Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Deutschland hat ein Rassismus-Problem“
Der Rechtsanwalt hilft Opfern von Diskriminierung ehrenamtlich. Dazu bewogen hat ihn der Tod des US-Amerikaners George Floyd.
DÜSSELDORF Der Düsseldorfer Blaise Francis El Mourabit ist Rechtsanwalt für Wirtschaftsrecht. In seiner Freizeit vertritt er Opfer von Rassismus – auch, weil er selbst immer wieder schlechte Erfahrungen macht. Geld nimmt er für diese juristische Hilfe von seinen Mandanten nicht.
Herr El Mourabit, wenn Sie Feierabend haben, beraten Sie Betroffene von Rassismus. Wie kam es dazu?
EL MOURABIT Ich mache das schon seit einigen Jahren, früher in deutlich kleinerem Umfang als jetzt. Da waren es vielleicht zwei bis vier Fälle im Monat aus dem erweiterten Freundeskreis. Von denen habe ich erfahren oder die Leute haben mich um Unterstützung gebeten. Oft ging es einfach auch nur um ein Anwaltsschreiben an einen Vermieter oder einen Arbeitgeber.
Mit welchem Inhalt?
EL MOURABIT Einmal hat eine Frau ein WG-Zimmer nicht bekommen und dann bei den anderen Bewohnern nachgefragt. So hat sie erfahren, dass eigentlich in der WG niemand etwas gegen sie hatte, aber der Vermieter ausschließlich weiße Deutsche in seinem Haus haben wollte. Die Frau ist Deutsche, hat aber eritreische Wurzeln und einen dunkleren Hauttyp. Ich habe für sie dann eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erwirkt, weil der Vermieter gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hatte.
Bei den zwei bis vier Fällen ist es aber nicht geblieben?
EL MOURABIT Nein. Ich bin im Frühjahr 2020 abends bei Youtube zufällig auf das Video gestoßen, in dem der Polizist Derek Chauvin den US-Amerikaner George Floyd tötet. Man schaut ihm neun Minuten lang beim Sterben zu. Das war für mich extrem erschreckend, fast schon traumatisierend. Ich konnte in der Nacht kaum schlafen. Was mich besonders schockiert hat,, war: Ich hatte den Eindruck, der Täter genießt seine Macht, während er auf Floyds Hals kniet, bis der tot ist. Da war mir einfach klar, dass ich mehr tun will. Weil Rassismus auch in Deutschland ein Problem ist. Ich habe mir dann einen InstagramAccount angelegt und dort eine Anzeige mit dem Angebot einer Gratis-Rechtsberatung geschaltet.
Haben sich viele Menschen gemeldet?
EL MOURABIT Ich muss sagen, ich habe das völlig unterschätzt, weil ich erstmal nur etwa 30 Follower hatte. Aber mein Posting hat eine echte Welle in Gang gesetzt. Ich bekam Anfragen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Schon in den ersten beiden Tagen waren es mehr als 150. Inzwischen hab ich aufgehört zu zählen. Ich arbeite jeden Tag ein paar Fälle ab.
Haben Sie den Eindruck, dass der Zulauf vor allem damit zu tun hat, dass Sie Ihre Hilfe unentgeltlich anbieten?
EL MOURABIT Nein, es ist für die allermeisten nicht das Geld. 80 Prozent sagen mir, dass sie für meine Unterstützung gern bezahlen wollen. Aber ich übe meine Tätigkeit gemeinnützig und damit kostenfrei aus, und das soll auch so bleiben. Es ist mein Beitrag, vielleicht ein bisschen was zu verändern. Andere spenden Geld, ich mache kostenlose Rechtsberatung. Der große Zulauf hat vor allem damit zu tun, dass ich ein Schwarzer bin. Wer von Rassismus betroffen ist, fühlt sich von mir verstanden und weiß, dass er mich nicht erst davon überzeugen muss, dass es in Deutschland ein Rassismus-Problem gibt.
Haben Sie ein Beispiel?
EL MOURABIT Bei einem meiner ersten Fälle musste eine Frau, hochintelligent und im mittleren Management tätig, sich rassistische Kommentare von Kollegen anhören. Sie hat sich erfolglos bei Ihrem Vorgesetzten beschwert und anschließend einen Rechtsanwalt aufgesucht. Auch von ihrem eigenen Anwalt wurde sie aber überhaupt nicht ernst genommen. Er meinte: „Sie als intelligente Frau müssen da doch drüberstehen.“Ich sage: Nein, muss sie nicht. Sie darf verletzt sein und sich wehren, wenn sie rassistisch beleidigt worden ist.
