Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Kompaniechefinnen sind richtig gut“
Der Generalinspekteur der Bundeswehr spricht über den Frauenanteil in der Truppe – und wann dieser steigt.
Ist es sinnvoll, die Bundeswehr so intensiv für etwas wie die Corona-Hilfe einzusetzen, für das sie eigentlich gar nicht zuständig ist? ZORN Natürlich gehört Amtshilfe zu unseren Aufträgen. Die war aber ursprünglich mal gedacht als kurzfristige Unterstützung bei Schnee-, Brand- oder Hochwasserkatastrophen, die nach kurzer Zeit im Griff waren. Eine Amtshilfe über mehr als ein Jahr hatten wir noch nie. Und auch nicht über so viele Bereiche hinweg – von der Logistik über die helfenden Hände, das Engagement in Gesundheitsämtern, in den Altenheimen und den Krankenhäusern bis hin jetzt zum Impfen.
Welche inneren Auswirkungen hat das auf das Militär?
ZORN Ich stelle fest, dass wir das prima machen und auch eine lebhafte positive Resonanz ernten. Aber wenn Luftfahrzeugtechniker über Monate hinweg bei der Corona-Bekämpfung helfen, fehlen sie natürlich bei der Instandsetzung von Luftfahrzeugen. Unsere Corona-Hilfe hat ein Preisschild. Wir haben das mal ermittelt: Durch den Corona-Einsatz ist eine Bugwelle bei nachzuholender Ausbildung entstanden, für deren Abbau wir gut ein Jahr brauchen werden.
Das heißt, Sie möchten am liebsten raus aus der Corona-Amtshilfe? ZORN Es wird kein abruptes Ende sein. Aber wenn die Notwendigkeit der Kontaktnachverfolgung in Gesundheitsämtern nicht mehr in dem Umfang besteht, müssen wir da langsam raus.
Zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für die Verteidigung ist das Nato-Ziel. Sind das alles Rüstungsausgaben?
ZORN Nein. Der Rüstungsanteil selbst liegt aktuell bei etwa 18,6 Prozent. Der ganz überwiegende Teil besteht in der Masse aus Personalkosten, Materialerhaltung und Infrastruktur.
Geplant ist, 2031 die Zwei-Prozent-Marke zu erreichen. Klappt das?
ZORN Man muss realistisch sein. Bei den Budgetverhandlungen werden wir nach der Bundestagswahl sehen, wie eine künftige Bundesregierung damit umgeht. Wichtig sind nicht Schnellschüsse, wichtig ist Kontinuität, wir sollten angelaufene Beschaffungen nicht abbremsen müssen.
Ist das Verknüpfen mit dem BIP überhaupt sinnvoll?
ZORN Es kommt auf den Substanzgewinn an. Bei einem Wirtschaftseinbruch können wir das Zwei-Prozent-Ziel
erreichen, ohne dass wir über mehr Mittel verfügen. Bei einem rasanten Wirtschaftswachstum können Sie zehn Milliarden mehr haben und sich trotzdem weiter von den zwei Prozent entfernen. Deshalb ist klar: Im Mittelpunkt muss das Geld stehen. Wir brauchen es einfach, um alte Waffensysteme wie unsere Transporthubschrauber CH-53 zu ersetzen, um die Infrastruktur zu sanieren: Sie können in nahezu jeder Kaserne sehen, welchen Bedarf es da gibt. Kontinuität ist wichtig. Personalaufbau dauert lange, auch Rüstungsprojekte brauchen feste Finanzierungszusagen. In jedem Jahr neu zu schauen, was gerade geht, bringt uns nicht weiter. Gut ist, wie es Norwegen macht: Mit festen Zusagen für bestimmte Vorhaben über fünf Jahre hinweg.
Wie ist es um die Einsatzbereitschaft bestellt?
ZORN Die ist eindeutig besser geworden und liegt jetzt bei 76 Prozent. Aber wir dürfen nicht übersehen, was wir da messen. Wenn wir uns anschauen, was wir angeschafft haben, dann steht ein Drittel aller Systeme bei der Industrie und wird gerade gewartet oder umgerüstet. Wenn die Zahl des zur Verfügung stehenden Materials deshalb zu klein ist, dann nutzt es mir wenig, wenn davon 76 Prozent einsatzbereit sind. Das macht mir zunehmend Sorgen.
Zum Beispiel?
ZORN Nehmen wir den Kampfhubschrauber Tiger. Der steckt überwiegend in der Instandsetzung. Viel zu wenige Tiger fliegen tatsächlich. Beim Kampfpanzer Leopard läuft gerade eine Modernisierung. Die zur Verfügung stehenden Panzer sind zwar zu 60 Prozent einsatzbereit, aber es sind zu wenige, um damit angemessen üben zu können. Und für die Speerspitze der Nato
werden gerade alle Fahrzeuge digitalisiert. Die fehlen ebenfalls für die praktische Vorbereitung.
