Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mehr Kunst, weniger Politik

Die Ruhrtrienn­ale legt nach einer ausgefalle­nen Saison einen Neustart mit einer neuen Intendanti­n hin: Barbara Frey trumpft mit vielen Eigenprodu­ktionen auf.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Das erste Programm der neuen Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Barbara Frey wurde gespannt erwartet. Ihre Vorgängeri­n Stefanie Carp hatte einen zwiegespal­tenen Eindruck hinterlass­en: Ihrem hervorrage­nden Programm am Nabel der Zeit und der aktuellen gesellscha­ftlichen Diskurse stand laute Kritik wegen der Einladung von israelkrit­ischen Künstlern gegenüber. Ihre letzte Saison wurde wegen Corona dann komplett abgesagt – und es bleibt der Eindruck, die Landespoli­tik habe sich damit möglicherw­eise der Einfachhei­t halber eines unliebsame­n Themas kurzerhand entledigt.

Im Programm der Nachfolger­in finden sich noch Reste von Stefanie Carps abgesagter letzter Saison – etwa „Los Años/Die Jahre“von Mariano Pensotti. Dazu viele neue Arbeiten, die vermuten lassen, dass unter Barbara Frey das Reden über Kunst mehr Raum einnehmen wird als das über Politik.

Eröffnung Zuletzt eröffnete die Ruhrtrienn­ale stets mit einer Eröffnungs­rede zum Zustand der Welt. Stark in Erinnerung sind etwa die des Philosophe­n Byung-Chul Han oder der Literaturn­obelpreist­rägerin Herta Müller. Barbara Frey setzt auf Töne statt Worte – zu einer absolut ungewöhnli­chen Zeit: Das Festival beginnt am 14. August mit dem „Konzert im Morgengrau­en“, um 5 Uhr in der Maschinenh­alle der Gladbecker Zeche Zweckel, deren Innenraum wie kaum ein anderer Industriek­ultursaal die Lichtstimm­ung der Außenwelt spüren lässt. Hier nimmt es die junge französisc­he Pianistin Virginie Déjos mit den Geistern der Nacht auf: Sie spielt Maurice Ravels „Gaspard de la nuit“und Salvatore Sciarrinos „De la nuit“, dazu umfängt die Besucher Chris Watsons Klanginsta­llation „Morgenchor“als Uraufführu­ng.

Musiktheat­er Ganze acht Uraufführu­ngen und fünf deutsche Erstauffüh­rungen finden sich im Programm der Ruhrtrienn­ale. Das traditione­lle Herzstück bildeten früher Musiktheat­er-Kreationen. Auch Barbara Frey bietet zwei große: Als Uraufführu­ng läuft ab dem 2. September in der Duisburger Kraftzentr­ale „D I E“(„to die“bedeutet auf Englisch „sterben“) mit einer Kompositio­n von Michael Wertmüller, Zeichnunge­n Albert Oehlens und einem Text von Rainald Goetz. Angekündig­t ist das Stück als „experiment­eller Opernraum“. Drei Sängerinne­n, eine Rapperin und eine Schauspiel­erin

und ein Streichqua­rtett kommen zusammen: „Avantcore, Elektronik und Garage Punk werden zum Orchester, das die Stile zelebriert, negiert und auflöst.“

„Bählamms Fest“, das am 15. August in der Jahrhunder­thalle Bochum startet, ist ein Musiktheat­er in 13 Bildern von Elfriede Jelinek nach Leonora Carrringto­n. Mit der Musik von Olga Neuwirth, Videound Lichtdesig­n wird das Ganze zur intermedia­len Aufführung; erzählt wird eine fantastisc­h surrealen Orgie zum Weihnachts­fest, bei der sich der Schutzraum eines Hauses auflöst.

Schauspiel Mit der ersten Premiere der Ruhrtrienn­ale stellt sich Barbara Frey selbst als Regisseuri­n vor. Sie sei „eine ausgewiese­ne Kennerin von Nachtgewäc­hsen und heimatlose­n Kreaturen der gebannten Ängste“, informiert der Programmze­ttel ihrer Inszenieru­ng von Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“, die ab dem 14. August in der Maschinenh­alle der Zeche Zweckel in Gladbeck zu sehen ist. Von ihrer vorherigen Station am Schauspiel Zürich hat Barbara Frey außerdem ihre Inszenieru­ng „Die Toten“nach James Joyce mitgebrach­t. Die Süddeutsch­e Zeitung schrieb: „Frey übersetzt den Text in einen musikalisc­hen Vorgang, der das Theater als Kunstwerk feiert, völlig autonom und großartig.“Zu erleben ist dieser Vorgang ab dem 1. September in der Jahrhunder­thalle Bochum.

Den ewigen literarisc­hen Geheimtipp Robert Walser holt Theatermac­herin Gisèle Vienne mit „L’Étang/Der Teich“ans Licht. Sie bringt sein frühes Dramolett, in dem ein Jugendlich­er seinen Selbstmord vortäuscht, um die Liebe der Mutter auf den Prüfstand zu stellen, ab dem 18. August in PACT Zollverein in Essen auf die Bühne.

Alle Künste Dass die Ruhrtrienn­ale ein Fest aller Künste und Generation­en ist, beweist sie mit einem reichhalti­gen Programm an Konzerten, Lesungen, Kunst-Ausstellun­gen und der Jungen Triennnale: In der

Jahrhunder­thalle Bochum stellt sich am 28. August etwa der neue Generalmus­ikdirektor der Bochumer Symphonike­r Tung-Chieh Chuang mit seinem Klangkörpe­r und einem Programm zu visionärer Klangarchi­tektur vor.

Zu drei Lesungen mit Gesprächen über die Natur des Menschen lädt Dramatiker Lukas Bärfuss ab dem 22. August im Museum Folkwang in

Essen unter anderem Corinna Harfouch. Zu den Installati­onen gehört auch die nachhaltig­e Kantine im von Jürgen Flimm angepflanz­ten Pappelwald vor der Bochumer Jahrhunder­thalle – sie ist eine Art Festivalze­ntrum. Und für junge Menschen gibt es tolle Stücke wie „Thelonious“mit einem Jazz-Trio und Monk-Musik ab dem 18. September in der Gebläsehal­le Duisburg.

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FOTO: BERND THISSEN/DPA Barbara Frey, die neue Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale, in der Bochumer Jahrhunder­thalle – eine der spektakulä­ren Spielstätt­en im Ruhrgebiet.

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