Haben Sie eigene Rassismus-Erfahrungen gemacht?
EL MOURABIT Als ich noch ein Kind war, wurde ich zum Beispiel mal von einem Neonazi durch den Park gejagt. Wenn ich mich heutzutage als Anwalt öffentlich gegen Rassismus einsetze, werde ich regelmäßig rassistisch beleidigt und bedroht. Selbst in vermeintlich sachlichen Gesprächen zum Thema Rassismus heißt es manchmal, ich solle doch zurück in meine „Heimat“gehen. Ich antworte dann gerne mit: Also zurück nach Wuppertal in meinen Geburtsort. Was mir heute noch regelmäßig passiert: Wenn ich nach dem Training in Sportklamotten durch den Düsseldorfer Hauptbahnhof gehe, werde ich von der Polizei kontrolliert. Oft werde ich dann direkt geduzt und gefragt, ob ich Drogen bei mir habe. Der Ton ist meistens ziemlich herablassend. Und natürlich ist es einfach eine total unangenehme Situation, alle schauen ja hin, wenn jemand von drei Polizisten umstellt wird. Bin ich im Anzug unterwegs, passiert das nicht.
Die Polizei verwehrt sich ja gegen den Vorwurf des „Racial Profiling“, also einer verdachtsunabhängigen Kontrolle aufgrund des Aussehens eines Menschen, etwa seiner Hautfarbe. Was Sie beschreiben, ist aber genau das. Sind Sie schon mal dagegen vorgegangen?
EL MOURABIT Dass ich aufgrund meiner Hautfarbe und meiner Klamotten in eine Kontrolle gerate, ist für mich Fakt, aber das kann ich schlecht nachweisen. Racial Profiling ist zwar rechtswidrig. Man kann es aber kaum ahnden. Entsprechende Bußgeldtatbestände existieren beispielsweise nicht. Weiße Deutsche, die mir nahestehen, berichten mir regelmäßig, dass sie noch nie oder vielleicht einmal an einer Grenze von der Polizei kontrolliert wurden. Manchmal kommt noch ein ganz guter Austausch mit den Polizisten zustande, nachdem ich mich ausgewiesen und ihnen gesagt habe, dass ich Rechtsanwalt bin und gerade vom Sport komme. Sie wechseln dann übrigens auch schnell zum Sie. Ich frage sie dann, ob sie an diesem Tag eigentlich auch Menschen kontrolliert haben, die vom Aussehen her der weißen Mehrheitsgesellschaft entsprechen.
Wie ist die Reaktion?
EL MOURABIT Sie werben um Verständnis und kommen oft unter anderem auf die hohe Ausländerkriminalität zu sprechen. Das Argument ist aber nicht schlüssig. In einem Einwanderungsland wie Deutschland kann man niemandem ansehen, ob er Ausländer ist oder nicht. Ich habe ja zum Beispiel die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wegen rechtsextremer Chats wurde in Frankfurt gerade ein Spezialeinsatzkommando aufgelöst. Es gibt solche Fälle auch in NRW. Hat die deutsche Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus?
EL MOURABIT Ob ein strukturelles Problem besteht oder nicht, ist meines Erachtens nicht entscheidend, denn es steht absolut erwiesenermaßen fest, dass es Rassismus in der Polizei gibt. NSU 2.0, rechtsextreme Netzwerke oder eben rassistische Chatgruppen. Dann auch immer mal wieder Fälle, in denen Polizisten rechtswidrige Gewalt anwenden. Das zeigt auch ein Bericht vom November 2020 eines Forschungsprojekts der Ruhr Universität Bochum zu Rassismus und Polizeigewalt. Ein Polizeibeamter wurde bei der Befragung für die bundesweite Studie sehr deutlich. Bei manchen Kollegen heiße es: „Heute gehen wir Türken jagen.“Dann sollen sie bei Streifenfahrten gezielt auf die Suche gegangen sein, um Kleinigkeiten aufzubauschen – zum Beispiel, wenn jemand das Blinken vergessen habe. Es gibt diese Fälle, davon berichten mir auch meine Mandanten. Ich sage nicht, dass es die Mehrheit der Polizei ist, aber diese Fälle sind ausreichend dafür, dass der Staat gesetzliche Maßnahmen ergreifen muss, um mehr gegen Diskriminierung durch Amtsträger zu tun. Jede Tat ist eine zu viel. Und jede Tat erschüttert das Vertrauen in die Integrität des Staates und unsere Polizei.
CLAUDIA HAUSER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.