Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Eine Maus kommt selten allein

Seit Monaten verwüsten Tausende der Nagetiere den Osten Australien­s und verursache­n Schäden in Millionenh­öhe. Farmer sind am Ende ihrer Kräfte, und Medien sprechen von einer Plage „biblischen Ausmaßes“.

- VON BARBARA BARKHAUSEN

SYDNEY Seit Monaten fressen sich im Osten Australien­s Mäuse durch Felder, Scheunen und Häuser. Die Schäden gehen inzwischen in Millionenh­öhe. Ernten werden ruiniert, die örtlichen Supermärkt­e mussten bereits Waren für Tausende Dollar wegwerfen, nachdem die Mäuse Packungen und Lebensmitt­el anknabbern. Zudem fressen die Nager Kabel an, zerstören Geräte und Maschinen und lösen Kurzschlüs­se und Feuer aus. Zwischenze­itlich war die Angst groß, dass die Mäuse ihren „Feldzug“sogar bis in die Millionens­tadt Sydney fortsetzen könnten, doch diese Gefahr scheint inzwischen gebannt.

Für die ländliche Bevölkerun­g ist die derzeitige Mäuseplage eine der schlimmste­n des vergangene­n Jahrhunder­ts. Videos in sozialen Medien zeigen, wie Farmen von Hunderten oder sogar Tausenden Mäusen überfallen werden. Norman Moeris, ein Farmer aus Gilgandra, ein kleiner Ort rund sechs Autostunde­n nordwestli­ch von Sydney, berichtete in einem Videotelef­onat, dass er in manchen Getreidesä­cken schon bis zu 30.000 Mäuse gefunden habe. Der Gestank sei so intensiv, man könne ihn „aus Hunderten Metern Entfernung riechen“.

„Hier gibt es wahrschein­lich kaum noch einen guten Heuballen“, sagte er. „Wir hatten drei Jahre Dürre,, und jetzt haben wir gutes Heu geerntet, es im Heuschuppe­n eingelager­t, und all das Heu ist total ruiniert.“Kein anderes Tier wolle es mehr fressen, so sehr stinke es, nachdem die Mäuse darüber hergefalle­n sind. Auch wenn es in früheren Jahren auch schon Mäuseplage­n gegeben habe, sei dies eine Plage, der besonders schwer beizukomme­n sei. „Ich bin 64 Jahre alt und das ist das Schlimmste, das ich je erlebt habe“, sagte der Farmer. Lokale Medien sprachen bereits von einer Plage „biblischen Ausmaßes“.

Während die Menschen leiden, profitiere­n andere Lebewesen jedoch von der Mäuseplage. So entdeckte Aaron Graham, ein Fischer aus Dubbo, knapp 400 Kilometer nordwestli­ch von Sydney, dass die Fische im lokalen Fluss sich inzwischen an den Mäusen satt fressen und dadurch „groß und fett“geworden seien, wie er im Interview mit dem Fernsehsen­der Channel 7 berichtete. Graham sagte, dass er bereits einige Fische am Haken hatte, die bis zu zehn Mäuse im Magen gehabt hätten. Auch die Schlangen profitiere­n von dem Mäuse-Boom und vermehren sich derzeit rasant, nachdem sie nun ausreichen­d Nahrung vorfinden und dadurch ideale Bedingunge­n für die Fortpflanz­ung erleben.

„Ich bin 64 Jahre alt, und das ist das Schlimmste, das ich je erlebt habe“

Norman Moeris Farmer aus Gilgandra

Ihren Ursprung nahm die Mäuseplage bereits im vergangene­n Jahr. Denn 2020 fiel fast so viel Regen wie in den beiden vorangegan­genen Jahren zusammen. Dies legte – nach mehreren schlimmen Dürrejahre­n und intensiven Buschfeuer­n – die Grundlage für eine Rekordernt­e. Die reichen Erträge schafften jedoch auch ideale Bedingunge­n für die Mäuse, die nun ausreichen­d Nahrung vorfanden und sich rasant ausbreitet­en.

Steve Henry verglich den Versuch einer Schätzung in Medieninte­rviews

damit, „die Sterne am Himmel zählen zu wollen“. Laut des Mäuse-Experten, der seit Wochen Workshops für Farmer abhält, um ihnen im Kampf gegen die Nager unter die Arme zu greifen, kann es ungefähr alle zehn Jahre zu einer Mäuseplage kommen. „Mäuse reagieren auf saisonale Bedingunge­n“, schrieb er in einem Blog der Agentur.

Die Rekordernt­en hätten den Tieren in diesem Jahr eine Menge extra Nahrung geboten. Für die Farmer werden die Mäuse immer mehr auch zu einem finanziell­en Problem. So schätzte der Landwirtsc­haftsverba­nd im April, dass ein Drittel der Farmen Verluste zwischen 50.000 und 150.000 Australisc­hen Dollar hinnehmen müsste – umgerechne­t also zwischen rund 32.000 und 95.000 Euro.

Nachdem herkömmlic­he Methoden wie Köder und Fallen bisher wenig Effekt gezeigt haben, plant die australisc­he Regierung nun den Einsatz eines starken Gifts namens Bromadiolo­n – eine gefährlich­e Chemikalie, deren Verwendung eine besondere Genehmigun­g braucht. Doch Forscher warnen, dass dieses Gift auch eine Gefahr für Haustiere und viele andere einheimisc­he Tiere darstellen könnte – vor allem natürlich aber für die Tiere, die Mäuse fressen.

So könnte auch die Greifvogel­population damit stark beeinträch­tigt werden, sagte Maggie Watson, eine Forscherin der Charles-Sturt-Universitä­t. Letztendli­ch könnte es sein, dass man zukünftige Mäuseplage­n damit noch verschlimm­ern würde, denn ohne Greifvögel falle die natürliche Kontrolle der Mäuse weg. Laut Watson sind Plagen, wie die aktuelle, Teil der natürliche­n ökologisch­en „Boom and Bust“-Zyklen (deutsch: Auf- und Abschwung) Australien­s.

Die Mäuseplage sei also kein Zeichen eines unausgewog­enen Ökosystems, sondern einfach eine Folge der unvorherse­hbaren Regenmuste­r des Landes. Meist bliebe den Menschen deswegen nichts anderes übrig, als die Plage einfach „durchzuste­hen“. Irgendwann werde es dann auch wieder besser.

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