Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Hilfe gegen das Abrutschen
Vor zehn Jahren startete das Präventionsprogramm „Kurve kriegen“der NRW-Landesregierung. Es soll verhindern, dass Kinder und Jugendliche straffällig werden – und hat vor allem in der Gewaltprävention eine hohe Erfolgsquote.
DÜSSELDORF Im Durchschnitt begehen vier von zehn Jugendlichen keine Straftat mehr, nachdem sie das Präventionsprogramm „Kurve kriegen“des NRW-Innenministeriums durchlaufen haben. „Die Erfolgsquote liegt bei zirka 40 Prozent“, sagte eine Ministeriumssprecherin unserer Redaktion. Bei den weiteren 60 Prozent werden Straftaten um mehr als die Hälfte verringert. „Im Bereich der Körperverletzungsdelikte liegt die Quote sogar bei 75 Prozent“, so die Sprecherin weiter.
Das Programm gibt es seit zehn Jahren, es richtet sich an mehrfach tatverdächtige Kinder und Jugendliche in besonderen sozialen Problemlagen. Die Initiative will jungen Menschen und ihren Familien einen Weg aus der Kriminalität aufzeigen und kriminelle Karrieren verhindern. Anlaufstellen gibt es in 23 Kreispolizeibehörden – unter anderem in Düsseldorf, Duisburg und Mönchengladbach. Polizei, freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie die Kommunen arbeiten in dem Programm eng zusammen.
Nach Angaben des NRW-Innenministeriums sind seit 2011 genau 1613 Personen in „Kurve kriegen“betreut worden; der männliche Anteil liegt bei 86 Prozent. Die durchschnittliche Teilnahmedauer beträgt zwei Jahre. Insgesamt verringert sich laut Innenministerium die Anzahl und Qualität von Straftaten langfristig erheblich. „Nur zirka zwei Prozent der teilnehmenden Jugendlichen landen trotz ‚Kurve kriegen’ in einem Intensivtäterprogramm“, sagte die Sprecherin. Sollten die Jugendlichen rückfällig werden, werde weiter pädagogisch mit ihnen gearbeitet. „Rückfälle sind nie gänzlich auszuschließen“, sagte sie.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW bezeichnet die Initiative als extrem wichtiges Instrument. „Solche Konzepte sind zielführend. Sie sind wichtig, weil sie junge Menschen wieder auf den richtigen Weg bringen“, sagte Michael Maatz, stellvertretender GdP-Landeschef. Gegen Jugendliche, die sich nicht durch solche Initiativen bekehren ließen, müsse konsequent durchgegriffen werden. „Gegen Intensivtäter müssen harte Strafen verhängt werden“, sagt Maatz: „Die Strafen müssen diesen jungen Tätern zeigen: So geht es nicht.“
Außer mit Intensivtätern hat es die Polizei immer häufiger mit aggressiven Jugendbanden und Jugendlichen zu tun, die sich in Gruppen auf Plätzen aufhalten und Passanten bedrohen und attackieren. „Wir stellen fest, dass es in diesem Bereich eine zunehmende Tendenz gibt. Wir müssen diese Entwicklung weiter im Auge haben“, so Maatz.
Das NRW-Innenministerium erklärt, dass es vereinzelt in unterschiedlichen Polizeibehörden zu solchen Zusammenschlüssen von Jugendlichen komme. „Jugendliche suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten; das gilt auch für den Bereich von Straftaten. In Gruppen fühlen sie sich stark und trauen sich mehr; manchmal stacheln sie sich gegenseitig an oder werden zu Mutproben aufgefordert“, erklärte die Sprecherin des
86 Prozent aller Teilnehmer des Präventionsprogramms sind Jungen
Innenministeriums. Dabei gehe es um Anerkennung und Zugehörigkeit. „In vielen Fällen reicht es dann, die Wortführer und die Bandenchefs zu isolieren, um die Gruppen auseinanderzubringen und so den Schlüssel zu finden, um die Gruppe, ihre Hierarchie und ihr Gefüge aufzusprengen“, erklärte sie. Eine messbare Zunahme von Jugendbanden habe das Innenministerium bisher nicht feststellen können.
Jugendkriminalität umfasst alle rechtswidrigen Taten, die von Kindern,
Jugendlichen und Heranwachsenden begangen werden. Laut einem entsprechenden Lagebild des Landeskriminalamtes (LKA) fand Jugendkriminalität im Jahr 2019 zum größten Teil in Form von Diebstählen, einfacher und gefährlicher Körperverletzung, Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz – also Drogendelikten –, Sachbeschädigungen, Erschleichen von Leistungen sowie Raub statt. Die Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren sank 2019 in fast allen jugendtypischen Deliktbereichen, nur bei den Raubdelikten und bei den Körperverletzungen sind laut LKA Steigerungen zu verzeichnen gewesen.