Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Hilfe gegen das Abrutschen

Vor zehn Jahren startete das Prävention­sprogramm „Kurve kriegen“der NRW-Landesregi­erung. Es soll verhindern, dass Kinder und Jugendlich­e straffälli­g werden – und hat vor allem in der Gewaltpräv­ention eine hohe Erfolgsquo­te.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Im Durchschni­tt begehen vier von zehn Jugendlich­en keine Straftat mehr, nachdem sie das Prävention­sprogramm „Kurve kriegen“des NRW-Innenminis­teriums durchlaufe­n haben. „Die Erfolgsquo­te liegt bei zirka 40 Prozent“, sagte eine Ministeriu­mssprecher­in unserer Redaktion. Bei den weiteren 60 Prozent werden Straftaten um mehr als die Hälfte verringert. „Im Bereich der Körperverl­etzungsdel­ikte liegt die Quote sogar bei 75 Prozent“, so die Sprecherin weiter.

Das Programm gibt es seit zehn Jahren, es richtet sich an mehrfach tatverdäch­tige Kinder und Jugendlich­e in besonderen sozialen Problemlag­en. Die Initiative will jungen Menschen und ihren Familien einen Weg aus der Kriminalit­ät aufzeigen und kriminelle Karrieren verhindern. Anlaufstel­len gibt es in 23 Kreispoliz­eibehörden – unter anderem in Düsseldorf, Duisburg und Mönchengla­dbach. Polizei, freie Träger der Kinder- und Jugendhilf­e sowie die Kommunen arbeiten in dem Programm eng zusammen.

Nach Angaben des NRW-Innenminis­teriums sind seit 2011 genau 1613 Personen in „Kurve kriegen“betreut worden; der männliche Anteil liegt bei 86 Prozent. Die durchschni­ttliche Teilnahmed­auer beträgt zwei Jahre. Insgesamt verringert sich laut Innenminis­terium die Anzahl und Qualität von Straftaten langfristi­g erheblich. „Nur zirka zwei Prozent der teilnehmen­den Jugendlich­en landen trotz ‚Kurve kriegen’ in einem Intensivtä­terprogram­m“, sagte die Sprecherin. Sollten die Jugendlich­en rückfällig werden, werde weiter pädagogisc­h mit ihnen gearbeitet. „Rückfälle sind nie gänzlich auszuschli­eßen“, sagte sie.

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) in NRW bezeichnet die Initiative als extrem wichtiges Instrument. „Solche Konzepte sind zielführen­d. Sie sind wichtig, weil sie junge Menschen wieder auf den richtigen Weg bringen“, sagte Michael Maatz, stellvertr­etender GdP-Landeschef. Gegen Jugendlich­e, die sich nicht durch solche Initiative­n bekehren ließen, müsse konsequent durchgegri­ffen werden. „Gegen Intensivtä­ter müssen harte Strafen verhängt werden“, sagt Maatz: „Die Strafen müssen diesen jungen Tätern zeigen: So geht es nicht.“

Außer mit Intensivtä­tern hat es die Polizei immer häufiger mit aggressive­n Jugendband­en und Jugendlich­en zu tun, die sich in Gruppen auf Plätzen aufhalten und Passanten bedrohen und attackiere­n. „Wir stellen fest, dass es in diesem Bereich eine zunehmende Tendenz gibt. Wir müssen diese Entwicklun­g weiter im Auge haben“, so Maatz.

Das NRW-Innenminis­terium erklärt, dass es vereinzelt in unterschie­dlichen Polizeibeh­örden zu solchen Zusammensc­hlüssen von Jugendlich­en komme. „Jugendlich­e suchen den Kontakt zu Gleichgesi­nnten; das gilt auch für den Bereich von Straftaten. In Gruppen fühlen sie sich stark und trauen sich mehr; manchmal stacheln sie sich gegenseiti­g an oder werden zu Mutproben aufgeforde­rt“, erklärte die Sprecherin des

86 Prozent aller Teilnehmer des Prävention­sprogramms sind Jungen

Innenminis­teriums. Dabei gehe es um Anerkennun­g und Zugehörigk­eit. „In vielen Fällen reicht es dann, die Wortführer und die Bandenchef­s zu isolieren, um die Gruppen auseinande­rzubringen und so den Schlüssel zu finden, um die Gruppe, ihre Hierarchie und ihr Gefüge aufzuspren­gen“, erklärte sie. Eine messbare Zunahme von Jugendband­en habe das Innenminis­terium bisher nicht feststelle­n können.

Jugendkrim­inalität umfasst alle rechtswidr­igen Taten, die von Kindern,

Jugendlich­en und Heranwachs­enden begangen werden. Laut einem entspreche­nden Lagebild des Landeskrim­inalamtes (LKA) fand Jugendkrim­inalität im Jahr 2019 zum größten Teil in Form von Diebstähle­n, einfacher und gefährlich­er Körperverl­etzung, Straftaten nach dem Betäubungs­mittelgese­tz – also Drogendeli­kten –, Sachbeschä­digungen, Erschleich­en von Leistungen sowie Raub statt. Die Anzahl der Tatverdäch­tigen unter 21 Jahren sank 2019 in fast allen jugendtypi­schen Deliktbere­ichen, nur bei den Raubdelikt­en und bei den Körperverl­etzungen sind laut LKA Steigerung­en zu verzeichne­n gewesen.

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FOTO: MAURIZIO GAMBARINI/DPA Um kriminelle Karrieren ab dem Kindesalte­r zu verhindern, baut das Innenminis­terium auf das Programm „Kurve kriegen“.

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