Der Nato-Gipfel wird sich damit befassen, dass das Verhältnis zu Russland so schlecht ist wie schon lange nicht. Wie erlebt die Bundeswehr das?
ZORN Mein Amtsvorgänger hatte noch regelmäßige Treffen mit seinem Amtskollegen aus Russland. Seit dem Ukraine-Konflikt gibt es keine Gespräche mehr. Da fehlt was. Man ruft sich nicht mal eben an, um ein Problem zu klären, sondern das geht sehr formal zu.
Sie halten daran fest, auf 203.300 Soldaten anzuwachsen – wann haben Sie einen akzeptablen Frauenanteil erreicht?
ZORN Wir haben derzeit circa 23.300 Soldatinnen, die in unserer Bundeswehr dienen. Wir wollen, dass diese Zahl kontinuierlich weiter wächst. Insgesamt liegt der Frauenanteil derzeit in der Bundeswehr bei zirka 13 Prozent und im Sanitätsdienst bei etwa 45 Prozent. Da ist noch Luft nach oben.
Ganz oben im Militär fehlen Frauen völlig.
ZORN Das ist ein Zeitfaktor. Seit 2001 ist die Bundeswehr in allen Verwendungsreihen für Frauen geöffnet. Es braucht rund 20 Jahre Erfahrung für eine Aufgabe als Bataillonskommandeurin. Eine Soldatin ist mindestens 47 Jahre alt, bis sie Generalsrang erreicht haben kann. Das ist dann sehr schnell, ich bin es mit 49 geworden. Wir können also damit rechnen, dass zum Ende des Jahrzehnts die erste Brigadegeneralin um die Ecke kommt. Die Menge der Kompaniechefinnen nimmt gerade deutlich zu. Und die sind richtig gut. Und sie motivieren andere fähige Frauen, sich zu verpflichten.
Weibliche Spezialkräfte fehlen auch.
ZORN Wir haben für das KSK nun die erste Bewerberin und schauen mal, ob das klappt.
Was mussten Sie beim KSK nun noch zusätzlich lernen?
ZORN Der Rechtsextremismus ist im Griff, da ist keine zusätzliche Belastung dazugekommen. Die Logistik war unterirdisch schlecht organisiert, ist jetzt aber auch auf dem Weg zu einem guten Klarstand. Noch nicht abgeschlossen sind Verbesserungen beim Vergabeverfahren. Auch da haben wir in einem hohen Prozentsatz Missachtungen von Vorschriften erkannt.
Kommen wir zum Afghanistan-Abzug. Machen sich die Taliban nun so breit, wie es befürchtet wurde? ZORN Der Abzug selbst läuft nach Plan. Bis Juli werden wir damit fertig. Schon jetzt haben die afghanischen Streitkräfte den größten Teil unseres Lagers übernommen. Sie halten nach wie vor ein Patt. Doch die Taliban rücken nach und nach in der Fläche vor. Sie beherrschen und kontrollieren mehr und mehr Räume. Ich bin davon überzeugt, dass die afghanischen Streitkräfte weiterhin eine beträchtliche Unterstützung brauchen und zwar finanziell aber auch bei der Ausbildung, wo auch immer wir diese durchführen. Ich hoffe, dass die Verhandlungen mit den Taliban zu einer vernünftigen Regierungsaufstellung führen.
Wie gehen sie mit bedrohten afghanischen Ortskräften um?
ZORN Wir haben das Verfahren jetzt entbürokratisiert. Sie müssen keinen langwierigen Gefährdungsnachweis mehr erbringen, sondern sie sagen, ob sie gefährdet sind, und dann bekommen sie ihre Visa. Damit das zügiger geht, unterstützen wir dabei nun auch das Auswärtige Amt.
Was bedeutet es für das Klima in der Truppe, wenn nach 20 Jahren das Afghanistan-Engagement wegfällt?
ZORN Das läuft auf einen erstaunlichen Sinneswandel hinaus. Ich treffe auf Soldatinnen und Soldaten, die schon sieben Mal in Afghanistan waren, aber jetzt zum ersten Mal eine Flussüberquerung mit ihrem Panzer in Deutschland üben. Landes- und Bündnisverteidigung, wie sie für unsere Generation in den 1980er und 1990er Jahren selbstverständlich war, wird für viele jetzt erst erlebbar. Nicht die Vorbereitung auf den nächsten Auslandseinsatz, sondern das soldatische Kerngeschäft rückt in den Mittelpunkt.