setzte so etwas wie einen Schlusspunkt hinter den Kalten Krieg im Herzen Europas. Der Vertrag sei von „herausragender Bedeutung für das bilaterale Verhältnis nach der Epochenwende von 1989 gewesen“, sagt Historiker Peter Oliver
„Eine pragmatische, produktive polnische Politik wäre ein großes Plus für Europa“
Peter Oliver Loew Historiker
Loew, der das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt leitet. Dennoch: Mehr als die üblichen Sonntagsreden erwartet kaum jemand vom bevorstehenden Jahrestag. „Es gab schon Zeiten einer intensiveren Zusammenarbeit“, sagt Loew. Derzeit schleppe sich der deutsch-polnische Karren eher so dahin.
Von der Aufbruchstimmung der 90er-Jahre und dem Jubel über die EU-Osterweiterung ist nicht viel geblieben. Unter dem liberalkonservativen Premier Donald Tusk, den eine enge politische Freundschaft mit Angela Merkel verband, erlebten die bilateralen Beziehungen nach 2007 zwar eine Blüte. Aber 2014, kurz bevor Tusk EU-Ratspräsident wurde, hielt die Partnerschaft schon dem ersten Härtetest nicht stand. Auf dem Höhepunkt der Krim-Krise gaben Deutschland und Frankreich dem Druck aus Moskau nach und booteten Tusks Außenminister Radoslaw Sikorski bei den Verhandlungen mit Russland und der Ukraine aus. Ausgerechnet jenen Sikorski, der 2011 in Berlin bekannt hatte: „Deutsche Taten fürchte ich heute weniger als deutsche Untätigkeit.“
Es folgten die Flüchtlingskrise 2015 und im selben Jahr der Machtwechsel in Warschau. Seither erschweren die Angriffe der PiS-Regierung auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land die Zusammenarbeit in Europa. Umgekehrt werde aber auch „Polens Stimme in der EU zu wenig gehört“, sagt Loew. Das liege auch daran, dass sich Warschau zu selten konstruktiv einmische: „Eine pragmatische, produktive polnische Politik wäre ein großes Plus für Europa.“Anders als Ex-Außenminister Waszczykowski hat Loew dennoch eine positive Vision für das bilaterale Verhältnis: „Als große Nachbarländer im Zentrum Europas sind wir einfach dazu berufen, Zukunftsthemen gemeinsam anzupacken. Das beginnt beim Klimaschutz und der Energieversorgung und endet bei der Sicherheitsund Verteidigungspolitik.“
Es bleibt also viel zu tun für die neue Bundesregierung. Und für ihre Partner jenseits der Oder.