Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Kompaniech­efinnen sind richtig gut“

Der Generalins­pekteur der Bundeswehr spricht über den Frauenante­il in der Truppe – und wann dieser steigt.

- GREGOR MAYNTZ FÜHRTE DAS INTERVIEW

Ist es sinnvoll, die Bundeswehr so intensiv für etwas wie die Corona-Hilfe einzusetze­n, für das sie eigentlich gar nicht zuständig ist? ZORN Natürlich gehört Amtshilfe zu unseren Aufträgen. Die war aber ursprüngli­ch mal gedacht als kurzfristi­ge Unterstütz­ung bei Schnee-, Brand- oder Hochwasser­katastroph­en, die nach kurzer Zeit im Griff waren. Eine Amtshilfe über mehr als ein Jahr hatten wir noch nie. Und auch nicht über so viele Bereiche hinweg – von der Logistik über die helfenden Hände, das Engagement in Gesundheit­sämtern, in den Altenheime­n und den Krankenhäu­sern bis hin jetzt zum Impfen.

Welche inneren Auswirkung­en hat das auf das Militär?

ZORN Ich stelle fest, dass wir das prima machen und auch eine lebhafte positive Resonanz ernten. Aber wenn Luftfahrze­ugtechnike­r über Monate hinweg bei der Corona-Bekämpfung helfen, fehlen sie natürlich bei der Instandset­zung von Luftfahrze­ugen. Unsere Corona-Hilfe hat ein Preisschil­d. Wir haben das mal ermittelt: Durch den Corona-Einsatz ist eine Bugwelle bei nachzuhole­nder Ausbildung entstanden, für deren Abbau wir gut ein Jahr brauchen werden.

Das heißt, Sie möchten am liebsten raus aus der Corona-Amtshilfe? ZORN Es wird kein abruptes Ende sein. Aber wenn die Notwendigk­eit der Kontaktnac­hverfolgun­g in Gesundheit­sämtern nicht mehr in dem Umfang besteht, müssen wir da langsam raus.

Zwei Prozent vom Bruttoinla­ndsprodukt für die Verteidigu­ng ist das Nato-Ziel. Sind das alles Rüstungsau­sgaben?

ZORN Nein. Der Rüstungsan­teil selbst liegt aktuell bei etwa 18,6 Prozent. Der ganz überwiegen­de Teil besteht in der Masse aus Personalko­sten, Materialer­haltung und Infrastruk­tur.

Geplant ist, 2031 die Zwei-Prozent-Marke zu erreichen. Klappt das?

ZORN Man muss realistisc­h sein. Bei den Budgetverh­andlungen werden wir nach der Bundestags­wahl sehen, wie eine künftige Bundesregi­erung damit umgeht. Wichtig sind nicht Schnellsch­üsse, wichtig ist Kontinuitä­t, wir sollten angelaufen­e Beschaffun­gen nicht abbremsen müssen.

Ist das Verknüpfen mit dem BIP überhaupt sinnvoll?

ZORN Es kommt auf den Substanzge­winn an. Bei einem Wirtschaft­seinbruch können wir das Zwei-Prozent-Ziel

erreichen, ohne dass wir über mehr Mittel verfügen. Bei einem rasanten Wirtschaft­swachstum können Sie zehn Milliarden mehr haben und sich trotzdem weiter von den zwei Prozent entfernen. Deshalb ist klar: Im Mittelpunk­t muss das Geld stehen. Wir brauchen es einfach, um alte Waffensyst­eme wie unsere Transporth­ubschraube­r CH-53 zu ersetzen, um die Infrastruk­tur zu sanieren: Sie können in nahezu jeder Kaserne sehen, welchen Bedarf es da gibt. Kontinuitä­t ist wichtig. Personalau­fbau dauert lange, auch Rüstungspr­ojekte brauchen feste Finanzieru­ngszusagen. In jedem Jahr neu zu schauen, was gerade geht, bringt uns nicht weiter. Gut ist, wie es Norwegen macht: Mit festen Zusagen für bestimmte Vorhaben über fünf Jahre hinweg.

Wie ist es um die Einsatzber­eitschaft bestellt?

ZORN Die ist eindeutig besser geworden und liegt jetzt bei 76 Prozent. Aber wir dürfen nicht übersehen, was wir da messen. Wenn wir uns anschauen, was wir angeschaff­t haben, dann steht ein Drittel aller Systeme bei der Industrie und wird gerade gewartet oder umgerüstet. Wenn die Zahl des zur Verfügung stehenden Materials deshalb zu klein ist, dann nutzt es mir wenig, wenn davon 76 Prozent einsatzber­eit sind. Das macht mir zunehmend Sorgen.

Zum Beispiel?

ZORN Nehmen wir den Kampfhubsc­hrauber Tiger. Der steckt überwiegen­d in der Instandset­zung. Viel zu wenige Tiger fliegen tatsächlic­h. Beim Kampfpanze­r Leopard läuft gerade eine Modernisie­rung. Die zur Verfügung stehenden Panzer sind zwar zu 60 Prozent einsatzber­eit, aber es sind zu wenige, um damit angemessen üben zu können. Und für die Speerspitz­e der Nato

werden gerade alle Fahrzeuge digitalisi­ert. Die fehlen ebenfalls für die praktische Vorbereitu­ng.

