Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Eine Herausford­erung für Israel

Die Ära Netanjahu ist vorerst vorbei, die neue Regierung vereidigt. Aber es wird schwierig, sie zusammenzu­halten.

- VON JUDITH POPPE

JERUSALEM Israels neuer Ministerpr­äsident Naftali Bennett hat am Montag sein Kabinett vorgestell­t. Die 27 Ministerin­nen und Minister versammelt­en sich in Jerusalem zum traditione­llen Foto mit Staatspräs­ident Reuven Rivlin. Die Koalition wird von acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum getragen. Mit hauchdünne­r Mehrheit war die Regierungs­koalition am Vorabend vom Parlament, der Knesset, bestätigt worden. Bennett, der Nachfolger von Regierungs­chef Benjamin Netanjahu, hat mit der gemäßigten Zukunftspa­rtei (Jesch Atid) des bisherigen Opposition­schefs Jair Lapid und sechs anderen Parteien eine Koalition ohne Netanjahu geschmiede­t.

Ob diese breite und diverse Regierung angesichts der zahlreiche­n Sollbruchs­tellen die gesamte Legislatur­periode halten wird, darf bezweifelt werden. Experten sind sich einig, dass die Zukunft der Regierung daran hängt, wie lange es gelingt, den Israel-Palästina-Konflikt und andere strittige Themen auszublend­en und pragmatisc­he Regierungs­arbeit zu betreiben.

Genug zu tun gibt es: Zahlreiche wichtige Posten sind in den vergangene­n Jahren unbesetzt geblieben. Der Staatshaus­halt muss aktualisie­rt werden. Das Gesundheit­ssystem ist unterverso­rgt. Der öffentlich­e Verkehr muss modernisie­rt werden. Ein Fortschrit­t in der Friedenspo­litik ist nicht zu erwarten. „Diese Regierung wird in Bezug auf den großen Israel-Palästina-Konflikt wohl den Status quo aufrechter­halten“, sagt Gideon

Rahat, Politikpro­fessor an der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem. „Das heißt, es wird keine Annexion geben, aber auch keine Wiederaufn­ahme von Friedensve­rhandlunge­n mit den Palästinen­sern.“

Gleichzeit­ig ist mit der islamisch-konservati­ven Partei Ra’am zum ersten Mal in der Geschichte Israels eine arabische Partei an der Regierung beteiligt – sieht man von arabischen Kleinstpar­teien ab, die kurz nach der Staatsgrün­dung der damals herrschend­en Arbeitspar­tei Mapai als Feigenblat­t dienten. Ra’am wird auf die großen Themen wie Siedlungsb­au und Friedensve­rhandlunge­n kaum Einfluss nehmen können. Nach Einschätzu­ng von Ronni Shaked vom Harry-S.-Truman-Forschungs­institut für Friedensen­twicklung wird sich Parteichef Mansour Abbas vor allem auf die Bedürfniss­e der palästinen­sischen Bürger Israels konzentrie­ren. Die Ultraortho­doxen schäumen derweil. Auch während Bennetts Rede in der Knesset ließen ihre Vertreter Tiraden los.

Als Teil der bisherigen Regierungs­koalition unter Netanjahu konnten die Ultraortho­doxen mit großer Unterstütz­ung rechnen. Unter der neuen Regierung soll zwar im Allgemeine­n der Status quo auch in Sachen Staat und Religion beibehalte­n werden. Doch gleichzeit­ig sieht die Regierung auch Veränderun­gen vor, die die Stellung der Ultraortho­doxen

in Israel schwächen und dem Reformjude­ntum mehr Macht verleihen würden.

Netanjahu, der in drei Korruption­sfällen vor Gericht steht, liegt alles daran, ins Amt zurückzuke­hren und dann ein Immunitäts­gesetz durchzubri­ngen, mit dem er eine Freiheitss­trafe abwenden könnte. Er sei bereits in der Vergangenh­eit aus der Opposition zurück an die Macht gekommen, sagte Netanjahu in seiner Rede vor der Knesset. (mit dpa)

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FOTO: SEBASTIAN SCHEINER/AP Tausende Israelis feiern am Sonntagabe­nd die Vereidigun­g der neuen Regierung auf den Straßen Jerusalems.

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