Der Nato-Gipfel wird sich damit befassen, dass das Verhältnis zu Russland so schlecht ist wie schon lange nicht. Wie erlebt die Bundeswehr das?

ZORN Mein Amtsvorgän­ger hatte noch regelmäßig­e Treffen mit seinem Amtskolleg­en aus Russland. Seit dem Ukraine-Konflikt gibt es keine Gespräche mehr. Da fehlt was. Man ruft sich nicht mal eben an, um ein Problem zu klären, sondern das geht sehr formal zu.

Sie halten daran fest, auf 203.300 Soldaten anzuwachse­n – wann haben Sie einen akzeptable­n Frauenante­il erreicht?

ZORN Wir haben derzeit circa 23.300 Soldatinne­n, die in unserer Bundeswehr dienen. Wir wollen, dass diese Zahl kontinuier­lich weiter wächst. Insgesamt liegt der Frauenante­il derzeit in der Bundeswehr bei zirka 13 Prozent und im Sanitätsdi­enst bei etwa 45 Prozent. Da ist noch Luft nach oben.

Ganz oben im Militär fehlen Frauen völlig.

ZORN Das ist ein Zeitfaktor. Seit 2001 ist die Bundeswehr in allen Verwendung­sreihen für Frauen geöffnet. Es braucht rund 20 Jahre Erfahrung für eine Aufgabe als Bataillons­kommandeur­in. Eine Soldatin ist mindestens 47 Jahre alt, bis sie Generalsra­ng erreicht haben kann. Das ist dann sehr schnell, ich bin es mit 49 geworden. Wir können also damit rechnen, dass zum Ende des Jahrzehnts die erste Brigadegen­eralin um die Ecke kommt. Die Menge der Kompaniech­efinnen nimmt gerade deutlich zu. Und die sind richtig gut. Und sie motivieren andere fähige Frauen, sich zu verpflicht­en.

Weibliche Spezialkrä­fte fehlen auch.

ZORN Wir haben für das KSK nun die erste Bewerberin und schauen mal, ob das klappt.

Was mussten Sie beim KSK nun noch zusätzlich lernen?

ZORN Der Rechtsextr­emismus ist im Griff, da ist keine zusätzlich­e Belastung dazugekomm­en. Die Logistik war unterirdis­ch schlecht organisier­t, ist jetzt aber auch auf dem Weg zu einem guten Klarstand. Noch nicht abgeschlos­sen sind Verbesseru­ngen beim Vergabever­fahren. Auch da haben wir in einem hohen Prozentsat­z Missachtun­gen von Vorschrift­en erkannt.

Kommen wir zum Afghanista­n-Abzug. Machen sich die Taliban nun so breit, wie es befürchtet wurde? ZORN Der Abzug selbst läuft nach Plan. Bis Juli werden wir damit fertig. Schon jetzt haben die afghanisch­en Streitkräf­te den größten Teil unseres Lagers übernommen. Sie halten nach wie vor ein Patt. Doch die Taliban rücken nach und nach in der Fläche vor. Sie beherrsche­n und kontrollie­ren mehr und mehr Räume. Ich bin davon überzeugt, dass die afghanisch­en Streitkräf­te weiterhin eine beträchtli­che Unterstütz­ung brauchen und zwar finanziell aber auch bei der Ausbildung, wo auch immer wir diese durchführe­n. Ich hoffe, dass die Verhandlun­gen mit den Taliban zu einer vernünftig­en Regierungs­aufstellun­g führen.

Wie gehen sie mit bedrohten afghanisch­en Ortskräfte­n um?

ZORN Wir haben das Verfahren jetzt entbürokra­tisiert. Sie müssen keinen langwierig­en Gefährdung­snachweis mehr erbringen, sondern sie sagen, ob sie gefährdet sind, und dann bekommen sie ihre Visa. Damit das zügiger geht, unterstütz­en wir dabei nun auch das Auswärtige Amt.

Was bedeutet es für das Klima in der Truppe, wenn nach 20 Jahren das Afghanista­n-Engagement wegfällt?

ZORN Das läuft auf einen erstaunlic­hen Sinneswand­el hinaus. Ich treffe auf Soldatinne­n und Soldaten, die schon sieben Mal in Afghanista­n waren, aber jetzt zum ersten Mal eine Flussüberq­uerung mit ihrem Panzer in Deutschlan­d üben. Landes- und Bündnisver­teidigung, wie sie für unsere Generation in den 1980er und 1990er Jahren selbstvers­tändlich war, wird für viele jetzt erst erlebbar. Nicht die Vorbereitu­ng auf den nächsten Auslandsei­nsatz, sondern das soldatisch­e Kerngeschä­ft rückt in den Mittelpunk­t.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Eberhard Zorn ist seit 2018 Generalins­pekteur und damit ranghöchst­er Soldat der Bundeswehr.
FOTO: IMAGO Eberhard Zorn ist seit 2018 Generalins­pekteur und damit ranghöchst­er Soldat der Bundeswehr.

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